Ausschnitt des Buchcovers "Mann im Mond"

S. FISCHER VERLAG

Kindsein mit aller Grausamkeit

Lana Bastasic: "Mann im Mond"

Die aus Bosnien stammende Schriftstellerin Lana Bastasic hat zuletzt mit ihrem Debütroman "Fang den Hasen" international begeistert und mehrere Preise gewonnen. Nun kehrt die 36-jährige Bosnierin mit ihrem dritten Erzählband "Mann im Mond" eindrucksvoll zurück zu ihrem Spezialgebiet, der Kurzprosa.

"Kinder sehen die Dinge oft klarer",
Lana Bastasic

20. Juli 1969. Das ganze Dorf kommt zum einzigen Fernseher, jenem im Haus der Eltern, um die Mondlandung zu sehen, während man die beiden Kinder in den Garten schickt. Sie sollen den Mann im Mond lieber draußen mit freiem Auge erspähen als drinnen die Erwachsenen zu stören. Also hilft der große Bruder dem kleinen beim Suchen, mit schmerzenden Rippen und blutiger Lippe von der letzten Tracht Prügel des Vaters.

Wann entsteht ein lebenslanges Trauma?

"Meine Frage war: Wann ist dieser Moment im Leben eines Menschen, wenn ein Trauma sich so tief eingräbt, dass es fast Teil der DNA wird?", erzählt die Autorin. Sie lebt mittlerweile in Belgrad und hat aus den Narben der Stadt, aus ihren Beobachtungen und eigenen Traumata die Idee zum vorliegenden Buch gewonnen.

Von den 60ern bis zur Gegenwart reicht das Spektrum der zwölf Erzählungen, jede mit unverwechselbarer Stimme und Perspektive. Im brutalen "Du" schaut Bastasic mit einer 14-Jährigen in den Spiegel, im geschwisterlichen "Wir" erfährt sie unangenehme Berührungen einer alten Tante, im zögerlichen "Ich" denkt sie an die Heimkehr eines Vaters aus dem Krieg, kurz bevor er sich in der Waschküche erhängt.

Buchumschlag

S. FISCHER VERLAG

Schiefe Zähne und kostbare Murmeln

Die Erzählerinnen und Erzähler sind zwischen sechs und 14 Jahre alt, abwechselnd Buben und Mädchen, Einzelkinder und Geschwister. Allen gemeinsam ist der Fokus auf Nebenschauplätze wie schiefstehende Zähne, das Glitzern einer Murmel oder die behaarte Zehe des erhängten Vaters.

Lana Bastasic: "Was ich von Kindern gelernt habe, ist, dass sie ja nicht mit all den Mustern und Erfahrungen beladen sind wie die Erwachsenen. Daher sehen sie die Dinge oft klarer und direkter. Sie beachten Details, die uns nicht einmal auffallen. Umso verstörender ist es für erwachsene Leser, die ja spüren, wie viel Gewalt hinter dieser Schlichtheit steckt."

Faszinierende Verstörung und ein Appell

Die Verstörung gelingt, aber das allein würde noch keine großartige Textsammlung ergeben. Bastasic zelebriert in ihren Erzählungen - jede für sich eine kunstvolle Sprachkomposition - die Kniffe und Techniken der Ellipsen und Wiederholungen, mimt abwechselnd kindliche Emotionen und abgeklärte Tonarten der Erinnerung, die Rebekka Zeinzinger behutsam ins Deutsche übersetzt hat.

Die Figuren tragen konsequent keine Namen, sondern Funktionsbezeichnungen, sind wie im Märchen Vater, Mutter, Kind, Hexe oder Fee, Held oder Bösewicht. Denn es geht um eine universelle Erfahrung, meint die 36-Jährige: "Alle Figuren, auch die Erwachsenen und selbst die Peiniger, hatten dasselbe Schicksal: Eine Kindheit, in der sie und ihre Gefühle nicht ernstgenommen wurden. All diese Kindheiten durften nicht stattfinden, weil keine Zeit war: Im Krieg oder nach dem Krieg, weil es Hunger, keinen Strom und andere Sorgen gab."

Umso lauter dringt ihr Appell zwischen den Zeilen hervor: "Besonders hier am Balkan gibt es eine starke Kultur der Scham und Ignoranz. Wenn der Nachbar seine Frau und Kinder schlägt, schauen wir lieber weg, statt die Polizei zu rufen. Aber genau darum geht es mir: Wir dürfen uns nicht blind und taub stellen, denn wir haben als Gesellschaft eine Verantwortung für die nächste Generation", sagt Bastasic, die wohl ohne es zu wissen, das Buch der Stunde geschrieben hat.

Service

Lana Bastasic, "Mann im Mond", Erzählungen, S. Fischer
Lana Bastasic

Gestaltung

Übersicht