Zeitungsstapel

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Verleger-Aufstand wegen ORF-Novelle

Die Print-Branche am Kipppunkt

Dass die Regierung dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk endlich jene digitalen Räume öffnen will, die er braucht, macht den ORF zum Blitzableiter. Die Zeitungen sind auf den Barrikaden, sie sprechen von extremer Wettbewerbsverzerrung. Der Hintergrund: zu den strukturellen Problemen der Print-Branche kommen externe Schocks, sogar das solide Standbein Hauszustellung der Abo-Zeitungen wackelt. Experten haben es kommen sehen und gewarnt.

Eine große Protestaktion am Tag der Pressefreiheit: fast alle Zeitungen sind mit einer leeren Seite eins erschienen. Mit der Medienvielfalt könnte es bald vorbei sein, war die Botschaft. Andy Kaltenbrunner, Medienforscher an der Akademie der Wissenschaften, erinnert die Aktion an den alten Spruch "Print ist tot". Der ist umstritten, werde aber immer wahrer, so Kaltenbrunner: "Österreich ist im internationalen Vergleich nur etwas später dran - so fünf Jahre nach manchen nordeuropäischen Märkten, zehn Jahre nach dem angelsächsischen Markt - und hatte eine besondere Position durch die hohe Ausgangsbasis und Print Bedeutung."

Öffentliche Gelder bremsten Innovation

Kaltenbrunner weist seit Jahren darauf hin, dass das alte Geschäftsmodell der Zeitungen nicht mehr funktioniert, die Leserzahlen sinken, die Werbeerlöse gehen zurück - und neue Modelle im Netz wurden zu zaghaft entwickelt. Dazu komme der hohe Anteil an öffentlichen Geldern über Inserate und Förderungen, was Innovationen gebremst habe. "Das kann kurzfristig richtig sein. Wenn aber langfristig Geschäftsmodelle finanziert werden, die nicht dauerhaft, nicht nachhaltig sind, etwa Gratiszeitungsmodelle, dann beeinflusst das natürlich den Markt sehr."

Darauf hat auch die stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung", Alexandra Föderl-Schmid, bei einer Medien-Diskussion im Parlament kürzlich hingewiesen. "Jahrelang haben Verleger in diesem Land ganz gut verdient. Und dieses System hat natürlich dazu geführt, dass man sich dem, was jetzt mit Vehemenz auch in Österreich zu bemerken ist, zu wenig gestellt hat. Es gibt Medien in Österreich, die erst vor kurzem erkannt haben, dass es so was wie das Internet gibt." Das sei überspitzt formuliert, hat Föderl-Schmid eingeräumt. Aber sie steht zu ihrem harten Befund. Und er ist belegbar.

Rund eine Million Exemplare werden verschenkt

Andy Kaltenbrunner nennt eine besonders alarmierende Kennziffer: Im Schnitt würden heute zwar täglich wie vor 15, 20 Jahren um die zwei Millionen Zeitungen in Umlauf gebracht, doch das täusche. "Denn heute ist es so, dass von den zwei und ein bisschen Millionen Zeitungsexemplaren gut die Hälfte nicht bezahlt sind. Sie sind entweder Gratiszeitungen, oder sie werden verschenkt, um überhaupt noch Leserzahlen entsprechend zu erreichen. Und das ist natürlich schon eine eklatante Erosion der Erlöse." Kaltenbrunner bringt es so auf den Punkt: "Der österreichische Print Markt ist schon lange ein Scheinriese. Je näher man hinkommt und genauer hinschaut, desto mehr schrumpft er."

Externe Schocks spitzen die Lage dramatisch zu

Diverse externe Schocks haben die Situation jetzt extrem zugespitzt. Kostenexplosion bei Energie und Papier, sehr hohe Gehaltabschlüsse infolge der Teuerung - und: einige Zeitungen kämpfen jetzt auch noch mit Problemen bei der Hauszustellung. Die Zusteller fehlen, immer weniger wollen diesen Job machen. Dabei ist die Hauszustellung das Rückgrat der Abo-Zeitungen, die Österreichs Medienlandschaft prägen. In der Früh muss die Zeitung vor der Tür liegen, sonst werden die Abonnenten unrund und bestellen die Zeitung bald einmal ab.

Der Medienforscher Andy Kaltenbrunner dazu: "Wenn da jetzt eine Spirale nach unten in Bewegung gesetzt ist - und das ist es, dann bricht da auch eine Säule weg, die bisher das alte Modell Printmedien gestützt hat. Dann beschleunigt das zusätzlich die Krise der Printmedien. Und das werden wir schon in den nächsten Jahren ganz deutlich leider sehen." Was man schon jetzt sehen konnte: Kündigungen bei "Kurier" und "Kleine Zeitung".

