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Nähe und Distanz im Journalismus
Das Medien-Unbehagen hat System
"Vermutlich wird es auch diesmal so sein wie in der TVthek. Nach sieben Tagen ist alles wieder verschwunden." Verdrängen und Vergessen. Der ORF-Satiriker Peter Klien bringt es bei der Verleihung des Leopold-Ungar-Preises auf den Punkt. Eine Branche, die am Tiefpunkt angelangt ist, will sich wieder einmal davonstehlen. Bekenntnisse zu mehr Sauberkeit und journalistischer Distanz bleiben oberflächlich.
2. Jänner 2023, 02:00
Weil niemand an die Wurzel des Problems geht, sagt Sylvia Steinitz: "Diese gesamte Medienbranche braucht einen Selbstreinigungsprozess, den sie aber nicht alleine durchführen kann. Und hier ist die Krux der ganzen Sache. Die Zustände in den Medien, die der entsetzte Konsument jetzt mitbekommt, sind eine direkte Folge dessen, wie in diesem Land Politik gemacht wird."
Zwischen Mitspielen und Aussteigen
Steinitz war Chefredakteurin der Zeitschrift "Wienerin", ist dann zum deutschen "Stern" nach Hamburg gegangen. Heute ist Steinitz nicht mehr im Journalismus. Zurück in Österreich hat sie für sich einen Schlussstrich gezogen. Auslöser waren versuchte Einflussnahmen auf die Redaktion. Steinitz sagt: "Im Endeffekt kannst du dann halt wirklich nur für dich einsam die Entscheidung fällen. Mach ich weiter? Wer hat was davon? Oder sage ich, ich kann da einfach nicht mehr mitspielen und steig aus?"
Berichterstattung gegen Anzeigen
Wobei Steinitz sich nicht über andere erheben will, jede Chefredakteurin kämpfe auf ihre eigene Weise und nicht jeder, der sich um Inserate der Politik bemühe, schreibe auch alles, was die wollen. "Allerdings muss man auch sehen, dass viele Medien vor allem deswegen noch am Leben sind und existieren - vor allem Printmedien -, weil sie so agieren. Weil sie Berichterstattung gegen Anzeigen liefern, weil sie sagen: Wir brauchen jetzt eine Imagekampagne, warum das Wiener Wasser so super ist."
Dramatischer Verlust an Reichweiten
Am Ende sind alle Gefangene des Systems. Der Medienrechtsexperte Nikolaus Forgo beschreibt die Folgen dieser Abhängigkeit mit drastischen Worten: "Ein dramatischer Verlust an Reichweite bei allen klassischen Medienformaten. Ein dramatischer Verlust an Vertrauen in diese klassischen Medienformate. Bei gleichzeitig immer größer werdender Kompensation der entstehenden Lücken durch öffentliche Zuzahlungen."
Vertrauen in die Medien an der Kippe
Auch für den Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner sind die Reaktionen der Branche auf das, was passiert ist, nicht angemessen. "Ich glaube, dass der Journalismus einen Vertrauensverlust hat, der so extrem ist, dass er an der Kippe steht in Österreich, in vielen Bereichen. Also, dass sich die Frage stellt, nicht nur welche Titel werden aufrechterhalten können, sondern: Was bleibt überhaupt in welchen Feldern noch, um adäquat Öffentlichkeit herzustellen?"
Wer kommt jemals aus dem Käfig heraus?
Transparenzblogs und Podiumsdiskussionen über die Zukunft des Journalismus seien schön und gut, würden aber viel zu kurz greifen. Kaltenbrunner spricht von einem Käfig, in den sich die Medien in Österreich sperren haben lassen. "Wer aus diesem Käfig herauskommt, das wäre noch anzuschauen. Ich befürchte, viele nicht mehr, weil sie schon jetzt Dead Men Walking sind. Es sieht nur so aus, als gäbe es ein stabiles Geschäftsmodell, das von privaten Finanzierungen leben kann." Das sei aber oft nicht mehr der Fall oder viel zu schwach ausgeprägt.
Die Medienpolitik zementiert alte Strukturen
Wenn von den Umsätzen großer Medienhäuser bis zu 30, 40 Prozent von der öffentlichen Hand stammten wie in Österreich, dann bestünden da Interessenslagen, an denen der Journalismus sehr oft zerbreche, sagt Andy Kaltenbrunner. Und die Regierung zementiere das mit der aktuellen Medienpolitik ein, die genau von diesen Interessenslagen getrieben sei - das kritisiert auch Nikolaus Forgó, Professor an der Universität Wien: "Es wird weiterhin gefördert. Es werden weiterhin vor allem klassische Medien gefördert. Es wird die öffentlich-rechtliche Diskussion um den ORF weiter hinausgeschoben, ohne dass man genau weiß, warum eigentlich. Und es ist nicht so, dass jetzt an irgendeiner entscheidenden Stelle aus meiner Sicht wahnsinnig viel an Veränderung erkennbar wäre."
Fördergelder werden intransparent vergeben
Innovative Medienprojekte schauten bei der Förderung durch die Finger, so die Kritik. 53 Millionen Euro an digitaler Transformations-Förderung gehen dieser Tage an traditionelle Medienhäuser mit Schwergewicht Boulevard. Welche Projekte gefördert werden, ist völlig intransparent. Andy Kaltenbrunner: "Wer aus diesem Topf was kriegt und nicht erklären kann, wofür er das gekriegt hat und was er damit vorhat, dem würde ich das Geld sofort wieder entziehen, denn er ist nicht glaubwürdig."
