Emine Sevgi Özdamar

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"Hochpoetischer Sound"

Büchner-Preis an Emine Sevgi Özdamar

Die deutsch-türkische Schriftstellerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin Emine Sevgi Özdamar ist die Büchner-Preisträgerin 2022. Bereits 1976 kam sie an die Berliner Volksbühne, im vergangenen Jahr erschien mit dem Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum" ihr Opus Magnum, das mit dem Bayrischen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Der mit 50.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum und wird seit 1951 verliehen. Übergeben werden soll die Ehrung an die 75-jährige Autorin am 5. November in Darmstadt.

... neue Horizonte, Themen und einen hochpoetischen Sound.

Die deutsche Sprache verdanke Özdamar "neue Horizonte, Themen und einen hochpoetischen Sound". Die am 10. August 1946 in Malatya (Türkei) geborene Schriftstellerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin, die 1965 erstmals das noch geteilte Berlin besuchte, bereichere "seit über drei Jahrzehnten die deutschsprachige Literaturszene mit ihren Romanen, Erzählungen und Theaterstücken, zuletzt mit dem Opus magnum 'Ein von Schatten begrenzter Raum'", heißt es in der Jury-Begründung.

"Ungewohnte literarische Stilmittel und aus dem Türkischen inspirierte Sprechweisen prägen ihre multiperspektivischen Texte, die neben intimen persönlichen Erfahrungen ein breites Panorama deutsch-türkischer Geschichte entfalten − vom Ersten Weltkrieg über die Aufbruchstimmung der sechziger und siebziger Jahre bis in unsere Gegenwart." Özdamars Werk eröffne "einen zugleich intellektuellen wie poetischen Dialog zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen, an dem wir lesend teilhaben dürfen."

Tanzende Erinnerungen

Als 2021 Emine Sevgi Özdamars opulenter Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum" erschien, wehten Lobeshymnen durchs deutsche Feuilleton, und auch von einer freudigen Überraschung war zu lesen, denn seit Özdamars vorhergehendem Roman waren fast zwanzig Jahre vergangen.

Und jetzt, ein autobiografischer Roman, mehr als 700 Seiten stark, voller authentischer Erinnerungen, in einer tanzend rhythmischen Sprache. Das Opus Magnum, lobte die Kritik, aber Özdamar winkt ab: "Ich gehe immer auf die gleiche Reise, aber wie Tom Waits sagt, in einem Lied gibt es mehrere Lieder, und so gibt es in der gleichen Reise auch mehrere Reisen. Es geht in allen Büchern von mir um eine Reise, dieses Mal hat es nur ein bisschen länger gedauert."

Kranke Wörter

Die bisschen längere Reise, die Özdamar in ihrem Roman beschreibt, hat sie zuerst aus einem anatolischen Dorf nach Istanbul geführt. Dort wurde sie Schauspielerin, lernte Brecht lieben und die deutsche Sprache, 1971 kam es aber zum Militärputsch in der Türkei, der sie von ihrer Muttersprache entfremdete.

"Die Macht kommt und die Mächtigen machen erst einmal deine Sprache kaputt", sagt Özdamar. "Die verbieten dir ja etwas. Und so bin ich mit meinen türkischen Wörtern und meinen deutschen Wörtern nach Deutschland gegangen."

Deutschlernen auf der Bühne

1976 kam sie so nach Berlin, wohnte im Westen und pendelte jeden Tag an die Volksbühne im Osten. Die Mauer nahm sie als eine Mauer aus Zeit wahr, sagt sie, da herrschten unterschiedliche Epochen und Rhythmen, oft wunderte sie sich, dass auf beiden Seiten das gleiche Wetter war.

Die Sprache erlebte sie damals als körperliche Erfahrung: "Ich bin der deutschen Sprache auf der Bühne begegnet, weil ich schon seit meiner Kindheit auf der Bühne gestanden bin, zuerst in der Türkei und später hat sich mein Traum erfüllt, mit einem Brecht-Schüler zu arbeiten, weil ich zu Benno Besson an die Berliner Volksbühne gekommen bin."

Büchner als lebenslanger Begleiter

Mit Benno Besson ging Emine Sevgi Özdamar nach Paris, die Sprache der großen deutschen Dramatiker wurde ihre Heimat. Neben Brecht waren das vor allem Kleist und Büchner. Deshalb hat der Büchner-Preis auch einen besonderen Wert für sie. "Das ist ja einer der Schriftsteller, die mich ein Leben lang begleitet haben. Monatelang habe ich mich etwa mit Woyzeck beschäftigt, damals als Mitarbeiterin von Matthias Langhoff am Schauspielhaus Bochum, in der Zeit als Peymann dort Intendant war."

Bereits 1991 gewann Özdamar den Bachmann-Preis, im Jahr darauf erschien ihr Romandebüt "Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus."

Als zwölfte Frau prämiert

Özdamar ist die zwölfte Frau, die mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wird. Zu den Preisträgern gehören u.a. Max Frisch (1958), Günter Grass (1965) und Heinrich Böll (1967) sowie zuletzt Rainald Goetz, Marcel Beyer, Jan Wagner, Terézia Mora, Lukas Bärfuss und Elke Erb. Im vergangenen Jahr erhielt der Grazer Schriftsteller Clemens J. Setz die begehrte Auszeichnung.

Seit 1951 vergibt die Akademie für Sprache und Dichtung den Preis an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Die Preisträger müssen "durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten" und "an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben", heißt es in der Satzung. Der Preis wird vom Bund, dem Land Hessen und der Stadt Darmstadt finanziert.

Namensgeber ist der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner ("Woyzeck"). Er wurde 1813 im Großherzogtum Hessen geboren und starb 1837 in Zürich.

Text: Wolfgang Popp, APA, Redaktion

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Georg-Büchner-Preis
Wikipedia - Emine Sevgi Özdamar

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