Glaswand im ORF Zentrum

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Dramatische Lage der ORF-Finanzen

Sturzgefahr nach dem Kassasturz?

ORF-Chef Roland Weißmann hat vor "einer der größten Finanzkrisen" des ORF gewarnt. Wegen Teuerung und sinkenden Werbeerlösen werden Zig Millionen Euro fehlen. Das kommt zu einer heiklen Zeit, weil die Finanzierung des ORF auf neue Beine gestellt werden muss. Medienministerin Susanne Raab von der ÖVP fordert nun einen Sparkurs und einen Kassasturz. Welche Folgen das für das Programm haben kann, ist unklar.

Wenn es nach den Mitbewerbern geht, dann war's das für den ORF: "Es war sehr schön, aber es geht auch ohne ORF" - schreibt die "Kronen-Zeitung". "Der ORF ist einer unter vielen" liest man in der "Kleinen Zeitung" - mit dem Hinweis, dass der ORF seine Erlöse aus einer neuen Finanzierung mit anderen Medien teilen soll, denn auch andere würden öffentliche Aufgaben erfüllen.

Die Zeitungsverlage loten die Stimmung aus

Der "Standard" hat gleich einmal das Market-Institut mit der Botschaft ins Feld geschickt: Der ORF brauche 740 Millionen statt derzeit 650 Millionen Euro pro Jahr, um sein aktuelles Angebot zu finanzieren, sonst drohten ab 2024 zwei- bis dreistellige Millionenverluste. Und dazu die suggestiv wirkende Frage: "Soll die Politik bei der neuen Finanzierung diese 740 Millionen Euro vorsehen - oder soll der ORF seine bisherigen Angebote und Strukturen durch Einsparungen reduzieren und so auf ein ausgeglichenes Budget kommen?" Drei Viertel der Befragten sagen darauf erwartungsgemäß: Der ORF soll doch sparen.

Küniglberg

ORF/JOSEPH SCHIMMER

ORF-Chef befürchtet "eine der größten Finanzkrisen"

Die dramatische Finanzlage - eine Folge der extremen Teuerung und sinkender Werbeerlöse, unter beidem leiden auch die Zeitungen - hat ORF-Chef Roland Weißmann persönlich publik gemacht. In einem Schreiben an den Stiftungsrat hat Weißmann vor - Zitat - "einer der größten Finanzierungskrisen in der Geschichte des ORF" gewarnt.

Raab: "Das Geld wächst ja nicht auf den Bäumen"

Die Antwort von Medienministerin Susanne Raab von der ÖVP kam bezeichnenderweise via "Kronen-Zeitung". Der ORF müsse sparen, sie erwarte jetzt einen Kassasturz. Wenn die ÖVP so etwas fordert, dann ist üblicherweise politisch Feuer am Dach. Im #doublecheck-Interview wiederholt Raab das Wording mehrmals. "Ich will diesen Kassasturz beim ORF, weil der ORF angemeldet hat, dass er in den nächsten drei Jahren 325 Millionen Euro zusätzlich braucht. Diese Ansage, das ist schon ein starkes Stück. Besonders in Zeiten wie diesen. Das Geld wächst ja nicht auf den Bäumen." Alle würden unter der Teuerung leiden, der ORF müsse sich fragen: "Wo kann man Kosten sparen, wo kann man effizienter sein?"

Drei mögliche Finanzierungsmodelle und wenig Zeit

Die Zeit drängt. Mit Jahresbeginn 2024 muss die neue Finanzierung umgesetzt sein, weil der Verfassungsgerichtshof entschieden hat, dass auch für das Streaming der ORF-Programme im Internet bezahlt werden muss. Es müssen also rasch die Weichen gestellt werden, damit genug Zeit für die Vorbereitung bleibt. Drei Varianten werden diskutiert: Ausweitung der GIS-Gebühr auf Laptop, Tablet und Handy - weil eben auch für Streaming bezahlt werden muss. Oder die GIS wird abgeschafft, und es kommt eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland. Da zahlt jeder Haushalt den gleichen Betrag, unabhängig von Geräten. Oder der ORF wird über das Budget finanziert, wie in vielen anderen europäischen Ländern.

Die Grünen blitzen mit Budget-Vorschlag ab

Grüne und ÖVP sind noch weit von einer Einigung entfernt: Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger hat vorgeschlagen, den ORF aus dem Budget zu finanzieren, allerdings unter der Bedingung, dass das mit Zweidrittelmehrheit abgesichert und das ORF-Budget laufend an die Inflation angepasst wird. Das lehnt Medienministerin Raab ab, indem sie betont, sie wolle nicht, dass der ORF automatisch mehr Geld bekomme: "Weil ich glaube, es ist wichtig, dass ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk einfach wirklich sparsam wirtschaftet und arbeitet."

