Journalist in einer zerbombten Stadt in der Ukraine

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Kriegsberichterstattung

Faktencheck unter Sirenen-Geheul

Nachrichten über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gehören seit eineinhalb Jahren zu unserem Alltag, doch die Unterstützung für Kiew nimmt spürbar ab. Russische Desinformation und vom Kreml gesteuerte Narrative tragen dazu bei, die Solidarität des Westens zu untergraben. In Österreich fällt die Propaganda auf besonders fruchtbaren Boden.

Drohnen, Raketen – und Desinformation. Fake News und Propaganda gehören im Jahr 2023 zum Repertoire im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Journalistinnen und Journalisten, die aus dem Kriegsgebiet berichten, stellt das vor eine besondere Herausforderung. "Journalismus ist in erster Linie ein Handwerk", sagt Vassili Golod. Golod ist seit vorigem Sommer fixer ARD-Korrespondent in der Ukraine und berichtet unter anderem für die "Tagesschau" über das aktuelle Kriegsgeschehen. Mit 1. September hat er die Leitung des ARD-Studios in Kiew übernommen. "Zum Handwerk gehört es, alle Informationen, die es gibt, genau und sorgfältig zu überprüfen", betont Golod. In einem Krieg, der in einem digitalen Zeitalter stattfinde und bei dem sehr viele Informationen, Bilder und Videos frei zugänglich sind, sei es umso wichtiger, alles genau zu überprüfen.

Vassili Golod

Vassili Golod

WDR/ROBIN DRESCHER

Faktenchecker helfen Korrespondenten

Unterstützt werden Golod und seine drei Kolleginnen im ARD-Team in der Ukraine von einer eigenen Fact-Check-Abteilung des Senders in Hamburg. Sie hilft mit, dass Fake-Videos nicht auf Sendung gehen. Golod: "Wir überprüfen einerseits bei uns im Team in der Ukraine die Informationen, und gleichzeitig prüfen die Redakteurinnen und Redakteure aus diesem Hamburger Team unser Material, das wir überspielen. Es gibt – sozusagen - einen doppelten Check."

Auch Jutta Sommerbauer weiß, wie wichtig eine gesunde Skepsis und Quellenkritik bei der Berichterstattung aus der Ukraine sind. Die Journalistin bei der Tageszeitung "Die Presse" gilt als ausgewiesene Russland/Ukraine-Expertin. Sommerbauer berichtet seit 13 Jahren über und aus Osteuropa. Gerade erst ist sie von einer Reise aus Odessa zurückgekehrt. "Ich finde, jeder Besuch vor Ort ist auch so eine Art Realitäts-Check. Man versteht einfach besser, wie die Ukraine mit diesem Krieg umgeht und auch wie die Gesellschaft darauf reagiert." Vom Schreibtisch in Wien aus sei das nicht möglich, sagt Sommerbauer.

Eine falsch verstandene Objektivität

Wie jede Regierung der Welt versucht auch die ukrainische, sich medial ins rechte Licht zu rücken. Militärische Erfolge werden gekonnt in Szene gesetzt. Jüngstes Beispiel: Videoaufnahmen des Geheimdienstes, die zeigen sollen, wie am Unabhängigkeitstag auf der von Russland illegal annektierten Halbinsel Krim die ukrainische Flagge gehisst wird – die machen auch bei uns schnell die Runde.

"Den Aggressor nicht verschleiern"

Die beiden Kriegsparteien in Sachen Propaganda gleichsetzen, wie es zuletzt immer wieder passiert ist, könne man deswegen aber nicht, so Journalistin Sommerbauer. Auch Vassili Golod von der ARD warnt vor einer False Balance zu Gunsten Russlands. Auch die ukrainische Seite mache Fehler, aber nur Moskau betreibe gezielte Desinformation vom Präsidenten abwärts. "Es ist unser Job, Informationen auf allen Seiten zu prüfen. Man kann klar Russland als Aggressor benennen und kann gleichzeitig kritisch auch über die Entwicklung in der Ukraine berichten", sagt Golod.

Guter Boden für russische Propaganda

Erzählungen, wonach die Ukraine und der Westen doch bitte an den Verhandlungstisch zurückkehren mögen, vom Kreml gesteuerte Narrative, die die Ukraine als Failed State darstellen, der Mitschuld am Krieg habe – all das falle in Österreich auf besonders fruchtbaren Boden. Österreich ziehe sich aufgrund seiner Neutralität gerne auf einen Beobachterposten zurück. Das sei bequem, sagt Jutta Sommerbauer.

