APA/HARALD SCHNEIDER
VfGH-Erkenntnis und Streit um ORF.at
Medienpolitik im Sommergewitter
Mitten im Sommer kippt der Verfassungsgerichtshof die ORF-Streaming Lücke und bringt die Medienpolitik damit gehörig unter Zugzwang. Bis Ende 2023 ist Zeit. Bis dahin muss ein neues ORF-Finanzierungsmodell gefunden sein. Medienministerin Raab steht damit vor einer weiteren Herausforderung. Sie führt seit Monaten Gespräche mit der Branche über eine Medienreform. Hinter verschlossenen Türen.
5. September 2022, 02:00
#doublecheck in der Radiothek
Das Ibiza über dem Brenner anhören
Wer den ORF via Internet am Laptop oder Smartphone konsumiert, musste bisher keine GIS-Gebühr zahlen. Das ist aber nicht verfassungskonform, wie der Verfassungsgerichtshof Mitte Juli festgestellt hat. Das Höchstgericht hat damit einer Beschwerde des ORF stattgegeben. Die Höchstrichterinnen und -richter begründen das Erkenntnis mit der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die auch durch das Programmentgelt gesichert werde. Es sei wesentlich, dass alle, die über den ORF am öffentlichen Diskurs teilnehmen, auch dafür bezahlen.
Höchstgericht setzt der Politik eine Frist
Die Streaming-Lücke ist damit also bald Geschichte. Der Gesetzgeber hat bis Ende 2023 für eine Neuregelung Zeit. Der Verfassungsgerichtshof mache die Medienpolitik, die sich die Kanzlerpartei nicht traue. So kommentierte die Tageszeitung "Der Standard" die brisante Entscheidung, die mitten in den Sommer geplatzt ist. Der Medienwissenschafter Josef Trappel von der Universität Salzburg spricht von einem überfälligen Schritt, der dem Wandel beim Medienkonsum – es wird immer weniger linear, dafür mehr digital konsumiert - Rechnung trage. Sie zeige aber auch, wie träge die Medienpolitik hierzulande ist. "Es ist mittlerweile ein gewisses Muster, das sich abzeichnet, dass die österreichische Medienpolitik dann reagiert, wenn sie muss, und nicht dann, wenn sie Gestaltungsspielraum hat", sagt Trappel.
Josef Trappel
Viele für Haushaltsabgabe, ÖVP skeptisch
Trappel spricht sich für eine Haushaltsabgabe aus. Die ORF-Gebühr wäre bei diesem Modell nicht mehr an ein Empfangsgerät geknüpft, sondern jeder Haushalt müsste diese automatisch zahlen. Die öffentlich-rechtlichen Sender in der Schweiz und in Deutschland finanzieren sich bereits so. Medienministerin Susanne Raab hat sich bisher gegen eine Haushaltsabgabe ausgesprochen, auf #doublecheck-Anfrage heißt es: "Wir prüfen derzeit unterschiedliche Modelle mit der Priorität, die finanziellen Belastungen für die Menschen nicht zu erhöhen, sondern so gering wie möglich zu halten." Für eine Haushaltsabgabe trotz der Teuerungswelle haben sich die Grünen und die Neos ausgesprochen.
Unter anderem von der FPÖ ins Spiel gebracht wurde auch ein Pay- oder Abo-Modell, das etwa so aussehen könnte: Alle ORF-Inhalte im Netz kommen hinter eine Bezahlschranke, bezahlen sollen nur die, die wollen. Eine schlechte Idee, findet Trappel. "Mit diesem Pay-Modell hätten wir die Problematik, dass wir keine gemeinsame Grundlage des öffentlichen Diskurses mehr hätten." Es sei auch ein Modell, dass es europaweit bisher nicht gebe.
ORF-Chef möchte neues Modell bis Jahresende
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann begrüßt das VfGH-Erkenntnis. Welches Finanzierungsmodell er sich wünscht, lässt er offen. Nur in einem Punkt legt er sich fest: Ein Abo-Modell sei keine Option. Weißmann hofft im #doublecheck-Interview, dass die Regierung die Frist bis Ende 2023 nicht ausreizt, sondern noch heuer eine Entscheidung trifft. "Es geht ja weniger darum, dass der ORF künftig mehr Geld herausbekommt, sondern es geht darum, dass der ORF durch diese Lücke jährlich doch einige Millionen an Gebühren verliert", so Weißmann. Er sieht neben der Haushaltsabgabe und einer – von der FPÖ propagierten - Finanzierung über das Budget auch noch die Option, Streaming-Geräte in das GIS-Modell miteinzubeziehen. Das Programm-Entgelt wäre in diesem Fall weiter an Geräte geknüpft, nur eben auch an alle mit einem Internet-Zugang.
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher
Zeitungsverleger mobilisieren gegen ORF.at
Nicht nur der ORF, auch der Interessenverband der Kaufzeitungen - kurz VÖZ - freut sich, dass jetzt Bewegung in die medienpolitischen Verhandlungen kommt. Das Erkenntnis zeige, wie sehr das ORF-Gesetz aus der Zeit gefallen und wie dringend der Reformbedarf sei, sagt VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger. Auf die Frage, ob er sich im Fall einer Haushaltsabgabe erhoffe, dass auch für die Zeitungen etwas herausspringt, sagt Grünberger: "Ich würde das jetzt nicht zu basar-artig sehen." Man müsse einfach alles auf den Tisch legen.
