Wiltrud Schreiner, Marlene Hauser, Franz Josef Csencsits und Nils Arztmann vor dem Schweden-Espresso

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Ö1 Kunstradio

Ein sonderbarer Ort

Radioporträt des Wiener Schwedenplatzes

Der Schwedenplatz ist ein sonderbarer Ort. Während alle größeren Plätze und Verkehrsknotenpunkte in Wien nach und nach umgestaltet, saniert und aufgemöbelt werden, scheint man auf den Schwedenplatz vergessen zu haben. Deshalb bleibt er sonderbar, uneinheitlich, voller verschiedener Menschen, ein wenig schmuddelig, räudig und in all diesen Eigenschaften überaus weltstädtisch.

Schwedenplatz: das Tor zum Bermudadreieck, Schiffsanlegestation, U-Bahn-Station, Straßenbahnknotenpunkt, Treffpunkt und Durchzugsort. Man kann den Schwedenplatz nicht überblicken, zu viel steht da herum, zu zerrissen ist der Platz in seiner unförmigen, bis über den Donaukanal schwappenden Gestalt. Unmengen an Take-away-Gastronomie gibt es hier. Unmengen an Stadtmöbeln stehen herum, neue Holzsitzbänke, mit Taubenkot verschmutzten Sitzgelegenheiten rund um Platanen, Lüftungsschächte, Zeitungsspender, Mistkübel, Aschenbecher, Tiefgarageneingänge und Fahrradständer Dazu die U-Bahn-Eingänge, die Würstlstände und die temporären Buden, wo je nach Jahreszeit Erdbeeren oder Maroni verkauft werden.

Wiltrud Schreiner, Marlene Hauser, Franz Josef Csencsits und Nils Arztmann, EIssalon Schwedenplatz

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Was man sieht. Und was man weiß

Das ist, was man sieht. Und dann kommt noch die Ebene dessen, was man weiß, dazu. Zum Beispiel, dass auf dem angrenzenden Morzinplatz das Hotel Métropole stand, das für die Wiener Weltausstellung gebaut und in seiner Eleganz mit dem Hotel Sacher verglichen wurde. Bis zum März 1938, als das Hotel von der NS-Gestapo in Beschlag genommen wurde und dieser als Hauptquartier diente. Hunderte Menschen wurden hier täglich verhört und gefoltert, manche nahmen sich hier das Leben, viele wurden verurteilt. Nach dem Krieg wurde das Haus abgerissen, und in den 1960er Jahren wurde der Leopold-Figl-Hof gebaut; ein Mahnmal erinnert an die Opfer.

Was man auch nicht mehr sieht, sind Spuren des Terrorattentats vom 2. November 2020; und dennoch sind der Platz und das Gassengeflecht dahinter, wo Menschen an jenem Abend vor dem Corona-Lockdown ermordet wurden, für immer mit dieser Tat verbunden. Ereignisse schreiben sich in einen Ort ein.

Texte als Grundlage

Ein Radioporträt des Schwedenplatzes präsentiert das "Ö1 Kunstradio" am 23. April mit dem Stück "Wien, Schwedenplatz. Variationen" nach einem Konzept von Lucas Cejpek und Margret Kreidl. Grundlage für das Stück sind Texte von 106 Schriftsteller:innen, die eingeladen wurden, einen jeweils einseitigen Text zu dem Buch "Wien, Schwedenplatz. Polyphon" beizusteuern. Cejpek hat für die "Ö1 Kunstradio"-Produktion Ausschnitte aus allen Texten zusammengestellt und diese mit Nils Arztmann, Franz Josef Csencsits, Marlene Hauser und Wiltrud Schreiner im Studio aufgenommen. Entstanden ist ein akustisches Platzporträt, in dem Textdialoge mit Tonaufnahmen des Platzes und assoziativen Musikzitaten verwoben werden.

Nils Arztmann, Marlene Hauser, Wiltrud Schreiner und Franz Josef Csencsits

Nils Arztmann, Marlene Hauser, Wiltrud Schreiner und Franz Josef Csencsits

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Leipziger Buchmesse

Das Buch und das Radiostück werden im Rahmen des Österreich-Schwerpunkts auf der Leipziger Buchmesse 2023 präsentiert. Dann hat auch Leipzig kurz seinen Schwedenplatz.

Wir trinken Birnenschnaps im Schweden-Espresso und essen ein Eis beim Salon, von dem Ortsansässige meinen, es sei der beste Wiens. Dazwischen erhebt sich ein Taubenschwarm vom Dachsims, und Möwen ziehen ihre Kreise über dem Donaukanal. "Vor lauter Platz / die Nase nicht sehen. Vor lauter Schauen / Die Donau nicht finden. Okay. Das Wasser erahnen / Vor lauter Langeweile Spatzen zählen", heißt es an einer Stelle im Buch, und an einer anderen: "Der Platz gehörte einmal zu mir, als ein Teil meiner Persönlichkeit. Die Zeit ist jedoch lange vorbei. Auch wenn Schwedenplatz-Ecken in mich übersiedelt sind."

Gestaltung

  • Anna Soucek