PICTUREDESK.COM/WESTEND61/KRUPINA
Fehlende Abgrenzung zur Politik
Hanni, Vera und der Radio-Gärtner
Zwei Kommissionen untersuchen Grenzüberschreitungen im ORF: die Chat-Affäre um den zurückgetretenen TV-Chefredakteur Matthias Schrom ebenso wie die Vorwürfe gegen den Landesdirektor in Niederösterreich, Robert Ziegler, der eine Art "Message Control" für die ÖVP betrieben haben soll. Gleichzeitig sind im Landtagswahlkampf Unvereinbarkeiten sogenannter ORF-Stars zu Tage getreten, die jetzt auch unter die Lupe genommen werden.
13. Februar 2023, 02:00
"Die Vorwürfe in Niederösterreich haben Auswirkungen auf den gesamten ORF und erschüttern ihn in seinen Grundfesten." Das hat Gerhard Draxler in einem Doppel-Interview mit "Krone" und "Kleine Zeitung" gesagt, es ging um die Chats, Screenshots und Mails aus dem Landesstudio Niederösterreich, die im Dezember an drei Medien gespielt worden sind.
Wegen Nähe zur Landeshauptfrau vorerst entmachtet
Draxler leitet die Evaluierungskommission, die ORF-Chef Roland Weißmann sofort eingesetzt hat, um die Vorwürfe zu prüfen, die "Spiegel", "Standard" und "Presse" veröffentlicht haben. Sie zeichneten anhand der Dokumente das Bild einer Art "Message Control" im ORF Niederösterreich für die ÖVP und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Ausführender soll der frühere Chefredakteur und heutige Landesdirektor Robert Ziegler gewesen sein. Der wurde bis zur Landtagswahl entmachtet, Radiodirektorin Ingrid Thurnher führt den brisanten Teil seiner Geschäfte.
APA/GEORG HOCHMUTH
Gerhard Draxler
Mehr als 40 ORF-Mitarbeiter wollen aussagen
Die Evaluierungskommission befragt ORF-Mitarbeiter zu ihren Wahrnehmungen, mehr als 40 haben sich gemeldet. In der Kommission sind mit Ö1-Infochefin Gabi Waldner und ORF-Report-Chef Wolfgang Wagner neben Juristen und der Compliance-Beauftragten auch zwei journalistische Vollprofis, die Garanten für eine Prüfung ohne Tabus sind. Auch Vorsitzender Draxler bekennt sich dazu, er war früher Informationsdirektor und Landesdirektor in Kärnten. In der Woche nach der Landtagswahl, die ist am 29. Jänner, soll das Ergebnis vorliegen.
Im #doublecheck-Interview sagt Gerhard Draxler: Der große Befreiungsschlag, das sei Wunschdenken. Es gehe jetzt um die Journalistinnen und Journalisten in Niederösterreich: "Das ist lähmend, wenn permanent behauptet wird, sie würden nur am politischen Gängelband hängen und wären Auftragsreporter - die Politik schafft an und es wird so berichtet. Das ist der Befreiungsschlag für das Studio."
Saubere Prüfung gegen "Flächenbrand"
Wenn hier jetzt nicht sauber geprüft werde, könnte sich das alles ausweiten, sagt Draxler - "weil auch andere Landesstudios vor diesen Angriffen in der Öffentlichkeit, dieser dauernden Infragestellung ihrer journalistischen Arbeit betroffen sind. Dann kann sich das relativ rasch auch zu einem Flächenbrand auswirken. Wenn hier nicht ganz klargestellt wird in Niederösterreich: Das ist es und das ist es nicht". Seine Hoffnung ist, dass die Ergebnisse der Kommission "dazu beitragen, dass auch in anderen Landesstudios und in anderen Parteiorganisationen sichtbar wird und bewusster wird, wie mit dem ORF umzugehen ist und wie der ORF und die Journalisten im ORF mit sich selber umgehen".