Auch die Journalistin und Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig glaubt, dass Österreich für russische Propaganda besonders anfällig ist. "Vladimir Putin’s useful idiots" - "Russlands nützliche Idioten" - in dieser Auflistung des britischen Wochenmagazins "The Economist" fand sich Österreich kürzlich auf Platz 2. Es gebe hierzulande eine historisch lockere Haltung gegenüber Russland, eine starke, Putin-affine rechte Partei und eine florierende Szene an Alternativ-Medien, die das begierig aufsaugen, sagt Brodnig. Dort sei eine negative Einstellung gegenüber der seriösen Ukraine-Berichterstattung von etablierten Medien geweckt worden, die jetzt als Nährboden für Kreml-Propaganda diene.

Putin-Sympathie bringt Klick-Vorteil

Immer wieder aufgefallen ist die Website "Exxpress". Der Medien-Watchblog Kobuk hat gemeinsam mit der Wiener Wochenzeitung "Falter" erst unlängst recherchiert, wie auf dem Portal systematisch Kreml-Propaganda verbreitet wird. Von rechtlichen Schritten, mit denen das Portal in dieser Frage auch #doublecheck gedroht hat, ist auf Nachfrage bei Kobuk nichts bekannt. Tenor vieler Berichte, die der Watchblog analysiert hat: Die Sanktionen gegen Russland würden Europa viel mehr schaden, Hilfe für die Ukraine sei mit unserer Neutralität nicht vereinbar.

Der "Exxpress" sei ein Auffangbecken für jene, die viel Sympathie für Russland und nicht unbedingt viel für Sympathie für die Ukraine haben, sagt Ingrid Brodnig. Warum das Medium so agiere, könne sie nicht sagen, aber: "Ich würde davon ausgehen, dass ein Onlinemedium davon profitieren kann, wenn es russland-affine Geschichten übernimmt – dass jener Teil der Bevölkerung, der genau so etwas hören will, egal ob jetzt faktengetreu der nicht, dann draufklickt."

Bühne frei für russischen Botschafter

Vorläufiger Höhepunkt der Russland-Berichterstattung auf "Exxpress" war ein Interview mit dem russischen Botschafter in Österreich. Angekündigt wurde es samt gemeinsamem Foto von Botschafter Dmitrij Ljubinskij und "Exxpress"-Chefredakteur Richard Schmitt auf dem Twitter-Kanal der russischen Föderation. Moskau dürfte zufrieden gewesen sein: Die Botschaft hat das Interview auch selbst auf ihrer Website veröffentlicht. Desinformations-Experte Dietmar Pichler, der russische Propaganda seit Jahren verfolgt, sagt: Es sei fragwürdig, dem russischen Botschafter in der aktuellen Situation solch eine Bühne zu geben. Noch dazu seien Behauptungen des Botschafters nicht eingeordnet worden.

Der "Exxpress" weist den Befund, eine russland-freundliche Redaktionslinie zu fahren, auf #doublecheck-Anfrage entschieden zurück. Man berichte "absolut neutral". Beide Konfliktparteien zu Wort kommen zu lassen, sei in Österreich immer schon üblich gewesen.

Desinformation durch Auslassung

Desinformations-Experte Dietmar Pichler kennt die Muster und weiß, wie Propaganda funktioniert. Oft gehe es nicht darum, was man sage, sondern was man nicht sage. Man fordert die Ukraine etwa zu Friedensverhandlungen auf, und lässt aus, unter welchen fürchterlichen Zuständen die ukrainische Zivilbevölkerung im russischen Besatzungsregime leide, so Pichler. Beliebt sei auch die Argumentation, den Krieg zu verurteilen, nur um dann lange auszuführen, wer aller Schuld sei. Außer Russland. "Das hilft dann, wenn man zum Beispiel geschäftliche Beziehungen aufrechterhalten will", sagt Pichler.

Die Mehrzahl der etablierten Medien in Österreich arbeite sauber. Die meiste Desinformation finde immer noch in den Sozialen Medien statt. Und obwohl seit dem russischen Überfall innerhalb der EU verboten, spielen auch die russischen Staats-Medien immer noch eine große Rolle. Russia Today und Sputnik verbreiten ihre Inhalte mittlerweile einfach über andere Kanäle.

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