Gefällter Baumstamm

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Krisenmanagement für Redaktionen

Soziale Medien würden für Medienleute immer öfter zu einem gnadenlosen "Hinrichtungsraum". So hat Hubert Patterer von der "Kleinen Zeitung" die Hetze gegen Alexandra Föderl-Schmid beschrieben, nachdem ein Branchendienst-Artikel und der selbsternannte Plagiatsjäger Stefan Weber die Dissertation der stellvertretenden Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung" ins Visier genommen hatten. Solche Attacken häufen sich. Sie sollen den Ruf von Journalistinnen und Journalisten zerstören.

Die "Süddeutsche Zeitung" hat in einer ersten Reaktion den "Maulwurf" gesucht: E-Mail- und Telefonverbindungen des Redaktionsteams wurden nach Kontakten zu einem Branchendienst durchforstet, der Informationen aus einer internen Redaktionskonferenz der SZ veröffentlicht hatte.

Das habe alles nur noch schlimmer gemacht, so der Befund des Experten für Krisenkommunikation Martin Zechner: "Das war vermutlich der dekonstruktivste Ansatz, den man wählen kann, denn gerade das Suchen nach etwaigen Informanten führt dazu, dass die Informationsdynamik weiter steigt, dass das Phänomen oder die Handlung dahinter auch bekannt wird und somit eine weitere Verfestigung des bereits negativen Stimmungsbildes stattfindet." Die "Süddeutsche" hat den Fehler eingestanden. Aber da war der Schaden schon angerichtet.

Nur die schnelle Reaktion verkürzt die Krise

Angriffe auf den Ruf bekannter Persönlichkeiten gäbe es in vielen Branchen, von Wissenschaft bis Wirtschaft, beobachtet Martin Zechner. Das habe im vergangenen Jahrzehnt enorm zugenommen und werde durch soziale Medien befeuert. Zechner rät allen, schnell zu reagieren: "Das ist immer relevant, derartigen Behauptungen, wenn man damit konfrontiert ist, sehr offensiv zu begegnen. Die Vogel-Strauß-Taktik wäre jetzt der falsche Ansatz, weil jede offensive Vorgehensweise den Krisenverlauf abkürzt und eine passive Vorgehensweise den Krisenverlauf verlängert."

Barbara Tóth

FALTER

Barbara Tóth

Ein Buddy-System kann Druck herausnehmen

Einfach ist das nicht. Barbara Tóth von der Wiener Wochenzeitung "Falter" hat sich wohl am intensivsten mit dem Fall Föderl-Schmid auseinandergesetzt. Sie argumentiert, dass Redaktionen mit solchen Krisen besser umgehen lernen müssen. Im "Falter" gebe es etwa eine Art Buddy-System. Der oder die Betroffene aus der Redaktion soll gehässige Mails und Postings nicht selber lesen müssen. Das übernehme dann ein Kollege oder eine Kollegin. "Sehr oft wird ein Anwalt dazu genommen und es werden Screenshots gemacht. Es wird alles gesichert, was vielleicht Gesetze verletzt." Sobald es um medienrechtliche Verstöße geht , etwa Rufschädigung, Ehrenbeleidigung oder Kreditschädigung, sollten die Anwälte aktiv werden, meint Tóth.

Die Hintergründe von Kampagnen ausleuchten

Wichtig sei aber auch, die Anschuldigungen journalistisch einzuordnen, darüber zu berichten und zu fragen: Woher kommen sie, wer profitiert und warum gerade jetzt? "Für mich ist es Teil einer größeren Agenda, wo es darum geht, das etablierte System einer Demokratie, dazu gehören der Journalismus, die Justiz, die Universitäten, madig zu machen, kaputt zu machen", sagt Tóth. Sie schlägt vor, mit Gegenargumenten zu kontern, Fakten vorzulegen. Also offensiv und journalistisch zu reagieren. Aber das ist auch riskant und kann die Meute auf Social Media weiter befeuern. Fakten prallen da oft ab. Ein nervenaufreibender Drahtseilakt.

