Cellohals

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Neue Musik auf der Couch

Sky Macklay: "Many Many Cadences"

Wie der Titel schon verrät, enthält dieses Werk der amerikanischen Komponistin Sky Macklay jede Menge Kadenzen; alleine in der ersten Phrase erklingen 15 Kadenzen in 12 Sekunden.

Genau betrachtet sind diese Kadenzen in erster Linie sogenannte Ganzschlüsse, also harmonische Wendungen hin zu einer I. Stufe, wobei die tatsächliche Ausarbeitung dieser Schlüsse eine erstaunliche Vielfalt zeigt. Nicht nur unterschiedliche Arten der Ganzschlüsse, sondern auch in unterschiedlichen Tonarten stehen diese 15 Kadenzen zu Beginn des Werkes; Tonarten, deren zugrunde liegendes Ordnungsprinzip als "Kleinterzzirkel" bezeichnet werden kann.

Das Werk hat eine sehr klare dreiteilige Form. Der A- und A'-Teil (also der erste und dritte Teil) bestehen aus von oben nach unten sausenden Kadenzphrasen, die jeweils aus der Zusammensetzung verschiedener Schlusswendungen gebildet sind. Die entspannende Bewegung hin zu einer ersten Stufe hat eine Entsprechung im sinkenden Gestus der Musik: Die Musik scheint herabzufallen - "cadere", würde der Lateiner sagen, womit auf eine eigentümliche Verbindung der Schlusswendungen (=Kadenzen) mit dem Fallen (=cadere) der Musik hingewiesen sei.

In beiden A-Teilen kommt es, so die Komponistin, zu dekonstruktiven, also zersetzenden Prozessen: Im ersten Teil verlassen immer mehr Instrumente das Kadenzspiel und vereinigen sich in kontrastierendem Material, wodurch gegen Ende dieses Prozesses nur mehr die Erste Violine stur an ihrer Bestimmung festzuhalten scheint. Im A'-Teil sind es Glissandi, die eine immer wichtiger werdende Rolle spielen, wodurch die am Beginn des Werkes so klaren Kadenzverbindungen schließlich im wahrsten Sinn des Wortes "weggewischt" werden.

Der Mittelteil ist gleichzeitig ruhig und gleichzeitig extrem rasch: So treffen hier leise, zeitlupenartig gedehnte auf ausgesprochen laute und rasche Kadenzen. Während in den Eckteilen des Werkes bunte Tonartenkollektionen anzutreffen sind, ist der Mittelteil von tonartlicher Reduktion geprägt. Im Gegensatz zum fallenden Gestus der Eckteile wandert die Musik im Mittelteil in immer höhere Regionen.

"Many Many Cadences" ist ein rasantes und humorvolles Werk, das - vereinfacht gesagt - als posttonale Komposition bezeichnet werden kann: Posttonal allerdings nicht im Sinne eines "Zurück zur Tonalität", sondern im Sinne einer augenzwinkernden Auseinandersetzung mit Basisbausteinen der tonalen Musik. Das Ergebnis ist in den Worten von Sky Macklay "surreale Tonalität": ein "unbeschwertes" Stück, welches "Material mit einem historischen Rucksack" verwendet.

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