Studiogang

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Freie Mitarbeiter im ORF

"Dann machen wir es besser"

Freie Mitarbeiter gibt es bei allen Medien, die könnten sonst gar nicht ihren Auftrag erfüllen. Wenn freie Mitarbeiter aber Strukturen aufrechterhalten, dann läuft etwas schief. Ausgerechnet beim öffentlich-rechtlichen Flaggschiff Ö1 ist jetzt offener denn je die Diskussion über schwierige arbeitsrechtliche Bedingungen für Mitarbeiter aufgeflammt, die vom ORF-Gesetz gedeckt und für das Unternehmen günstig, aber schwer erklärbar sind.

"Vergangene Woche lief mein vorletzter Beitrag für Ö1. Ich will dort nicht länger arbeiten." So beginnt eine Serie von Tweets, die Jana Wiese Mitte Jänner auf Twitter abgesetzt hat. Ihre Botschaft ist 600.000 Mal aufgerufen worden. Die junge - jetzt ehemalige - Ö1-Journalistin hat damit einen beeindruckenden Schlusspunkt hinter ein prekäres Arbeitsverhältnis gesetzt. Wiese kritisiert Bedingungen, unter denen viele im ORF gelitten haben und leiden. Sie will, dass es besser wird.

Kettenverträge sind durch ORF-Gesetz gedeckt

Es geht um freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die rechtlich gedeckt oft über viele Jahre mittels sogenannter Kettenverträge im ORF beschäftigt werden. Das ORF-Gesetz erlaubt das ausdrücklich. Zitat: "Befristete Arbeitsverhältnisse können ohne zahlenmäßige Begrenzung und auch unmittelbar hintereinander abgeschlossen werden, ohne dass hierdurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entsteht."

Menschen im Funkhaus

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Fraglich, ob es vor dem EuGH halten würde

Die Bestimmung im Paragraf 32 ORF-Gesetz ähnelt einer Regelung, die auf den Universitäten in ganz Europa üblich - und auch dort umstritten ist. Eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof hat es bisher nicht gegeben, Verfahren vor dem Arbeitsgericht haben meist mit einem Vergleich geendet. Arbeitsrechts-Expertin Sieglinde Gahleitner hat gegenüber der Kleinen Zeitung betont, Zitat: "Das ist eine Regelung, die meiner Meinung nach nicht halten würde, wenn man sie vor den EuGH bringt."

Qualitätskriterien für Anstellung von Freien?

ORF-intern ist das ein entsprechend heikles Thema, nicht viele wollen darüber offen sprechen. Christiana Jankovics, Fernseh-Betriebsrätin und Mitglied des Stiftungsrats, tut es. "Ich glaube, dass wir ein System brauchen, auf das sich die Freien verlassen können - wie ihre Karriere im Haus ausschaut. Es kann nicht davon abhängen, ob in der Abteilung jetzt gerade jemand in Pension geht, sondern es muss allgemeine Qualitätskriterien geben, nach denen jemand angestellt wird."

Das System der Freien an sich stellt Jankovics nicht Frage. Ohne ein solches komme kein Medium aus, die Frage sei, wie es gelebt wird. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele, das System sei pervertiert.

Stiege mit Mensch in Unschärfe

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Thema im ganzen ORF, nicht nur bei Ö1

Für die ORF-Geschäftsführung spricht Ingrid Thurnher, sie ist Radiodirektorin und betont, es sei ein falscher Eindruck, wenn rüberkomme, das sei nur ein Ö1-Thema. "Dem ist natürlich nicht so, diese Beschäftigungsmöglichkeiten steht in allen Bereichen des ORF offen und es ist eine Möglichkeit, die zu beiderseitigem Nutzen ganz oft ist. Es wird nicht so hörbar, aber das sollte man schon auch einmal ganz klarstellen."

Radiodirektorin Ingrid Thurnher im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher

Auch die Burgschauspielerin ist freie Mitarbeiterin

Das System ermögliche eine Vielfalt von Stimmen und Menschen, die das Programm bereichern, sagt Thurnher. Und nennt ein beliebtes Beispiel: "Die Schauspielerin aus dem Burgtheater, die Ö1 für ein Hörspiel ihre Stimme und ihre Interpretations Kraft leiht, ist eine freie Mitarbeiterin. Die ist nicht prekär bei uns beschäftigt, sondern ist im Burgtheater beschäftigt. Und ist Gott sei Dank manchmal auch bei uns zu hören." Auch Moderatoren großer Show-Events oder Ö3-Wecker-Moderator Robert Kratky seien freie Mitarbeiter und in keiner prekären Situation. Viele wollten es einfach so. Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit.

Nur Schätzungen über die Zahl der Betroffenen

Eine Größenordnung von rund 300 Personen, so schätzt der Betriebsrat, arbeiten dauernd und häufig als Freie in allen Bereichen des ORF. Insgesamt gibt es nach Betriebsratsangaben rund 520 freie Mitarbeiter, auf das Radio entfallen davon 400 - in dieser Zahl ist die von Thurnher erwähnte Burgschauspielerin aber genauso enthalten wie eine Jana Wiese. Das Fernsehen beschäftigt 120 Freie. Basis sind 400-Stunden-Jahresverträge oder 137 Stunden Monatsverträge.

Die 300 ständigen Freien sind in die Kopfzahl der rund 3000 ORF-Mitarbeiter eingerechnet, aber nur zu einem Drittel. Es scheinen also - Größenordnung, weil genau kann oder will das niemand sagen - nicht 300, sondern nur 100 im Personalstand auf. Auch das ist ein Grund, warum das Unternehmen auf Freie setzt. Die Politik diktiert dem ORF seit Jahren einen Sparkurs, die Mehrheitsfraktion im Stiftungsrat hat eine Personalreduktion um 300 Köpfe vorgegeben. Und Freie Mitarbeiter bringen bei solchen Vorgaben Spielraum. Und sie machen dann eben oft auch Regie- oder andere Routinedienste. So wie Angestellte.

