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Klimajournalismus
Zwischen Ignoranz und Empörung
Noch nie gab es so viel Klimajournalismus wie jetzt. Dennoch läuft in der Berichterstattung vieles falsch, wenn etwa die Aufregung über Klimaproteste in Museen und auf der Straße mehr Aufmerksamkeit bekommt als die Gründe dafür. Oder wenn Prominente in Talkshows die Wissenschaft in Frage stellen. Und wer kann Verzögerungstaktiken und Framing-Versuche der Politik entlarven? Redaktionen stehen vor großen Herausforderungen.
2. Jänner 2023, 02:00
Luisa Neubauer ist der Star der deutschen "Fridays for Future"-Bewegung. Auf der Klimakonferenz in Sharm-el-Sheikh in Ägypten steht sie oft in der ersten Reihe und prangert dort nicht nur die Politik an, sondern auch die Medien. Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland RND sagt sie, "dass es nicht angehen kann, dass wirklich medial jeder Ausweg versucht wird, den man nur irgendwie finden kann, um von dem eigentlichen Thema abzulenken".
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Ausreden und falsche Fährten
Ausreden gibt es viele: zum Beispiel den medialen Aufschrei rund um die Proteste in Museen und auf der Straße. Oder Argumente wie von der österreichischen Journalistin Anna Schneider, die für die deutsche Tageszeitung "Die Welt" schreibt. In der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger schlägt sie vor, man solle sich doch lieber auf die Anpassung an die Folgen der Klimakrise konzentrieren, anstatt "Zielen hinterherzuhecheln, die man offensichtlich nicht einhalten kann".
Zweifel an der Wissenschaft
"Unsere ganze Menschheitsgeschichte hindurch ist eine Geschichte der Anpassung", belehrt auch Starmoderator Markus Lanz im ZDF die junge Aktivistin Carla Rochel. Sie sei jung und müsse doch optimistisch sein, sagt er. Auf ihren Konter, dass man sich an vier Grad Erd-Erwärmung nicht mehr anpassen könne, und das sage die Wissenschaft, fragt Lanz: "Woher wissen die Wissenschaftler das?" Lanz kennt also die wissenschaftlichen Einschätzungen des Weltklimarates nicht, oder er ignoriert sie.
"Moderatoren müssen Fakten kennen"
Ignoranz oder Absicht, was steckt hinter den Argumenten? "So einflussreiche und wichtige Moderatoren im öffentlichen Fernsehen sollten schon die Zusammenhänge und Fakten der Klimakrise kennen", sagt Sara Schurmann - die Klimajournalistin und Autorin tourt durch Deutschlands Nachrichtenredaktionen, um aufzuklären. Viele alt-eingesessene Journalisten und Journalistinnen, die seit Jahren jeden Tag die Welt erklären, würden sich schlicht nicht eingestehen, dass ihnen das Wissen fehlt, meint Schurmann.
Einordnen statt Meinungen verbreiten
Sandra Maischberger hat darüber hinaus Anna Schneiders Zitat unkommentiert auf Twitter geteilt, was ihr viel Kritik eingebracht hat. "Sie müsste darauf reagieren können und es entsprechend einordnen können und in einen Rahmen zurückführen, der wissenschaftlich gedeckt ist. Und das nicht einfach nur als Meinung durch den Raum wabern lassen und dem damit eine Legitimität geben, die diese Argumente so wissenschaftlich einfach nicht haben", meint Schurmann.
„Ich denke mir: Ist es vielleicht die falsche Herangehensweise, den #Klimawandel in erster Linie zu bekämpfen“, so die Chefreporterin der @Welt @A_nnaSchneider. Man müsse schauen, ob eine „Anpassung an den Klimawandel“ nicht sinnvoller sei.#Maischberger @DasErste pic.twitter.com/SR5auLscHk
— Maischberger (@maischberger) November 22, 2022
Verzögerungsargumente entlarven
Womit wir bei der Absicht wären: Seriöse Medien müssten außerdem klassische Verzögerungsargumente der Politik erkennen können, um sie entlarven. Etwa Verantwortung abzuschieben nach dem Motto: "Was können wir schon tun?" Hier hält Schurmann entgegen, dass Industrieländer überproportional viel verschmutzen, und das über Jahrzehnte. Ein anderes Narrativ sei die Erwartung, dass neue Technologien die Rettung seien. Das reiche nicht und gehe nicht schnell genug, argumentiert Schurmann. Oder das Argument: es sei ohnehin schon alles verloren - ein Argument, um nicht mehr handeln zu müssen. Wissenschaftliche Gegenargumente gebe es genug. Aber Klimajournalismus sei komplex und erfordere viel Wissen.
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Protestaktionen sind leichter zu erzählen
Wesentlich einfacher ist da die Diskussion über die Proteste der Klima-Aktivisten und -Aktivistinnen: Bekannte Gemälde von Van Gogh und Monet werden mit Tomatensuppe und Kartoffelbrei beworfen. Dann trifft es auch ein Gemälde von Klimt. Die Tageszeitung "Österreich" titelt: "Hier schütten Klimaaktivisten Farbe auf Klimt-Bild". Aber: nur das Schutzglas wurde getroffen. Auch hier sei journalistische Sorgfalt gefragt, sagt etwa Lukas Bayer, der das Klimajournalisten-Netzwerk in Österreich mitbegründet hat.