Blimlinger: "Haushaltsabgabe wäre gescheiter"

Für Blimlinger ist die Budgetlösung deshalb aber nicht vom Tisch: "Budget-Finanzierung kann auch eine Mischung sein aus Haushaltsabgabe und Budget-Finanzierung", meint sie. Haushaltsabgabe statt GIS sei eine gute Alternative, weil die Gebühr unpopulär sei: "Da wäre es schon gescheiter, man macht gleich eine Haushaltsabgabe." Die rund 150 Millionen Euro, die von den GIS-Gebühreneinnahmen an sieben Bundesländer gehen - nur Oberösterreich und Vorarlberg beanspruchen hier nichts - sollten aus dem Budget abgedeckt werden. Ebenso wie das Geld aus der GIS, das der Bund für Kulturförderung ausgibt.

ÖVP-Grundbedingung: Der ORF muss billiger werden

Medienministerin Raab lässt sich auf solche Überlegungen derzeit nicht ein, sondern wiederholt: "Ich habe schon gesagt, was mein Fahrplan ist, der Kassasturz beim ORF. Dann werden natürlich laufend alle drei Modelle geprüft." ÖVP-Linie ist: Der ORF müsse billiger werden. Eine Haushaltsabgabe würde von mehr Menschen bezahlt als die GIS und könnte pro Haushalt weniger kosten. So eine Haushaltsabgabe vorzubereiten dauert aber, das könnte sich nicht rechtzeitig ausgehen, sagt Eva Blimlinger.

Eine Übergangslösung ist wahrscheinlich

Die grüne Mediensprecherin denkt an ein Provisorium, indem die GIS-Gebühr kurzfristig auf internet-fähige Geräte ausgeweitet wird: "Übergangsregelungen werden vielleicht notwendig sein, weil man eben sehr unter Zeitdruck steht. Es muss jedem klar sein, wo das Geld am 1. Jänner 2024 herkommt." Das hält auch der Medienexperte Leonhard Dobusch für möglich. "Man verlängert jetzt einmal die GIS für zwei Jahre befristet und inkludiert Geräte mit Internetzugang, um dem Verfassungsgerichtshofs-Urteil Genüge zu tun. Und man nimmt sich diese Zeit, die wahrscheinlich notwendig wäre, um eine Haushaltsabgabe zu entwickeln, wie man es ja in Deutschland kennt."

"Spar-Drohung als politisches Druckmittel fragwürdig"

Dass der Gordische Knoten ORF-Finanzierung mit Sparen und Kassasturz auch noch eine Drohkulisse bekommen hat, sei ein völlig falsches Signal, sagt Dobusch. Effizienz sei ohnehin das oberste Gebot. "Was ich fragwürdig finde, ist, so allgemeine Sparwünsche zu äußern, die in Wirklichkeit dann häufig auch als politisches Druckmittel eingesetzt werden" - nach dem Motto: "Wenn nicht das, das und das passiert, was dann vielleicht in Sidelettern oder mündlichen Absprachen steht, dann gibt es keine Erhöhung - die aber notwendig ist, um ein zeitgemäßes digitales, öffentlich-rechtliches Angebot überhaupt leisten zu können."

Warum der Appell über die Zeitungen?

Mit dem politischen Druckmittel hat Leonhard Dobusch einen Punkt. Immerhin hat ja die ÖVP die Mehrheit im ORF-Stiftungsrat, der Leiter des ÖVP-Freundeskreises, Thomas Zach, ist Vorsitzender des Finanzausschusses, und Roland Weissmann war ÖVP-Wunschkandidat als ORF-Chef. Warum also der Spar-Appell über die Zeitungen? Redet man nicht miteinander? Oder will die Medienministerin auf Kosten des ORF punkten? Susanne Raab wiegelt ab: "Wir haben eine sehr gute Gesprächsbasis, der Herr Generaldirektor und ich. Es ändert nichts daran, dass ich hier eine klare Meinung habe, nämlich man muss schauen, wie man die Struktur noch effizienter gestalten kann. Ein Kassasturz, das ist die Grundlage für weitere Gespräche, was die Finanzierung betrifft."

Wo überhaupt noch gespart werden kann

Ein erstes Gespräch zwischen Raab und Weißmann hat am Donnerstag stattgefunden. ORF-intern wird derzeit gerechnet. Nach zahlreichen Sparprogrammen ist der Spielraum begrenzt: In den vergangenen 15 Jahren wurden im ORF 900 Stellen abgebaut. Die letzte Gebührenerhöhung lag schon unter der damaligen Inflation, die aktuelle Teuerung schlägt voll durch. An großen Stellschrauben könne man nicht mehr drehen, hört man. Es sollen aber Arbeitsabläufe effizienter gemacht werden. Ende Februar will die Geschäftsführung dem Stiftungsrat verschiedene Finanzierungs-Modelle vorlegen.

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