Gerhard Draxler im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher
Russwurm moderiert Mega-Wahlkampfauftakt
Während einerseits brisante Aufräumarbeiten im ORF laufen, passieren ausgerechnet im laufenden Landtagswahlkampf Grenzüberschreitungen sogenannter ORF-Stars. Vera Russwurm hat in St. Pölten Anfang der Woche den Wahlkampfauftakt der ÖVP moderiert, sie ist mit der Landeshauptfrau per du und steht dazu. Dialog der beiden im blau-gelben Rampenlicht. Russwurm: "Ich darf Ihre Frau Landeshauptfrau duzen, weil wir das jetzt schon seit vielen Jahren so handhaben und uns schon sehr lange kennen. Und zudem muss ich sagen, was uns beiden wichtig ist: Authentizität und kein Versteckspiel." - Mikl-Leitner: "Liebe Vera, wir können dich noch zur Niederösterreicherin machen. Diesmal für den 29. Jänner ist es zu spät, aber vielleicht beim nächsten Mal."
Reklame mit dem ORF-Logo und für Mikl-Leitner
Und auch der "Radio-Gärtner" Johannes Käfer, der regelmäßig in Radio und TV des Landesstudios auftritt und auf seiner beruflichen Homepage sogar mit dem ORF-Logo wirbt - auch dieser ORF-Star unterstützt im Wahlkampf ganz offiziell Johanna Mikl-Leitner. Politiker haben ihre Freude mit solchen ORF-Promis, der frühere ÖVP-Obmann Michael Spindelegger hat über den Entertainer Harry Prünster auf einer Bühne einmal gesagt: "Das ist der Harry Prünster! Ich glaube, wenn wir solche Journalisten immer im ORF hätten, dann tät's uns nur gut gehen."
DEWenn Wolfgang Sobotka für die ORF-Lady schwärmt
Ein weiterer sogenannter ORF-Star aus Niederösterreich ohne Berührungsängste zur Politik ist Nadja Mader, sie moderiert auch Informationssendungen auf ORF2. Sie hat sich sogar von ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in einem Video bewerben lassen, das auf Maders Homepage zu sehen war. Bis der "Falter" das aufgedeckt hat - dann wurde es schnell von der Seite entfernt. Von Seiten des ORF heißt es auf #doublecheck Anfrage: Alle drei Fälle würden von der von Generaldirektor Weißmann eingesetzten Ethik-Kommission geprüft. Für Nicht-ORF-Angestellte wie Russwurm und Käfer gebe es derzeit keine Compliance-Regelung. Ein Fehler, wie die Stiftungsräte von SPÖ und FPÖ finden - sie fordern ein Machtwort der ORF-Führung.
Ethikrat verschärft die Gangart bei Nebenjobs
Für ORF-Mitarbeiter gibt es Regeln, und der interne Ethikrat hat letzthin in einem Mail an Führungskräfte die dringende Empfehlung ausgesprochen, "künftig restriktiv vorzugehen", nämlich wenn es um die Genehmigung von Nebenjobs geht. Anlassfall war eine von Klimaschützern gecrashte Wirtschaftskammer-Veranstaltung, die von Claudia Reiterer moderiert worden ist. Wir haben in #doublecheck berichtet.
Der Ethikrat nennt in dem Mail erstmals ausdrücklich auch Kammern, Landesregierungen, Ministerien sowie Großbetriebe und Banken als No-Gos für Nebenjobs - weil über die alle regelmäßig berichtet werde und daher automatisch der Eindruck von Befangenheit entstehe, wenn man von denen Geld nimmt. Egal ob als Journalistin oder als Moderator.
Schrom möchte trotz Chat-Affäre Sportchef werden
Weitere brisante Personalien also nach dem Aus für TV-Chefredakteur Matthias Schrom. Dessen Zukunft im ORF ist noch offen, er hat sich jetzt für den Posten des TV-Sportchefs beworben - und wäre dann Herr über Zig Millionen Euro, mit denen zum Beispiel Übertragungsrechte gekauft werden. Schrom will den Job, er betont, dass er aus seinen Fehlern gelernt habe. Eine Entscheidung für Schrom würde wegen der Chat-Affäre aber wohl auch kritisch gesehen werden.
Die besseren Karten hat deshalb Radio-Chefredakteur Hannes Aigelsreiter. Er kann zwanzig Jahre Führungserfahrung vorweisen und war zehn Jahre für den ORF-Radio Sport zuständig. Die Führung der ORF-Information wird jedenfalls komplett neu aufgestellt werden müssen - das war eine Forderung der Redaktionsversammlung.