ORF/JOSEPH SCHIMMER
Trademark für experimentelle Musik
30 Jahre "Zeit-Ton"
Österreich gilt als Musikland. Zu Recht? Was die zeitgenössische experimentelle Musikszene betrifft, lässt sich mit Gewissheit sagen: Ja! Und wie! Bittet man wohlinformierte Menschen um einen Blick von außen, erfährt man Bewunderung für eine farbenreiche Stimme, die aus dem internationalen Chor der Neuen Musik nicht wegzudenken ist. Umfragen zu den einflussreichsten Komponierenden der Gegenwart ähneln Ergebnislisten der Skination aus besseren Zeiten.
31. August 2023, 12:00
Mit Georg Friedrich Haas sitzt ein Österreicher auf dem wohl bedeutendsten Lehrstuhl für Komposition (an der Columbia University, New York). Die heimischen Musikuniversitäten haben internationale Anziehungskraft, nicht zuletzt dank prominenter Lehrender wie Olga Neuwirth und Beat Furrer. Im Windschatten des weltweit erfolgreichen Klangforums Wien haben sich in jedem Bundesland Ensembles etabliert, die auf höchstem Niveau neue Klänge produzieren. Vom beeindruckenden Standing des rso Wien als Anlaufstelle für Herausforderndes ganz zu schweigen.
Das alles und viel mehr findet sich in "Zeit-Ton" wieder, in enger Abstimmung mit der nationalen und internationalen Festivalszene. Besonders eng mit unserer Sendereihe verbunden ist das ORF-Festival musikprotokoll im steirischen herbst. Dabei verstehen wir uns als Motor, Katalysator, Archivarin und Chronistin lebendiger Musikgeschichte - und stehen damit in einer hundertjährigen Traditionslinie. Bereits 1926 reservierte die RAVAG für zeitgenössische Musik eigene Sendeflächen. Ende der 1940er Jahre etablierte sich die „Moderne Stunde“, später das „Studio Neuer Musik“. Seit dem 2. Juni 1993 wartet "Zeit-Ton" fünfmal die Woche mit aktueller Musik auf.
Zum Geburtstagsfest unterzogen der Late-Night-Host Peter Klien und sein Bruder, der Komponist Volkmar Klien noch einmal die Musik von György Ligeti ihrem Prix-Europa-nominierten Härtetest.
Österreich ist vor allem auch ein Land der Neuen Musik, nicht nur im akademischen Bereich. Die Nickelsdorfer Konfrontationen etwa genießen unter den Liebhaber:innen des avancierten Jazz und der improvisierten Musik bereits seit Jahrzehnten internationalen Kultstatus. Und auch wenn die neue elektronische Club-Musik der 1980er Jahre mit einiger Verspätung in Österreich ankam, ließ in den 1990er Jahren die Wiener Elektronikszene rund um Kraftzentren wie etwa mego oder phonoTAKTIK mit ihrem so eigenständigen Sound Musikjournalist:innen von Berlin über London bis New York aufhorchen.
Stilistische Bandbreite und Brückenbau
Diese große stilistische Bandbreite sollte sich auch in "Zeit-Ton" widerspiegeln, unsere stets neugierigen Ohren sind seit jeher in alle Richtungen offen. Auch hier war und ist es uns wichtig, das österreichische Musikgeschehen in einen internationalen Kontext zu setzen. Als Anfang der 2000er Jahre Ö1 Journalist:innen aus den verschiedenen Abteilungen im Rahmen der Schwerpunktreihe nebenan in Österreichs ehemals kommunistische Nachbarländer ausschwärmten, in die ganz nah gelegenen ebenso wie in die ein wenig weiter entfernten, brachen auch wir mit viel Entdeckergeist auf, um die bis dahin weitgehend unbekannten Szenen zu erkunden.
Wir begannen prompt mit dem Brückenbau. Auf Mitinitiative des musikprotokolls gründete sich 2007 das Festivalnetzwerk ICAS der International Cities of Advanced Sound. Im Projekt ICAS Radio bieten wir gemeinsam mit unseren Partner:innen nicht zuletzt den aufstrebenden jungen Talenten eine Bühne, etwa mit unserer Plattform Shape+. Und während wir kurz innehalten, um anlässlich unseres 30-jährigen Bestehens am 2. Juni mit einer groß angelegten Geburtstagssendung im Studio 3 des Wiener Funkhauses mit vielen Gästen zu feiern, zeichnen sich am Horizont bereits die nächsten spannenden soziomusikalischen Entwicklungen ab.
Gestaltung
- Rainer Elstner
- Susanna Niedermayr