Das Versprechen der Geschäftsführung

Auch die Radiodirektorin weiß, dass nicht alles rund läuft. Ingrid Thurnher sagt: "Ja, es gibt immer wieder den Wunsch auch dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nach längerer Zeit fix im ORF angestellt zu werden. Das kann ich total verstehen, das kann ich auch sehr gut nachvollziehen. Aber welche anderen Rahmenbedingungen der ORF gerade hat, das ist ja auch nicht unbekannt. Und dass das nicht ganz so einfach ist, glaube ich, ist uns allen bewusst. Ist auch der Geschäftsführung bewusst. Und wir überlegen jetzt natürlich, wenn es da tatsächlich eine anhaltende Problematik damit gibt, schauen wir uns das sehr genau an und wenn wir es besser machen können, dann machen wir es besser."

"Probezeitraum mit Anstellungs-Perspektive"

Man kann es besser machen, sagt Betriebsrätin Jankovics. Ihr Vorschlag: "Ich stelle mir vor, dass man einen Probezeitraum hat. Zwei Jahre, drei Jahre, fünf Jahre, je nachdem - wo jemand freier Mitarbeiter freie Mitarbeiterin ist und danach das Angebot für eine Anstellung bekommt." In der vorgegebenen Zeit könne sich der oder die Freie verdienstmäßig orientieren und inhaltlich bewähren, oder es stelle sich eben rechtzeitig heraus, dass die Mitarbeit nicht von längerer Dauer sein werde.

Christiana Jankovics grundsätzlich: "Immer am Gängelband hängen und hören: möglicherweise wirst du jetzt bald angestellt - oder: wenn du jetzt gehst, aber in zwei Monaten hätte es sich verbessert - diese Unsicherheit und dieser Druck ist etwas, was dieses Freie-Mitarbeiter-Dasein für die Leute unerträglich macht."

Was die Kettenverträge für Folgen haben

Jana Wiese wollte nicht mehr am Gängelband hängen, sie will auch nicht im Interview darüber reden. Was sie sagen wollte, das hat sie aufgeschrieben: Die Kettenverträge können Probleme mit der Sozialversicherung bringen, weil die An- und Abmeldung nicht klappt - zweimal war sie beim Arzt und die E-Card nicht gültig. Ein konstantes Einkommen zu planen, ist eine ständige Herausforderung und Belastung. Die Honorare kriegt man pro Sendung, sie entsprechen oft nicht dem realen Zeitaufwand. Versuche des Betriebsrats, einen besseren Honorarkatalog zu verhandeln, sind bisher ergebnislos geblieben. Das ist auch ein Match Radio gegen Fernsehen, wo traditionell bessere Honorare gezahlt werden.

Beiträge der Kritikerin nicht mehr auf Sendung

Jana Wiese hat schon während ihrer Zeit im ORF gegen diese Verhältnisse gekämpft, sie war - wie man so sagt - eine Unbequeme. Ihre Beiträge dürfen vorerst nicht mehr auf Ö1 gespielt werden, eine entsprechende Anweisung hat die Radiodirektorin an die Redaktionen ausgegeben, die Order ist bei den Ö1-Sendungsmachern auf Unverständnis gestoßen.

Jana Wiese hat es als eine Art Demütigung empfunden, sie ist immer noch stolz auf ihre Werke. Warum also dieser Schritt, fragen wir Ingrid Thurnher. "Da ist ja kein Beschäftigungsverhältnis mehr mit dem ORF und ich bin mir nicht ganz sicher, ob man da nicht irgendwelche rechtlichen Probleme haben würden. Das würden wir lieber vorher klären." Also wenn das geklärt ist, spricht nichts dagegen, Beiträge von Wiese etwa zu wiederholen? "Ja, zum Beispiel", sagt Thurnher.

Viele haben sich mit dem Zustand abgefunden

Die wenigsten Betroffenen haben den Mut, einen ähnlichen Schritt zu setzen. Die meisten hätten sich mit dem System und den Widrigkeiten abgefunden, schreibt Wiese. Zitat: "Das kann ich verstehen, denn wenn man im Dauerstress nur immer gerade so über die Runden kommt - finanziell und kräftemäßig -, bleibt wenig Energie übrig, sich gegen das System aufzulehnen, das für diese Bedingungen sorgt." Nicht alle nehmen es hin. Schon vor der Wahl des Generaldirektors im Jahr 2021 haben rund 40 junge ORF-Journalistinnen und Journalisten bei den Kandidaten für den Chefposten gegen ihre prekären Arbeitsverhältnisse protestiert.

Kritische Initiative nützt den lauten Abgang

Der damalige ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat Besserung versprochen, sein Nachfolger Roland Weißmann - damals Vize-Finanzchef - ebenfalls. Er würde sich als Generaldirektor "natürlich jeden einzelnen Fall sehr genau anschauen. Mein Prinzip ist: Wer für den ORF arbeitet, muss auch davon leben können" - so wurde Weißmann damals zitiert. Es hat dann Verbesserungen für etwa ein Dutzend Verträge gegeben, aber strukturell hat sich nichts geändert. Die Initiatorinnen und Initiatoren von damals wollen die ORF-Geschäftsführung jetzt wieder daran erinnern. Der laute Abgang von Jana Wiese hilft dabei.

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