PETER W. CZERNICH
Roman
"Boum" von Lisa Eckhart
Mit ihrem zweiten Roman legt die Autorin und Kabarettistin Lisa Eckhart einen trashig-bizarren Anti-Entwicklungsroman vor.
22. September 2022, 02:00
Lisa Eckhart ist das, was man "umstritten" nennt. Im Jahr 2020 stand die provokationsfreudige Künstlerin im Zentrum eines Cancel-Culture-Skandals: Nachdem Aussagen von Eckhart in der ARD-Sendung "Mitternachtsspitzen" als antisemitisch kritisiert wurden - ein Vorwurf, den die Künstlerin bestreitet - luden die Veranstalter eines Hamburger Kulturfestivals die bereits eingeladene Lisa Eckhart wieder aus. Eine hitzige Feuilleton-Debatte folgte.
In den letzten zwei Jahren haben sich die Aufregungen um die Schriftstellerin und Kabarettistin wieder etwas gelegt. Eine Beruhigungsphase, die Lisa Eckhart zum Schreiben ihres zweiten Romans "Boum" genützt hat.
"Es muss immer einen Tick drüber sein",
Lisa Eckhart
Klischeegefahr
Lisa Eckhart hat ein paar Textzeilen aus Charles Trenets Schlager "Boum" aus dem Jahr 1938 als Motto für ihren Roman gewählt. Ganz so harmlos wie bei Trenet geht es bei Eckhart allerdings nicht zu. "Boum", das Buch, ist ein trashig-bizarrer Anti-Entwicklungsroman, eine comicartige Hommage an die französische Hauptstadt, ein abgründiger Paris-Krimi, - was naturgemäß eine gewisse Abgelutschtheits- und Klischeegefahr mit sich bringt.
"Ich war mir der Gefahr natürlich bewusst", sagt Lisa Eckhart, "und die war ein Grund, warum ich das schreiben wollte - weil ich eine doppelte Mission gesehen habe: Ich wollte Paris wieder verzaubern, nach all denen, die meinten, sie müssten den Mythos dekonstruieren. Und ich wollte es natürlich auch befreien von der kitschigen Disney-Romantik. Ich finde, Paris hat beides nicht verdient."
ZSOLNAY VERLAG
Als wäre Houellebecq auf Ecstasy
Die Stadt der Lichter und der Liebe wird bei Lisa Eckhart von einer Serie von Morden in Atem gehalten, als ihre Protagonistin, eine Steirerin namens Aloisia, in der Seine-Metropole eintrifft. Die Opfer des angeblichen Serienkillers, der von der Presse "Le Maestro Massacreur" genannt wird: allesamt Straßenmusiker. Auf 360 Seiten gerät Eckharts Heldin in turbulente Verwicklungen; mit den Musikantenmorden haben die ebenso zu tun wie mit einer gewaltlüsternen Bettlermafia, die in den Katakomben der Stadt ihr Unwesen treibt - und mit einer obskuren Modelagentur, in deren Dienste Aloisia tritt. Streckenweise lesen sich die 360 Seiten so, als wäre da Michel Houellebecq auf Ecstasy zugange.
Wobei man grundsätzlich sagen muss: Es wird unglaublich viel fellationiert und kohabitiert in diesem Roman. Eine gewisse "Schweinderlhaftigkeit" sei ihr - wie bereits in ihrem Debütroman "Omama" - wichtig gewesen, bekennt die Autorin: "Wobei ich meine, dass die Schweinderhaftigkeit sich insofern entwickelt hat, als sie im vorherigen Roman eher anal war und jetzt genital ist. Und das ist laut Freud schon eine Entwicklung und auch Bildung meinerseits. Also, da hat sich schon was getan."
Mit Bedacht geschmacklos
Dass Lisa Eckhart Paris-Enthusiastin ist, merkt man auf jeder Seite des Buchs. Vier Jahre lang hat die Autorin und Kabarettistin nach ihrer Matura die französische Hauptstadt unsicher gemacht. Heute lebt Eckhart in Leipzig, aber nicht mehr lange, wie es aussieht. Lisa Eckhart: "Meine Sehnsucht nach Frankreich - ich dachte, ich könnte sie lindern durch den Roman, sie ist aber noch schlimmer geworden. Insofern werde ich die Kabarett-Karriere in ein paar Jahren einfach nach Frankreich auslagern."
Wie die Kabarettistin Lisa Eckhart kommt auch die Autorin Lisa Eckhart ohne Provokationen und bedachtvoll gewählte Geschmacklosigkeiten nicht aus. Wobei das immer auch eine Frage der Dosis ist. In "Boum" ist es fast schon ein bisserl viel.
Service
Lisa Eckhart, "Boum", Roman, Zsolnay-Verlag, Wien