Nicht nur Positionen nebeneinander stellen

Auch in der Berichterstattung über solche Fälle dürfe man es sich nicht zu leicht machen. Indem man etwa Beschuldigungen und Verteidigung einfach nebeneinander stellt, wie es bei Alexandra Föderl-Schmid geschehen sei. Nach dem Motto: Der sagt das, die sagt das. "Idealerweise ist es so, dass man den Dingen auf den Grund geht und nachhakt und dem Publikum schon auch sagt, wie ist es wirklich." Man dürfe die Leserinnen und Leser nicht ratlos zurücklassen, sagt Barbara Tóth. Sie ist mit ihrer Analyse über Föderl-Schmids Arbeit auch ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

Der Plagiatsjäger Stefan Weber schrieb auf der Social-Media-Plattform X - vormals Twitter: "Die Einordnung von Frau Tóth ist eine ideologisch motivierte Propagandalüge" und: "Der Falter konstruiert eine Fake Reality". Tóth findet das "klassisch rufschädigend, er hat quasi meine Integrität und Professionalität als Journalistin infrage gestellt".

Maria Windhager

HERIBERT CORN

Maria Windhager

"Es wäre seltsam, wenn man sich nicht wehrt"

Maria Windhager ist eine Wiener Rechtsanwältin, die solche Klagen ausstreitet. Das sei wichtig, betont sie. Im Fall Stefan Weber ist Windhager in einer anderen Sache aktiv geworden: Sie vertritt Oliver Vitouch, den Rektor der Universität Klagenfurt und Chef der Rektoren-Konferenz: "Im Fall von Weber geht es wirklich um schwerwiegende, eher beleidigende und kreditschädigende Vorwürfe. Die kann man so nicht stehen lassen. Es würde praktisch seltsam aussehen, wenn man sich nicht dagegen wehrt", sagt Windhager. Webers Auseinandersetzung mit Vitouch mag persönliche Hintergründe haben, sie ist jedenfalls ein gefundenes Fressen für rechte Websites und Schwurbler-Kanäle, die dem Rektor nicht verziehen haben, dass er während der Corona-Pandemie nur geimpften Studenten den Zutritt zur Uni gewährte. Stefan Weber gibt auf solchen Plattformen gern Interviews.

Jede Plagiat-Schlagzeile bringt neue Aufträge

Natürlich wollte auch #doublecheck mit Weber ein Interview führen, aber er hat abgelehnt. Der Investigativ-Journalist Michael Nikbakhsh hat Weber im Oktober in seinem Podcast "Die Dunkelkammer" ähnliche Fragen gestellt. Zum Beispiel wollte Nikbakhsh wissen, ob Weber sich als Kopfgeldjäger sehe - was dieser verneint. Seine Arbeit sei irgendwo zwischen Journalismus und Wissenschaft angesiedelt.

Er werde auch von Journalisten fälschlich als Freak dargestellt, der falsch abgebogen sei. Auf die Frage, ob die mediale Aufregung, die er auslöst, Teil seines Geschäftsmodells sei, sagt Weber: "Es ist natürlich eine Umweg-Rentabilität. Natürlich ist es eine Schlagzeile, die dann wiederum neue Aufträge bringt. Das gebe ich ja zu". Und warum er im Sinne der wissenschaftlichen Sorgfalt nicht zuerst nachfragt, bei den Beschuldigten und den Unis? "Das ist natürlich mein Geschäftsmodell. Wenn der Auftraggeber wünscht, dass der Plagiator oder die Plagiatoren nicht vor Veröffentlichung des Vorwurfs kontaktiert wird, dann habe ich mich natürlich danach zu richten".

Warum manche Betroffene doch nicht klagen

Ein Geschäftsmodell, von dem eben auch gewisse Medien profitieren, denn Aufmerksamkeit bringt Klicks. So wurden etwa anonyme Plagiats-Vorwürfe gegen die Grüne Justizministerin Alma Zadic, die von der Universität Wien nach einer Prüfung als nicht zutreffend bezeichnet wurden, auf der ÖVP-nahen Plattform "Exxpress" über Wochen zum Thema gemacht. Auch die Föderl-Schmid Geschichte war dort groß.

Viele Betroffene würden aber vor Klagen noch zurückschrecken, sagt Rechtsanwältin Windhager. Viele Leute würden sich Vorwürfe ganz bewusst gefallen lassen, weil sie den Gegner nicht aufwerten wollten. Ein falscher Ansatz, findet auch Barbara Tóth. Das höre sonst nie auf, warnt die "Falter"-Journalistin: "Ich habe den Eindruck, dass sich viele zu fein sind und denken: Diese Person ist ja kein Journalist, das ist ja nur auf der und der Plattform passiert. Wenn jemand so etwas einmal macht, macht sie es beim nächsten Mal bei einer anderen Kollegin. Die Person hört ja nicht auf, wenn man ihr nicht klarmacht: Das, was du machst, ist rufschädigend und verstößt gegen Mediengesetze."

