
FOTOGRAFISKA BERLIN
Rollenspiele der Diaspora
Das Berliner Privatmuseum Fotografiska zeigt Omar Victor Diop
Nach dem Fall der Berliner Mauer galt das einstige Kulturzentrum Tacheles als Epizentrum des Underground. Seit vergangenem Herbst ist die zeitgenössische Fotografie in das Areal in Berlin Mitte eingezogen. "Fotografiska" heißt ein neues Privatmuseum, das den Schulterschluss von Kunst, Kreativwirtschaft und Kulinarik wagt. Bis 21. April zeigt das Haus Arbeiten des senegalesischen Künstlers Omar Victor Diop. Diop setzt sich in seinen inszenierten Fotografien mit der Darstellung des Fremden auseinander und präsentiert das Ergebnis einer historischen Recherche, die auch nach Wien führt.
3. März 2024, 02:00
Er war Sklave, Höfling, ein Meister der gepflegten Konversation, ein Aufklärer, ein Freimaurer und ein Zeitgenosse Wolfgang Amadeus Mozarts. Als berühmtester Afrikaner Wiens machte Angelo Soliman im 18. Jahrhundert Furore. Ein Gemälde Canalettos zeigt ihn an der Seite des Fürsten Liechtenstein, dessen exotischer Domestik für aller Augen sichtbar machen sollte, wie weit sein geopolitischer Aktionsradius reichte. Ein anderes Gemälde stellt Soliman als stolzes Mitglied der Freimaurer-Loge „Zur wahren Eintracht“ dar. Dieses hat der senegalesische Fotograf Omar Victor Diop in einem seiner sorgfältig inszenierten Selbstporträt nachgestellt: „Würde er heute geboren werden, er wäre Nigerianer. Ich wollte allerdings nicht nur Höflinge porträtiere, sondern auch Wissenschafter und Künstler. Angelo Solimas Beispiel sticht heraus. Denn er vereint all diese Qualitäten. Seine Geschichte hat mich sehr fasziniert“.

FOTOGRAFISKA BERLIN/OMAR VICTOR DIOP
Zwischen Rollenspiel und Aneignung
In seinen Fotografien schlüpft Omar Victor Diop in die Rolle verschleppter Afrikaner, die an Europas Höfen reüssierten und wirft damit Schlaglichter auf die Geschichte der afrikanischen Diaspora. „Manche dieser Kunstwerke sind sehr bekannt, aber die Person, die abgebildet wurde, wurde übersehen“, so Omar Victor Diop, „Ich eigne mir diese Bilder an und gebe ihnen eine neue Bedeutung. Ich möchte diesen Menschen, ihre Würde zurückgeben und ich möchte zeigen, welchen Beitrag sie für unsere Zivilisation geleistet haben.“
Omar Victor Diop zitiert Motive der historischen Porträtmalerei und pendelt zwischen künstlerischer Guerillataktik und kultureller Appropriation – nur dass er die Blickachse dieses Prozesses der Aneignung umdreht, so als handelte es sich um eine Replik auf die Heerschar westlicher Malerfürsten, die die Kunst des so genannten Primitiven zum Quell ihrer Inspiration gemacht haben. Diop zeigt einen Menschen in der Revolte, der sich von rassistischen Zuschreibungen freispielt und ist sich doch dessen bewusst, dass der Blick auf die Historie immer anachronistisch bleibt. Sein Angelo Soliman posiert mit einem Fußball, Versatzstücke aus dem zeitgenössischen Sport verzerren die historische Maskerade zur Kenntlichkeit und sie schlagen eine Brücke in die Gegenwart.
Der Mensch in der Revolte
„Wenn man sich privilegierte Afrikaner ansieht, die heute in Europa leben, wird man feststellen, dass die meisten von ihnen erfolgreiche Sportler sind – vor allem Fußballspieler“, sagt Omar Victor Diop, „Wer sich mit dem Fußball als Massensport auseinandersetzt, sieht viele Phänomene des Klassismus geradezu wie durch ein Brennglas. In Stadien kommen Menschen zusammen und erleben starke Gefühle miteinander. Das kann verbinden. Aber in Stadien begegnet man auch blankem Rassismus.“ Vergangenen November waren Omar Victor Diops inszenierte Selbstporträts auf der renommierten Pariser Kunstmesse für Fotografie Paris Photo zu sehen, Werke des 43jährigen Senegalesen sind unter anderem in der Sammlung der Fondation Louis Vuitton zu finden. Nun also gewährt Berlins neues Museum für zeitgenössische Fotografie „Fotografiska“ einen Blick in die Welt eines Künstlers, der einmal mehr vormacht, wie sinnlich und farbenfroh die viel zitierte Revision des Kanons sein aussehen kann.

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