VGN-Pirker für Offenlegung, aber im Nachhinein
Der Verleger Horst Pirker, ihm gehört der VGN-Magazinverlag, stimmt grundsätzlich zu: "Ja, das sollte, glaube ich, transparent gemacht werden. Wir zum Beispiel haben uns extrem viel Mühe gemacht, hier wirklich umfassende Konzepte vorzulegen und nicht nur Überschriften. Bei uns sind viele Ressourcen in die Vorbereitung dieser Projekte gegangen und werden viele Ressourcen in die Umsetzung dieser Projekte gehen." Aber, so Pirker, zuerst die Umsetzung, dann die Transparenz. Man stehe schließlich im Wettbewerb.
"Einstieg für neue Wettbewerber verhindert"
Der Verleger von Magazinen wie "Woman" und "News" kann auch die Kritik nicht nachvollziehen, dass reine Online-Medien von der üppigen Transformations-Förderung nicht profitieren. "Es wäre ja, wie wenn ich die Zugfahrt von Wien nach Linz fördere. Auch für die, die in Linz wohnen." Andy Kaltenbrunner hält dem entgegen, dass mit solchen Förderungen zugleich der Einstieg für andere Wettbewerber verhindert werde. "Es ist eine wirkliche Marktregulierung." Da prallen eben die Welten aufeinander. Die alte kämpft ums Überleben, nicht nur mit öffentlichen Inseratengeldern und Förderungen.
Der Lokalsender LT1 und das schlechte Gewissen
Es gibt weitere Beispiele: So wurde der oberösterreichische Lokal-TV-Sender LT1 von #doublecheck dabei ertappt, dass er bezahlte Beiträge auch über Veranstaltungen mit Politikerbeteiligung ungekennzeichnet ins Netz stellt. Da wird mit Produktionsaufträgen gearbeitet, die Interview-Partner werden den JournalistInnen vorgegeben. Von den Kunden findet keiner etwas dabei, das läuft halt so. Der LT1-Geschäftsführer hat aufgrund der #doublecheck Recherche schnell einmal die Website offline genommen, der Sender kassiert auch Förderungen aus dem Privatrundfunkfonds und hat also nicht nur einen Ruf zu verlieren.
Die Einladungen der Kunststoff-Firma an den Golf
Oder wenn die oberösterreichische Kunststoff-Firma Greiner fünf Journalisten zum Klimagipfel nach Sharm-el-Sheikh einlädt - unter anderem die "Oberösterreichischen Nachrichten" und die Tageszeitung "Die Presse" haben das angenommen. Berichterstattung erwarte man sich dafür nicht, sagt Greiner auf Nachfrage. Was man sich dann erwarte? Eine breitere Debatte über Klimaschutz, lautet die offizielle Antwort. Das Interesse für Greiners Nachhaltigkeitsstrategie folgt von allein. Und der Journalismus sitzt wieder einmal in der Falle.
Die Nebenjobs der Fernseh-Promis
Und das gilt auch für Nebenbeschäftigungen von ORF-Fernseh-Promis, die gern für Moderationen von Veranstaltungen gebucht werden. Nicht immer erregt das so viel Aufmerksamkeit wie zuletzt, als Claudia Reiterer von "Im Zentrum" in den Räumen der Wirtschaftskammer eine Firmen-Präsentation moderierte und der Event von Klimaschützern und -schützerinnen gekapert wurde. Der Anschein war fatal, stand doch auch Kammer-Präsident Harald Mahrer für Begrüßungsworte auf der Bühne, und Reiterer als Herrin des Mikrofons ergriff Partei für den Hausherrn. Der ORF-Ethikrat befasst sich gerade mit dem Fall und könnte sich aus diesem Anlass die Praxis der Nebentätigkeiten insgesamt genauer anschauen.
Wenn der ÖVP-Altpolitiker für die TT Fragen stellt
Wobei das nicht allein den ORF betrifft, auch die Leute von den Privatsendern sind gefragt und machen ihre Nebenjobs. Bis hin zu Vertretern und Vertreterinnen von Zeitungen, die zuletzt bei einer sogenannten Klimakonferenz der Wirtschaftskammer als Leiter von Diskussions-Panels zu sehen waren. Eine Veranstaltung, die Kritiker schlicht als "Greenwashing" bezeichnet haben. Und noch ein Gustostückerl: Die "Tiroler Tageszeitung" veranstaltet in ihrer Dependance in Wien regelmäßig Gespräche mit Bundesministern und Ministerinnen, die Fragen stellt dabei einer der beiden TT-Chefredakteure - und immer auch der ÖVP-Altpolitiker Andreas Khol. Niemand findet was dabei.
Das Neue wächst und leuchtet das Dunkel aus
Vor diesem rauen Hintergrund muss sich die neue Medien-Welt durchkämpfen. Das journalistische Online-Projekt "Tag eins" etwa startet im neuen Jahr, Crowdfunding macht es möglich. Das inklusive Projekt "andererseits" wiederum sorgt journalistisch für Furore: Mit einer Doku über "Licht ins Dunkel" und Kritik am veralteten Bild, das die Top-Marke des ORF seit fünf Jahrzehnten von Menschen mit Behinderung vermittelt, hat es die Redaktion bis in die "Zeit im Bild" mit ihrem Millionenpublikum geschafft. Bis vor kurzem war das undenkbar. Und ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat als Reaktion auf die Doku einen Runden Tisch für Jänner angekündigt, wo breit diskutiert werden soll, wie man mit "Licht ins Dunkel" in die Zukunft gehen könne.