Das Schutzglas macht den Unterschied
Der ORF Radiosender FM4 habe es richtig gemacht - auf Instagram heißt es dort: "Schutzscheibe vor Klimt-Gemälde mit Öl beschmiert". "Damit nimmt man dem Ganzen ein bisschen den Wind aus den Segeln, würde ich sagen. Und dann sind Leserinnen und Leser vielleicht eher bereit, auch weiterzulesen, und sie bilden sich erst durch die zusätzlichen Informationen im Text ihre Meinung", sagt Bayer.
Aktivismus lenkt vom wichtigen Inhalt ab
Florian Wagner von der Gruppe "Letzte Generation" hat bei der Klimt-Aktion mitgemacht. Die "Kronen-Zeitung" hat ihn zum Interview geladen und gefragt: "Warum schütten Sie Klimt an, Herr Wagner?" Im Interview geht es mehr um die Aktion selbst als um Wagners Sorgen um die Erd-Erwärmung. "Diese ganze Debatte lenkt absolut von dem ab, was eigentlich wichtig ist", kritisiert Kommunikationswissenschafterin Valerie Hase von der Universität München. Man spricht also über das Thema, ohne wirklich über das Thema zu sprechen.
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Proteste werden nicht verstanden
"Mein Eindruck ist, dass sich die Berichterstattung sehr stark auf einzelne Aktionen konzentriert, die dann auch oft diskutiert und skandalisiert werden. Das Problem dabei ist, dass wir uns gar nicht mehr mit den Inhalten beschäftigen. Das heißt: was wird denn eigentlich gefordert und was sind mögliche Lösungen", sagt Hase. Die Proteste würden nicht verstanden und sollten daher "Formen annehmen, die stärker mit Klimawandel zu tun haben".
"Klima-RAF": Der Vergleich mit Terroristen
Dass die Botschaft der Proteste nicht wirklich ankommt, zeigt auch eine Market-Umfrage, nur ein Fünftel der Befragten hält die Proteste für richtig, die große Mehrheit glaubt, dass damit nichts erreicht werden kann. Berichterstattung, die skandalisiert, trage dazu bei, sagt Hase und Worte wie "Klimakleber" schüren das Feuer. Die FPÖ spricht sogar von "Klima-Terroristen". Damit ist sie nicht allein: In Deutschland ziehen die Rechten Vergleiche zur linken Terrororganisation RAF. Ein gefährliches Spiel, denn es geht bei den Protesten nicht um Bomben, sagt Hase.
Polarisieren statt diskutieren
Anstatt eine Debatte über die Klimakrise zu führen, werde Politik gemacht: "Ich glaube, diese Labels sind selbst politisch motiviert, nämlich von denen, die sie nutzen und die, die dazu dienen, rein Klima-Aktivisten und Terroristen gleichzusetzen als Menschen, deren Handlungen nicht legitim sind und die man entsprechend stärker sanktionieren kann", sagt Hase. "Profitieren tun Politikerinnen und Politiker, die selbst polarisieren wollen, die sich in der Opposition vielleicht profilieren wollen und die vielleicht auch hoffen, eigene Lösungen und politische Lösungen gegen Klimawandel nicht vorantreiben zu müssen. "
Empörung sorgt auch hier für Klicks
Auch die linke Gegenöffentlichkeit verliert sich in Vergleichen der Protestaktionen - diesmal mit dem Widerstand von Mahatma Gandhi bis Nelson Mandela. Und es folgt wieder Empörung in der Medienblase. Die ganze Empörung habe mit Clickbait zu tun, sagt Hase. "Das wird angeklickt, das polarisiert, das bewegt die Menschen. Es ist natürlich einfacher, Menschen mit so einer Headline für sich zu gewinnen, als mit einer Headline, die wirklich über Klimawandel inhaltlich berichtet."
Weltuntergang, diesmal aber wirklich?
In der Tageszeitung "Die Presse" schreibt Franz Schellhorn: "Schön langsam weiß man nicht mehr, was schlimmer ist: die Erd-Erwärmung oder die geradezu religiöse Untergangssehnsucht einer heranwachsenden Generation." Michael Staudinger, ehemaliger Leiter der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ZAMG, versteht den Spott nicht. Er setzte sich mit den jungen Protestierenden von "Erde brennt" im besetzten Uni-Hörsaal auseinander. Puls24 hat das übertragen. Ja, Weltuntergangs-Prognosen habe es schon viele gegeben. Die Angst vorm Waldsterben, zum Beispiel.
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Medien sollen falsche Debatten entlarven
Aber diesmal sei es anders, sagt Staudinger: "Absolut anders. Um auf die Klimakrise richtig zu reagieren, braucht es in allen Sektoren wesentliche Änderungen. Das ist eine viel größere Herausforderung. Es ist auch nicht so, dass die Welt untergehen wird, sie wird nur für sehr viele Menschen, und das geht in die Milliarden, nicht mehr bewohnbar." Die jungen Leute hätten also Recht. Um das zu vermitteln, seien die Medien gefragt, die richtigen Debatten zu führen und die falschen zu entlarven.
Eigener Kodex für Klimaberichterstattung?
Eine Aufgabe, der sich immer mehr Nachrichtenredaktionen jetzt verpflichten - einige denken nun über die Einführung eines "Klimakodex" nach. Gemeinsam mit Journalisten und Journalistinnen aus mehreren Redaktionen hat das Netzwerk Klimajournalismus diese Debatte angeregt, sie wollen redaktionelle Leitlinien etablieren, ähnlich wie bei Compliance. Auch im ORF hat eine Debatte über die Klimaberichterstattung begonnen.