Ausschnitte aus dem Buchcover .

STEFAN KAPPACHER

Die Medienszene in Südtirol

Klein-Ibiza und das große Schweigen

"In anderen Ländern halten sich Parteien Zeitungen, in Südtirol hält sich eine Zeitung eine Partei." Dieser Spruch wird "Dolomiten"-Chefredakteur Toni Ebner zugeschrieben, mit der Zeitung ist sein eigenes Blatt und mit der Partei die Südtiroler Volkspartei gemeint. Diese SVP ist von einer Abhöraffäre erschüttert worden – Aufdecker Christoph Franceschini spricht von einem "Ibiza in den Alpen". Die Berichterstattung darüber wirft ein Schlaglicht auf die extreme Medienkonzentration in Südtirol.

Ende März ist das Buch "Freunde im Edelweiß" erschienen, geschrieben haben es die Journalisten Christoph Franceschini und Artur Oberhofer, beide arbeiten für kleine Medien, die nicht nur der Politik, sondern auch dem Monopolisten Athesia auf die Finger schauen. Die Athesia Gruppe beherrscht in Südtirol den Zeitungs- und Werbemarkt. Das Buch deckt eine Verschwörung einer Clique innerhalb der Südtiroler Volkspartei gegen den amtierenden SVP-Landeshauptmann Arno Kompatscher auf.

Das Flaggschiff "Dolomiten" blieb im Hafen

Die Athesia-Medien mit dem Flaggschiff "Dolomiten" hätten die Sache am liebsten totgeschwiegen. Es ist ihnen nicht gelungen. Autor Franceschini über das, was das Buch ausgelöst hat: "Es war ein kleines politisches Erdbeben. Man könnte vielleicht sagen, ein kleines Ibiza in den Alpen. Es musste ein Landesrat - einer der mächtigsten Politiker in Südtirol - seinen Hut nehmen. Das hat nachhaltige Verschiebungen im Machtgefüge der Südtiroler Volkspartei bewirkt."

"Der Landeshauptmann ist dem Geschäft im Weg"

Arno Kompatscher hat als Landeshauptmann die alten Spielregeln nicht mehr befolgt, die der Politikwissenschafter Günther Pallaver als "Bittgang-Demokratie" bezeichnet. Man ging in die Sprechstunde des Landeshauptmanns, trug sein Anliegen vor und bekam etwas - nach Gutdünken und Ermessen. Kompatscher beendete diese "Umgehung der legalen Ordnung", wie es Pallaver ausdrückt. Und damit hat er sich nicht nur in der Partei Feinde geschaffen, sondern sich auch beim Medienhaus Athesia unbeliebt gemacht. Franceschini: "Arno Kompatscher ist einfach dem Geschäft der Athesia im Weg." Da gehe es um Inserate des Landes ebenso wie um Tourismusprojekte der Gruppe, die nicht mehr wie früher einfach durchgewunken werden.

 Arno Kompatscher

Landeshauptmann Arno Kompatscher hält sich nicht an althergebrachte Spielregeln und bringt damit das polit-mediale System gegen sich auf.

Arno Kompatscher - APA/EXPA/JFK

Keine schlechte Nachrede, sondern Äquidistanz

"Dolomiten"-Chefredakteur Toni Ebner weist den Vorwurf, man würde den Landeshauptmann sozusagen hinunterschreiben, zurück: "Das ist vollkommen falsch. Landeshauptmann Kompatscher hat keine schlechte Nachrede in den "Dolomiten", sondern wir sind eine unabhängige Tageszeitung, die über die Politik so schreibt, wie es zu schreiben ist, nämlich mit Äquidistanz." Was nicht nur der Journalist Franceschini in Zweifel zieht, sondern auch der Politologe Pallaver. Die Interessen der Athesia reichten vom Werbemarkt bis zum Tourismus und in den Energiebereich: "Da interveniert natürlich das Medienhaus über die eigenen Medien sehr stark und versucht natürlich auch, die Politik dementsprechend zu beeinflussen", sagt Pallaver.

80 Prozent Marktmacht und 6,3 Millionen Förderung

Die Athesia hat in Südtirol und im Trentino eine Marktdominanz von 80 Prozent, Gesetze zur Begrenzung von Medienkartellen gibt es in Italien seit Berlusconi nicht mehr. Die "Dolomiten" kassieren überdies eine Förderung von 6,3 Millionen Euro aus dem Topf für Minderheiten-Medien. Für den Chefredakteur ein lobenswertes Zeichen, dass der italienische Staat frühere Nationalismen hinter sich gelassen habe.

Ein Versuch auf politischer Ebene, die Förderung - sie entspricht drei Viertel der kompletten Presseförderung in Österreich für alle Zeitungen - an eine maximale Marktbeherrschung von 50 Prozent zu knüpfen, also im konkreten Fall zu streichen – dieser Versuch ist auch dank der guten politischen Vernetzung von Athesia im Sand verlaufen. Toni Ebner sagt, das wäre verfassungswidrig gewesen. Die Förderung hilft auf der anderen Seite kleinen Medien wie der "Neuen Südtiroler Tageszeitung", der Wochenzeitung "ff" und dem Portal salto.bz, die einen engagierten publizistischen Gegenpol zum Koloss Athesia bilden.