Alles – damit meint der Zeitungsvertreter vor allem auch die erfolgreiche Blaue Seite ORF.at. Sie sei zu "zeitungs-ähnlich", beklagt Grünberger. Für private Medien sei es schwierig, im Netz Geld mit Journalismus zu machen, wenn der ORF seine langen Texte dort gratis anbiete, und das noch dazu gebührenfinanziert, so die VÖZ-Argumentation. Der ORF müsse sich wieder auf den "Kernzweck" konzentrieren, seine Rundfunk-Inhalte digital auszuspielen, und den Text-Anteil "deutlich" zurücknehmen, sagt Grünberger. Es gehe ihm aber nicht darum, den ORF zu schwächen. Mehr Bewegtbild im Netz, etwa im Rahmen des geplanten ORF-Players, begrüßt der VÖZ-Mann.
Weißmanns rote Linie bei der Blauen Seite
Einen Schritt weiter geht neuerdings NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter, die in einem "profil"-Gastkommentar sogar das Aus für ORF.at fordert. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann dazu: "Die blaue Seite abzudrehen, das ist sicher ganz klar hinter der roten Linie, die nicht akzeptierbar ist." Brandstötter könne natürlich ihre Meinung äußern, so Weißmann, Teil eines Verhandlungsteams sei sie aber nicht.
Auch Brandstötter argumentiert – ähnlich wie der VÖZ –, dass die Medienvielfalt in Gefahr sei, weil ORF.at dem im Weg stehe, dass private Medien ihre digitalen Inhalte erfolgreich monetarisieren. Der Podcast-Unternehmer und Experte für Medienfinanzierung Stefan Lassnig hat an dieser Logik seine Zweifel. Automatisch mehr Einnahmen für die anderen würde ein Ende von ORF.at nicht bringen. Es brauche vielmehr einen "gesunden Ausgleich".
Stefan Lassnig - PENGUMEDIA
Medienkonferenzen hinter Polstertüren
Lassnig war einer der Impulsgeber bei den Medienkonferenzen, mit denen Ministerin Raab im Frühjahr begonnen hat und die laut Auskunft ihres Büros immer noch "auf Hochtouren" laufen. Raab will über die Gesprächsrunden von der Branche und von Fachleuten aus erster Hand erfahren, wo der Schuh drückt. Lassnig ortet zumindest ein ernsthaftes Bemühen der Ministerin, die Branche besser zu verstehen. Dass im Hintergrund Lobbying betrieben wird und die großen Medienhäuser ihre ganze Macht ausspielen, um keine Verluste zu erleiden, sei aber klar. "So naiv zu glauben, dass diese Runden die einzige Möglichkeit sind, die Politik zu beeinflussen, bin ich nicht", so Lassnig.
Auch Medienwissenschafter Trappel, der in einer Runde mit anderen Fachleuten dabei war, findet, dass die Gespräche prinzipiell eine gute Idee seien. Zum Ablauf sagt Trappel: "In dieser Runde gab es keine Diskussion, sondern es war eher das Abholen von Statements der Anwesenden und eingeladenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer."
Die Angst davor, ein Feigenblatt zu sein
Was die Ministerin schlussendlich aus den eingeholten Meinungen macht, das sei völlig unklar, kritisiert Florian Skrabal von der Rechercheplattform "Dossier". Skrabal schildert nach seiner Teilnahme an einer der Konferenzen eine "typisch österreichische" Vorgangsweise. Das Ganze passiere hinter verschlossenen Türen und sei nicht transparent. "Deswegen ist schon die Befürchtung da, hier vielleicht als Feigenblatt gedient zu haben, damit sich die federführende Politikerin - in dem Fall Frau Raab - damit schmücken kann, ja eh alle gehört zu haben."
Nach dem Auffliegen der Inseratenkorruptionsaffäre rund um die Gratiszeitung Österreich und Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte Skrabal gehofft, dass dem munteren Inseraten-Treiben nun ein für alle Mal der Riegel vorgeschoben wird. Doch ein Jahr später wird immer noch nur geredet. Skrabal hofft, dass das Zeitfenster für große Veränderungen noch nicht geschlossen sei. "Der Standard" leakte unlängst einen ersten Entwurf zur Medien-Reform: Geplant sei eine Deckelung der Inserate, eine Erhöhung der Medienförderung von neun auf bis zu 25 Millionen Euro und Förderungen auch für Gratis- und Online-Medien. ÖVP und Grüne bestätigen das nicht.
Mutige Medienpolitik muss auch wegnehmen
Dass sich die Politik schwertut, versteht Skrabal. Denn wenn man Medienpolitik wirklich anpacken will, müsse man das System komplett neu aufstellen und den großen Medien – allen voran dem Boulevard, etwas wegnehmen. Und wer will es sich schon mit dem Boulevard verspielen? Tatsächlich hat Eva Dichand, die für die Boulevard-Riesen "Heute" und "Kronenzeitung" steht, schon öffentlich scharf gegen allfällige Kürzungen geschossen.
Es ist ein mühsamer Interessenausgleich, in dem manchmal der Blick aufs Wesentliche verloren geht, sagt Podcaster Stefan Lassnig. Schlussendlich gehe es darum, die Demokratie abzusichern, indem man die Medienlandschaft absichert. "Wenn man es so angeht, kommt man weiter. Ob das wirklich passieren wird? Also ich bin skeptisch. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben."