Zerknüllte Tageszeitungen und Geldscheine

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Inseraten-Fall Dichand

Risse in der Boulevard-Macht

Nach dem "Beinschab-Österreich-Tool", das die Rolle der Verleger-Brüder Fellner und ihre Abmachungen mit Vertretern der Kurz-ÖVP sichtbar gemacht hat, rollt die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft jetzt die entsprechenden Verbindungen des Verleger-Ehepaars Dichand auf. Mit "Österreich", "Heute" und "Kronen Zeitung" sind jetzt alle Boulevard-Blätter, die die Republik seit Jahrzehnten im Griff haben, im Visier der WKStA.

"There's a crack in everything / That's how the light gets in." Leonard Cohen hat es gewusst, die Fellners wissen es seit eineinhalb Jahren und jetzt spüren es auch die unantastbaren Dichands. Ihre Macht zeigt Risse, und dadurch kommt vieles ans Licht. Absprachen zwischen den Verlegern und dem damaligen Kurz-Unterstützer und höchsten Beamten im Finanzministerium, Thomas Schmid. Wohlwollende Berichterstattung gegen Inseraten-Geld und - im Falle von Eva Dichand - Hilfe zur Entschärfung des Stiftungsrechts.

Eva Dichand

Eva Dichand

APA/HANS PUNZ

"Schutzgeld" auf die sanfte und brutale Tour

Mit Eva Dichand war es ein stillschweigendes Committment, hat Schmid vor der WKStA ausgesagt - mit den Fellner-Brüdern sei es robuster zugegangen, "direkter und expliziter" nennt es Thomas Schmid. Drohungen mit "Runterschreiben", wenn die Inseratenzahlungen nicht passen. Florian Klenk vom "Falter" spricht ganz offen von Schutzgeld: "Eine Form von Schutzgeld im Sinne von: Wenn du mir bezahlst, dann schütze dich vor negativer Berichterstattung. Wenn du mir nicht bezahlst, dann kann ich für nichts garantieren."

Die Verleger sprechen von Schutzbehauptungen

Die Verleger bestreiten die von Thomas Schmid erhobenen Vorwürfe entschieden, der wolle mit den Behauptungen Kronzeuge werden, um straffrei davonzukommen, sagt Dichand. Wolfgang Fellner nennt Schmid einen Münchhausen - nur: wäre der ein Lügenbaron, bekäme er den Status als Kronzeuge nie und wanderte wohl ziemlich fix ins Gefängnis.

Das machte alles keinen Sinn, sagt Florian Klenk: "Schmid selbst belastet sich strafrechtlich, er selbst zieht die Schuld auf sich. Er sagt: Ich bin verdächtig der Bestechung und der Untreue. Ich als Spitzenbeamter des Finanzministeriums habe aufgrund dieses unausgesprochenen Deals Steuergeld lockergemacht. Das ist das Besondere an der ganzen Causa, dass sich der Thomas Schmid selbst belastet." Schmid sei nicht irgendwer, der habe das Ministerium in der Hand gehabt.

Wolfgang Fellner

Wolfgang Fellner

APA/HANS PUNZ

Es begann mit dem Beinschab-Österreich-Tool

Mit den Fellners und den Meinungsforscherinnen Sabine Beinschab und Sophie Karmasin hat Schmid schon 2016 - Karmasin war noch ÖVP-Ministerin - das Beinschab-Österreich-Tool entwickelt. Seine rechte Hand dabei war der spätere Kurz-Pressesprecher Johannes Frischmann. Steuergeld vom Finanzressort für frisierte Unmfragen und willfährige Berichterstattung, das war der Deal, sagt die WKStA. Sie kann vieles mit Chats, Mails und anderen Dokumenten belegen.

Und: Sabine Beinschab hat ausgepackt - und zwar so, dass sie seit August bereits als Kronzeugin geführt wird und straffrei ausgehen dürfte. Den anderen Beschuldigten von den Fellners über die Dichands bis hin zu Kurz und seinem Umfeld drohen jahrelange Haftstrafen. Es geht um Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit.

"Das Herzstück der Demokratie missachtet"

Erschwerend hat die WKStA in der Anordnung der Hausdurchsuchung bei der Gratiszeitung "Heute" hinzugefügt: Die Motivation der Tathandlungen missachte das Herzstück der Demokratie - nämlich freie und unbeeinflusste Wahl-Entscheidungen. Es seien öffentliche Gelder zweckentfremdet worden, um einen unlauteren Vorteil im politischen Wettbewerb zu haben. Zur Bereicherung aus Steuergeld komme hinzu, dass für wohlwollende Berichterstattung im Sinne der Kurz-ÖVP Vorteile gewährt wurden. So hätten die Beschuldigten die für die Wahl-Entscheidung wichtige öffentliche Meinung manipuliert.