Die Athesia und ihre "eigene Berichterstattung"

Bei der Berichterstattung über die im Buch dokumentierte Abhöraffäre haben alle außer Athesia an einem Strang gezogen, auch die Öffentlich-Rechtlichen, RAI Südtirol und ORF Bozen. Manuela Vontavon, Chefredakteurin der ORF-Sendung "Südtirol Heute", formuliert es so: "Wir sehen natürlich, dass die Athesia ihre eigene Berichterstattung hat und dass sie hier natürlich schon auch ein dominantes Medium sind." In "Südtirol Heute" war die Verschwörung gegen den Landeshauptmann innerhalb der SVP tagelang der Aufmacher, ein TV-Team hat auch Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder aufgestöbert, der zur Clique der Gegenspieler gehört – sinnigerweise beim Kartenspielen in einem Gastgarten, das Bild vom Machtpoker drängte sich auf.

Christoph Franceschini sieht noch einen Grund, warum sein Buch nicht totgeschwiegen werden konnte: Der Verlag hat Audiofiles online gestellt, die viral gegangen sind. Franceschini: "Als die Leute dann die Sachen gehört haben, da kann man nicht mehr sagen: Ich habe es nicht so gesagt. Denn es ist natürlich im Ton noch viel schlimmer als in der Abschrift, denn dort kommen alle Nuancen, auch des Lachens und des Spottes heraus."

Statt der Verschwörung stand das Leak im Fokus

Die italienisch-sprachige Tageszeitung für Südtirol "Alto Adige" aus dem Haus Athesia hat über die Abhöraffäre praktisch gar nicht berichtet, wie Beobachter registriert haben - die "Dolomiten" nur über Nebenaspekte: Wer hat die Protokolle geleakt, darf man das überhaupt und ist das "Gerede" eigentlich für die Öffentlichkeit relevant? "Dolomiten"-Chefredakteur Toni Ebner rechtfertigt das Schweigen über die Inhalte mit journalistischer Sorgfalt: "Abgesehen davon, dass das geistiges Eigentum der Autoren ist, die das ausgegraben haben, dürfen wir das nicht schreiben, weil das alles dem Ermittlungsgeheimnis unterliegt."

Das Reich der Ebners mit Parallelen zu Russ-Land

Wenn man Ebner auf die Marktbeherrschung durch die Athesia anspricht, wiegelt er ab. Die Gruppe wird von seinem Bruder Michl Ebner geführt, der viele Jahre SVP-Politiker war und heute Handelskammer-Präsident ist. Interessenkonflikte am laufenden Band seien garantiert, sagen Kritiker. Toni Ebner verweist auf Russmedia in Vorarlberg, wo ein ähnlich starkes Medienmonopol im wahrsten Sinne des Wortes herrscht. "Eugen Russ hat auch zwei Tageszeitungen und das weitaus erfolgreichste Onlineportal, Bezirkszeitungen und, und, und. Jedes Medienhaus muss mehrere Standbeine haben", so Ebner. Beide Medienhäuser müssen mit politischen Affären im Land umgehen - und auch Russmedia muss sich die Kritik gefallen lassen, lang weggeschaut zu haben - nämlich in der ÖVP-Inseratenaffäre.

Toni Ebner

"Dolomiten"-Chefredakteur Toni Ebner sieht in der erdrückenden Medienmacht seiner Familie kein Problem.

Toni Ebner - ROBERT PARIGGER

Der Politikwissenschafter Günther Pallaver sieht Parallelen bis ins kleinste Detail. So wird über Eugen Russ erzählt, dass er persönlich zum Hörer greift und Firmenchefs anruft, wenn die es wagen, in einem der wenigen Konkurrenzmedien zu inserieren. Pallaver über Athesia-Chef Michl Ebner: "Der Präsident der Handelskammer und des Hauses Athesia greift ebenfalls zum Telefon, um hier zu intervenieren."

Der Padrone und die Angst vor der ganzen Zeitung

Demokratiepolitisch sei das untragbar, sagt der Journalist Christoph Franceschini, der für das kleine Online-Portal salto.bz arbeitet und seit vielen Jahren gegen die Macht von Athesia in Südtirol anschreibt. Die Leute hätten Angst vor dieser Macht, so Franceschini. In seinem Buch ist zu lesen, dass sich ein zentraler Proponent der Abhöraffäre in den Kreis der von Athesia unabhängigen Medien einkaufen wollte.

Warum es nicht dazu gekommen ist, erklärt dieses Zitat aus einer abgehörten Unterhaltung: "Wenn Sie 20 Prozent der Tageszeitung besitzen, dann sind Sie noch nicht der Padrone. Wenn jemand Angst verbreiten will, dann muss er die ganze Zeitung haben!" Und die "ganze Zeitung", die haben in Südtirol weiterhin vor allem die Ebners.

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