Massive Kündigungen bei "Kurier" und "Kleine Zeitung"

Beim "Kurier" müssen 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehen, bei der "Kleinen" sind es sechs, weitere Redaktionsmitglieder haben den angebotenen Handshake angenommen. Geschäftsführer und Chefredakteur Hubert Patterer wurde im "Standard" mit den Worten zitiert: "Während andere noch mit Schrecken vor den Zahlen sitzen", versuche man die wirtschaftliche Stabilität der "Kleinen Zeitung" abzusichern. Dieses Blatt hat die Krise der Hauszustellung voll getroffen - zwei Millionen Euro Mehrkosten allein deshalb, weil Zusteller fehlen.

Der ORF ist zwar wirtschaftlich die Lokomotive für die anderen auf dem Medienmarkt, aber er ist immer auch Blitzableiter. Seit Jahrzehnten schon. Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbandes österreichischer Zeitungen VÖZ, hat in der Ö1-Reihe "Im Journal zu Gast" auf die Frage nach dem Anteil der Verlage und ihrer Manager an der Misere ausweichend gesagt: "Da hat der Sündenfall vor 25 Jahren stattgefunden, als der ORF begonnen hat, dieses Angebot in den Markt zu setzen. Der damalige Erfinder der Blauen Seite, Franz Manola, der aus dem Printjournalismus kam, hat natürlich eine Print-Seite umgesetzt. ORF.at ist den Zeitungen bis heute zu "zeitungsähnlich", deshalb wird die Zahl der Textmeldungen jetzt auf 350 in der Woche gedrittelt.

Franz Manola und was das junge Internet gesagt hat

Der angesprochene Erfinder Franz Manola kann beim Wort Sündenfall nur milde lächeln: "Damals war aber wirklich nicht einmal am Horizont absehbar, dass Video und nicht einmal noch Audio-Inhalte im Internet wirklich in größerem Stil übertragbar sind." Damals, das war Mitte der 1990-er Jahre, das Internet war noch ganz am Anfang. Manola hat es so in Erinnerung: "Das Internet hat gesagt: Mach alles neu, weil da draußen ist eine Generation von Leuten, die findet die alten Medien langweilig oder kommerziell oder nicht hip."

Manola hat eine Online-Redaktion aufgebaut, weil der ORF nur Radio und Fernsehen hatte - und im Netz nur Texte funktionierten. Mit jungen Leuten, die er von der Uni geholt hat - keine gestandenen Journalisten, machte er also etwas Neues. Die Zeitungen hätten sich das damals nicht abgeschaut, sondern einfach ihre Print-Texte ins Netz gestellt. "Mit einem Inhalt mache ich zwei Produkte, und beide Produkte kann ich irgendwie voneinander abgehoben im Werbemarkt platzieren. Die Wundertüte", wundert sich Manola heute noch.

Das "profil" versucht, im Netz 25 Jahre aufzuholen

Diese, wie es Franz Manola nennt, "eingebildete Effizienz-Rechnung" sei nicht aufgegangen. Bei vielen Zeitungen eben bis heute nicht. Beispiel "profil" – das Nachrichtenmagazin versucht jetzt, die Versäumnisse aus 25 Jahren aufzuholen. Die neue Chefredakteurin Anna Thalhammer baut eine aus sieben Leuten bestehende Online-Redaktion auf, leiten wird sie der Aufdecker und Faktenchecker Jakob Winter. "Das profil hat ein bisschen Aufholbedarf, was diese Dinge betrifft. Und wir werden jetzt ordentlich Gas geben, damit was weitergeht", sagt Thalhammer.

"Ein bisschen Aufholbedarf" ist milde ausgedrückt, wenn man Michael Nikbakhsh zuhört. Er war Investigativ-Star und Wirtschaftschef beim "profil", musste zum Jahreswechsel gehen und macht jetzt den erfolgreichen Podcast "Die Dunkelkammer". Nikbakhsh über "profil online": Es sei einfach nicht genug Personal da gewesen, um digital nach den gleichen Qualitätsstandards zu produzieren wie in Print. "Das digitale Produkt war immer ein Appendix des Printprodukts. Wir haben zum Beispiel zu wenig Energie darauf verwendet, uns zu überlegen, welche Inhalte denn konkret an einem bestimmten Tag oder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Thema online da sein sollten."

Der zunehmend romantische Hang zum Analogen

Er wisse nicht, wo es hinführt, sagt Michael Nikbakhsh. Aber er sei gern ein kleiner digitaler Medienunternehmer, auch wenn er sein Berufsleben zwischen Zeitungsseiten verbracht habe. "Ich spüre, dass das eine zunehmend romantische Haltung ist. Ich mag das Analoge. Während wir da reden, schaue ich auf meine Schallplatten. Ich bin halt ein Typ aus den 70-er, 80-er Jahren. Aber meine Zukunft ist definitiv im Digitalen."

Nikbakhsh schreibt auch für den "Standard", hat also noch eine Verbindung zu Print. Wie lange wird dieses Geschäftsmodell noch funktionieren? "Ich denke, dass der Kipppunkt erreicht ist. Jetzt erfüllt sich diese Prophezeiung, was natürlich nicht heißt, dass es am Ende keine Printprodukte mehr geben wird." Aber: es werde nicht mehr so viele gedruckte Zeitungen geben, davon ist Nikbakhsh fest überzeugt.

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