Zitat aus dem Akt: "Besonders durch diese korruptive Verstrickung der politischen Akteure mit Medienherausgebern wird die - nach außen hin durch viele Rechtsvorschriften geschützte - Pressefreiheit ad absurdum geführt, weil die wesentliche Funktion der Presse als Public Watchdog (...) völlig untergraben wird." Das ist für die Medien eine Schlüsselstelle.

Das exklusive Sponsoring für die Fellner-Brüder

Die WKStA zeichnet im Dichand-Akt auch anhand einer eigens beauftragten Detailanalyse nach, wie sich die Gewährung von Vorteilen - sprich Inseratengeldern - entwickelt hat. Ab dem zweiten Quartal 2016 geht das Inseratenbudget des Finanzministeriums teilweise fast komplett an die Fellners. Im März/April 2016 haben laut Akt die ersten Treffen und Absprachen über das Beinschab-Österreich-Tool zwischen Sophie Karmasin und den Fellner-Brüdern stattgefunden.

"Wir können auch anders" - und Schmid parierte

Der exklusive Geldregen für die oe24-Gruppe hielt bis Mitte 2017 an, das Jahr des Kurz-Aufstiegs zum ÖVP-Chef und Kanzler. In der zweiten Hälfte des Jahres spielten die "Kronen Zeitung" und "Heute" dann wieder richtig mit - dem waren viele Chats und Gespräche von Eva Dichand mit Thomas Schmid, aber auch mit dem damaligen Medien-Minister und ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel vorausgegangen. "Wir können auch anders", soll Dichand in einem Telefonat mit Schmid Anfang 2017 gesagt haben - mit Blick auf das in ihren Augen krasse Missverhältnis bei den Inseratengeldern für Fellner hier und "Heute" und "Krone" da. In dem Gespräch habe sie unmissverständlich klargemacht, dass das zu beheben sei, so Schmid. Und er ordnete genau das in seinem Ministerium an.

Christoph Dichand und "Krone" waren mitgemeint

Eva Dichand habe immer auch für ihren Mann Christoph Dichand, den Miteigentümer und Herausgeber der "Kronen Zeitung" gesprochen, sagt Schmid mehrfach aus. Auch viele Chats von Eva Dichand, in Wir-Form geschrieben, weisen darauf hin. Christoph Dichand sagt via seinen Anwalt, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen und sehe allfälligen Ermittlungen gelassen entgegen. Die WKStA schlussfolgert jedenfalls aus den Aussagen von Schmid, der zuletzt mit den Dichands eng befreundet war, und aus den Teilnehmerlisten von Gesprächsrunden etwa im Finanzministerium, dass Christoph Dichand in die Vorkommnisse persönlich involviert war.

Eva Dichand schweigt und bemüht Marie Antoinette

Die Dichands sprechen nicht. Mit keinem Medium. Eva Dichand hat auf Twitter um eine faire und - Ausrufezeichen - richtige Berichterstattung gebeten. Was Schmid behaupte, sei falsch, auf ihre Chats geht Dichand mit keinem Wort ein. In einem Schlagabtausch mit "Falter"-Chefredakteur Klenk auf Twitter hat sie für sich das Bild der Marie-Antoinette, die man zum Schafott führen wolle, bemüht. Sprechen darf - oder muss - nach außen "Heute"-Chefredakteur Christian Nusser.

Nusser muss Hinterzimmer-Deals halb verteidigen

Wie geht es Nusser damit, die Hinterzimmer-Deals seiner Chefin verteidigen zu müssen? "Uns lähmt das in gewisser Weise natürlich, weil wir uns mit diesen Dingen auseinandersetzen müssen. Und das gebe ich auch offen zu, natürlich habe ich gesehen, dass es viele Inserate sind, aber ich habe natürlich mich über die Hintergründe jetzt nicht kundig gemacht, weil es ja nicht zu meinem Job gehört." In seinem beliebten Blog "Kopfnüsse" hat der "Heute"-Chefredakteur Maßstäbe gesetzt, die jetzt auch für sein Blatt und die Verlegerin gelten.