SLAPP-Klagen als Mittel der Einschüchterung

Versuche, Journalisten und Journalistinnen einzuschüchtern und zu diskreditieren, das ist ein altes Geschäft. Aber in den letzten Jahren hat das Phänomen zugenommen, auch indem Journalisten mundtot geklagt werden - mit sogenannten SLAPP-Klagen. SLAPP, das steht für "Strategic Lawsuit Against Public Participation". Das Problem ist so groß geworden, dass das EU-Parlament erst vor wenigen Tagen eine Richtlinie angenommen hat, die solche Einschüchterungs-Klagen erschweren soll.

Florian Scheuba und der klagsfreudige Polizist

Maria Windhager vertritt auch den Kabarettisten Florian Scheuba. Hier geht es um eine Auseinandersetzung mit Bundeskriminalamts-Chef Andreas Holzer. Scheuba hatte ihm satirisch "rätselhafte Untätigkeit" in Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem Ibiza-Skandal vorgeworfen, worauf Holzer klagte. Das Oberlandesgericht Wien hat Holzer in zweiter Instanz Recht gegeben. Wird da Satire nicht als Satire erkannt? Windhager will den Fall bis zum Europäischen Gerichtshof weiterstreiten, denn er sei exemplarisch: "Für mich ist das eindeutig eine SLAPP-Klage, weil es in erster Linie um Einschüchterung geht."

Für Windhager geht es hier "um die Verteidigung der Satire und der Meinungsfreiheit. Die Satire genießt ja nicht nur Meinungsfreiheit. Es geht auch um die Freiheit der Kunst." Es sei problematisch, dass das Gericht berurteile, wie Scheubas Aussagen zu interpretieren seien, meint die Anwältin. Hier fänden Grenzverschiebungen in der Justiz statt.

Deutsches Zitierverbot steht auf dem Prüfstand

Verfassungsministerin Karoline Edstadler von der ÖVP will ein Zitierverbot aus Strafakten durchsetzen, nach deutschem Vorbild. Gäbe es das, dann wären legendäre Zitate wie "Wo woar mei Leistung" von Walter Meischerger in der BUWOG-Causa oder "Ich liebe meinen Kanzler" von Thomas Schmid verboten. Weil Journalisten dann nicht direkt aus Gerichtsakten zitieren dürften. Aber in Deutschland regt sich Widerstand.

Der Journalist und Leiter der Transparenz-Initiative „Frag den Staat“, Arne Semsrott, hat Ermittlungsakten veröffentlicht und wurde angeklagt. Er hat es provoziert. "Wir wollen das ganz grundsätzlich klären, weil ein solches Verbot, das so ganz pauschal ist und keine Abwägung mit der Pressefreiheit kennt, ganz einfach verfassungswidrig ist", meint er im Gespräch mit #doublecheck. Außerdem verstoße das Zitierverbot aus seiner Sicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Machtverschiebung auf Kosten der Öffentlichkeit

Ein Zitierverbot schränke die Möglichkeiten der Medien als Public Watchdog ein, so gesehen passe der Ruf der Politik nach so einem Verbot nahtlos in die Reihe der Attacken auf die freie Presse, sagt Arne Semsrott: "Es ist auf jeden Fall ein Problem für die öffentliche Diskussion. Es ist ein Problem, wenn es ein solches Verbot gibt, weil dann die öffentliche Kontrolle eingeschränkt ist, weil dann nicht mehr so klar ist, was Inhalte sind in einem Strafverfahren. Das verschiebt natürlich die Macht in so einem Verfahren. In Richtung Justiz, die den Einblick hat, aber die vierte Gewalt, die Presse, hat dann weniger Möglichkeit, da ein Licht drauf zu werfen. Insofern geht es natürlich bei diesem Verbot auch ganz knallhart um Machtfragen. Die Öffentlichkeit sieht dabei schlecht aus."

"Die Lügenpresse-Propaganda trägt Früchte"

Auch Maria Windhager, die viele von Hetze und Einschüchterungen Betroffene vertritt, ortet politische Interessen hinter Kampagnen, die von der rechten Presse befeuert werden. "Ich sehe den Journalismus so bedroht wie schon lange nicht", so die Medienanwältin. "Die Rechten haben das ganz eindeutig in ihrer politischen Agenda, den Journalismus kaputt zu machen. Die Lügenpresse-Propaganda trägt Früchte."

Service

Musterprozess zu Zitierverbot - Staatsanwaltschaft Berlin klagt Journalist Arne Semsrott an]

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