Willi Resetarits

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Willi Resetarits. Zum ersten Todestag

Die ehrliche Fiktion. Erinnerung an Willi Resetarits, als er noch Ostbahn-Kurti war

Der große Saal des Gasthauses Schachinger in Garsten, Oberösterreich. Intro der Chefpartie, "I brauch kan Dokta", soweit ich mich erinnere. Der Kurti tritt auf, Jubel. Seine ersten Worte: Danke! Und selber?" Und die Fiktion ist da. Der Ostbahn-Kurti nimmt den Jubel als routinemäßiges "Wie geht’s?" und antwortet ebenso beiläufig. Die Nähe, die er fingierte, war ehrlich und überwältigend.

Man bedenke. Mitte der 1980er Jahre war die Zeit der Revivals der wichtigsten Rockbands, ihre Konzerte wurden zu Mega- und Mehrgenerationen-Events. Mick Jagger war auf der Bühne entweder als tobende Ameise oder - bequemer - auf riesigen Screens zu sehen. Kennen Sie das? Sich immer wieder zusammenreißen müssen, um nicht dauernd auf die Screens zu schauen, sondern auf die Bühne, weil wozu ist man sonst live dabei?

Der Ostbahn-Kurti bestand aus zwei Teilen

Beim Ostbahn-Kurti und der Chefpartie war es anders. Erstens kam man relativ leicht nah an die Bühne heran. Obwohl, es waren oft sehr viele Leute da, und es war schon sehr eng vor der Bühne. Das erwähnte er dann, wieder eher beiläufig. "A bissl a Drängerei is. Scheiße." Und passt. Der Kurti sorgte sich um sein Publikum.

Abseits der Bühne war er zugänglich, was er viele Jahre überhaupt nicht mühsam fand. Zwar gab es die Grenze zwischen dem Kurti und Willi Resetarits, aber der Fan als solcher ist auf Entgrenzung aus. Eine Ahnung davon bekommt man in der Nummer "Inkognito". Wobei die grenzgenialen Texte bekanntlich von Günter Brödl sind. Na endlich, dass ich bei ihm bin. Der Ostbahn-Kurti bestand ja aus zwei Teilen, je zur Hälfte aus Günter Brödl und Willi Resetarits. Brödl machte Fan-Erfahrungen nicht ganz so unmittelbar wie Willi. Klar. Aber er wusste sie sehr dicht zu beschreiben:

Scho hockt se ane zuwe
Da Freind hockt se dazua
Sie wü ois von mia wissen
Und er mant 'Gö, du wüst a Ruah?'
I sog: "Ah wos Ruah, des gibt’s ned
Bis muagn in da Fruah."

(aus: "Inkognito")

Der Rockstar hat nie frei

Ehrlichkeit kann einem auf den Kopf fallen. Denn die ehrliche Fiktion ermöglicht Nähe, verpflichtet aber auch zum Mitmachen. Der Rockstar hat nie frei. Diese Fiktion ließ sich nicht auf Knopfdruck auflösen. Dafür war sie zu ehrlich. Also musste sich die Band in ihren frühen Jahren auf das Leben von Rock ’n’ Rollern konzentrieren. Eine anstrengende Beschäftigung. Ein positiver Nebeneffekt davon war, dass Willis Stimme etwas nachdunkelte. Eine späte Ernte davon ist Ernst Moldens "Rudschduam". Auch der Hammer, aber bis dahin war zum Glück noch viel Zeit.

Die Musik der Chefpartie war laut. Live in einigen wenigen Fällen leicht gehudelt. Das Lied "Waun i g’spia" zum Beispiel. Egal. Das vergisst man sofort bei "Des ollas zöht nix" (nächster Track auf der CD "1985 Live & Studio"). Da erfährt man, welche Schubkraft der Bass von Karl Horak hat. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Eduard Jedelsky und ihm. Und wer wissen will, was ein Ziehharmonika-Riff ist, nehme Mario Adretti in "Erschte Klass" - bei einem Konzert 1993 in München mit kurzem Rock-Ballett à la Status Quo: Marschall, Adretti, Karasek. Ein Traum.

Willi Resetarits war Perfektionist

Viel später, in der Radiosendung "Trost und Rat von und mit Dr. Kurt Ostbahn" jeden Sonntagnachmittag unter der mild-souveränen Obhut von Kurt Reissnegger, antwortete der zum Dr. Kurt Ostbahn gereifte Willi Resetarits auf die Frage einer Hörerin, ob denn die Rockmusik immer so laut sein müsse; er selbst leide ja sehr unter dem Lärm auf der Bühne. Aber das glaube ich ihm nicht, jedenfalls für damals. Könnte man Rock ’n’ Roll auch leiser spielen? Ja, kann man. Aber nicht wirklich. Sagt Leopold Prinz Karasek (Gitarre).

Willi Resetarits war Perfektionist. Das Projekt wurde immer genauer. Die Texte von Günter Brödl waren immer schon präzise und unfassbar klug. Damit sind wir zurück bei der Fiktion und der Ehrlichkeit. Das Projekt Ostbahn-Kurti und die Chefpartie stammt aus einer Zeit, in der die Einsicht, dass Wirklichkeit eine Konstruktion ist (wenn auch keine beliebige), noch Teil eines emanzipatorischen Projekts war. Es ging um die Überwindung von platten Gewissheiten und falscher Alternativlosigkeit. Niemand konnte sich vorstellen, dass es bei "alternative facts" enden würde.

Ehrliche Geschichten

Die Texte des Ostbahn-Kurti erzählen Geschichten, die zusammengenommen seine eigene Lebensgeschichte und sein ihn umgebendes Milieu ergeben. Es sind in erster Linie also ehrliche Geschichten, weil sie davon erzählen, wie es wirklich ist. Schon deshalb sollte man "Du bist ka Engel" hören, auch des fantastischen Gitarrensolos von Lilli Marschall wegen. Es ist leider zu kurz, aber dafür entschädigen die Gitarren auf "Voll do". Vom ORF mit einem Bann belegt wurde Bertl Braun, weil

So an Büd von an Mann
Krault a jede gern die Eia


Oder vielleicht auch weil

I loss nix steh
Ob hetero ob homo

(Aus: Bertl Braun)

Sendeverbot für die Cover-Version von Ostbahn, kein Sendeverbot für das Original Bobby Brown (Goes Down) von Frank Zappa, in Deutschland und Österreich. Leseschwäche der Tugendwächter bei englischen Texten? Ist das schön.

Anklänge der Ostbahn-Geschichte an das Leben von Willi Resetarits bestehen, aber im Wesentlichen war es umgekehrt: Das Projekt hat Willis Leben geprägt. Und er war dankbar, dass er das alles erleben durfte. Dass es nicht ewig weitergeht, war immer schon klar. Weil er um die Vergänglichkeit wusste (Die beste Zeit), bestand er darauf, jetzt zu leben (Frog net was muagn is). Da stimmt alles. Scheiße, jetzt hab ich was im Aug.

Text: Georg Vobruba, Professor am Institut für Soziologie an der Universität Leipzig