Anlässlich der Rücktritte von "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und ZIB-Chefredakteur Matthias Schrom hat Nusser geschrieben: "Vermittelt wird ein Bild von Medien, die sich in Hinterzimmern mit den Mächtigen der Republik das Land untereinander ausschnapsen. Die Schauspieler zu wechseln, wird nicht reichen, das Stück muss abgesetzt werden."

"Ein Sittenbild in grellen Farben, die bleiben werden"

Das Haus sei im Krisenmodus, sagt Nusser. Er stellt sich schützend vor seine Redaktion, die von der Razzia der WKStA nicht betroffen war. Man könne nicht davon ausgehen, schriftliche Belege über redaktionelle Einflussnahmen zu finden, heißt es in durch Durchsuchungs-Anordnung, die ein Richter genehmigt hat. Nusser räumt ein, dass es zumindest moralische Verfehlungen waren, die da in der Akte Dichand offenbar geworden sind. Ein "Sittenbild in grellen Farben" nennt es Nusser in seinem Blog, und die Farben würden "zwar blasser werden, aber nie mehr ganz weggehen".

Aber Nusser will nicht alles auf seine Kappe nehmen: "Ich bin jetzt auch nicht so naiv. Wenn ich mir das jetzt anschaue, kann ich mir schon vorstellen, dass die Eva Dichand nicht die einzige Verlegerin war, die dort aufgetaucht ist und vehement dafür eingetreten ist, dass dem eigenen Verlag Geld zufließt." Namen will Nusser keine nennen, das wolle er sich in der aktuellen Situation nicht anmaßen. Die Botschaft hat er dennoch angebracht: Alle sind irgendwie korrupt.

Inseraten-Segen kam auch über andere Medien

Was stimmt, ist, das die meisten Zeitungen vom Inseraten-Segen des Finanzministeriums ab 2017 profitiert haben. Die Ausgaben sind von 1,8 Millionen Euro 2016 auf 9 Millionen Euro 2020 explodiert, da durften viele mitnaschen. Das hat eine Schnell-Analyse des Medien-Watchblogs "Kobuk" bestätigt, aber auch eine von der WKStA beauftragte Studie, die sich im Akt befindet. Demnach haben sowohl überregionale als auch regionale Tageszeitungen in der Zeit mehr aus dem Topf des Finanzministeriums bekommen, die Inseratenausgaben für die Boulevardzeitungen waren in absoluten Zahlen dennoch mit Abstand am höchsten, lagen beim Zwei- bis Dreifachen. Und "Österreich" und "Heute" lagen auch bei den Inseratenausgaben pro Leser deutlich vorne, da kamen nur die "Presse" aus dem Styria-Konzern und die "Vorarlberger Nachrichten" an deren Werte heran. Das zeigt die Auswertung der WKStA.

"Eine Symbiose, die der Demokratie schadet"

Für Oliver Das Gupta, der für den Hamburger "Spiegel" in der Sache recherchiert und auch für den "Standard" arbeitet, passt das ins Bild: "Hier geht es um die Denke. Mir geht es darum, dass man beispielsweise argumentiert, die anderen bekommen so viel, warum kriege ich nicht mehr. Das hat sich herausgebildet, und das führt aber einfach in eine Sackgasse. Das führt zu Abhängigkeiten. Und diese polit-mediale Symbiose, die tut der Demokratie offensichtlich nicht gut."

Das Versprechen von Wohlwollen genügt schon

Die Redaktionen nicht nur von "Heute", sondern auch von der "Kronen Zeitung" haben öffentlich Stellung genommen und betont, dass es bei ihnen keine wie immer geartete Einflussnahme auf die Berichterstattung gegeben habe. "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk weist darauf hin, dass es um den Deal dahinter gehe, um das Versprechen, das Thomas Schmid offenbart hat: "Wenn ich sage: Ich stelle dir positive Berichterstattung in Aussicht, und du gibst mir dafür Steuergeld - da reicht es, wenn es nur in Aussicht gestellt wird. Das heißt, Eva Dichand muss überhaupt nicht intervenieren in der Redaktion."

Spannender Blick ins Archiv der "Heute"-Zeitung

Durchsucht man das "Heute"-Archiv von Anfang 2017 bis Anfang 2018 - also von der Übernahme der ÖVP bis zur Übernahme der Republik durch Sebastian Kurz - dann findet man deutlich mehr Artikel über Kurz als über Christian Kern und Heinz-Christian Strache, seine Gegenspieler.

Kern kam um ein Drittel weniger oft vor, Strache nicht einmal halb so oft wie Kurz. Und die Artikel über den ÖVP-Shooting-Star waren durch die Bank positiv: Kurz mit Kindern, charmanter Kurz bei Merkel, erster Ball als Kanzler, Kurz beim Promi-Friseur, Kurz in der Holzklasse im Flieger nach Brüssel, Kurz bei großem RTL-Jahresrückblick in Deutschland, Kurz wechselt der Witwe von Alois Mock eine Glühbirne.

Logisch, dass der Boulevard Kurz gemocht hat

Chefredakteur Christian Nusser stellt dazu fest: "Kurz hat viele Menschen beschäftigt. Er hat Säle gefühlt. Dass sich ein Boulevardblatt mit dem intensiv beschäftigt, das liegt in der Natur der Sache, aber es ist ein Unterschied, ob ich mich beschäftige oder ob ich tatsächlich flächendeckend den Eindruck habe, ich würde den ins Amt schreiben. Und das kann ich bei uns nicht erkennen." Davon ist freilich auch im WKStA-Akt keine Rede. Es ging um die Absicherung des Aufstiegs von Kurz.

"Jeder merkte, dass die Krone ihm die Füße küsst"

Die großen Zeitungen sollten Kurz keine Steine in den Weg legen. "Dichand mega auf Schiene", hat Thomas Schmid 2017 nach einem Treffen mit dem "Kronen Zeitung"-Herausgeber an Sebastian Kurz geschrieben. Florian Klenk: "Jeder, der die Kronenzeitung aufmerksam gelesen hat, hat gemerkt, dass sie dem Kurz die Füße küsst. Es hat ja der Thomas Schmid dieses Füße-Küssen auch immer wieder dem Kurz gemeldet und gesagt: Die Dichands sind auf Schiene. Wir haben sie an Bord geholt. Das ist ja immer wieder auch Kurz zurückgemeldet worden." Und der habe sich auch dafür bedankt, so Klenk.

Als ein Beispiel findet sich im Akt die Titelseite der "Krone" vom 13. Mai 2021, am Tag davor waren die Ermittlungen gegen Kurz wegen Falschaussage bekanntgeworden. Die "Krone"-Schlagzeile lautete: "Unsere Sehnsucht nach einem ganz normalen Sommer". Am nächsten Tag war das Titelblatt für Kurzens Verteidigung reserviert: "So geht der Kanzler jetzt in die Offensive - Wort im Mund verdreht", stand auf Seite eins der "Krone".

Sebastian Kurz bleibt weiter in der Justizopfer-Rolle

Die Affäre um das Verleger-Ehepaar aus Wien wird auch in Deutschland aufmerksam verfolgt. Sebastian Kurz war dort Publikumsliebling, bei einer Veranstaltung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat er sich diese Woche in gewohnter Manier verteidigt und betont, "dass ich schon den Eindruck habe, dass die Justiz hier leider Gottes missbraucht wird, um Politik zu machen". Die Inseratenkorruption wird weggeredet. Das ist im Ausland leichter. Oliver Das Gupta: "Das ist bei uns in Deutschland einfach kein Thema. Und deswegen haben wir auch viele Probleme nicht, die es in Österreich gibt in diesem Bereich."

"So perfekt kann eine Zeitung doch nicht sein!"

Gerald Fleischmann, Mastermind der als "Message Control" in die Annalen eingegangenen Kommunikationspolitik der ÖVP unter Kurz, hat den Geist des Unternehmens auf den Punkt gebracht. Als das erste schwarz-blaue Budget präsentiert wurde, brachte die "Krone" eine Doppelseite über ein eine Milliarde Euro schweres "Ausländer-Sparpaket" plus Blattaufmacher dazu. Fleischmanns Reaktion, als er die Seiten im Chat mit Schmid sieht: "Bitte schickt mir die echte Krone... das oben habt doch ihr selber geschrieben, so perfekt kann eine Zeitung doch nicht sein... Ein Wahnsinn."

Perfekt dazu passt der Titel, den sich die "Heute"-Zeitung für den Rückblick auf 2017 einfallen hat lassen - das war das Jahr, als die Inseratenquelle zu sprudeln begann. Im Bild Kurz und Strache, dazu der Satz: "Langsam wachs' ma zsamm." Die Hinterzimmer-Deals der Verlegerin waren da natürlich nicht mitgemeint.

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