Krickerl

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Der Gipfel der Boulevard-Demokratie

Wenn Verleger, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, Litigation-PR - also gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Gerichtsverfahren - als Berichterstattung tarnen, dann ist das der Gipfel der österreichischen Boulevard-Demokratie. Mit dem erstinstanzlichen Schuldspruch gegen Sebastian Kurz wegen Falschaussage wurde dieser Gipfel erklommen.

Thomas Schmid ist durch seine Art der Aussage im zu Ende gegangenen Kurz-Prozess seinem Ziel nähergekommen, in der Inseraten-Affäre den Kronzeugen-Status zu kriegen. Für Kurz und die als Partei von den Ermittlungen der WKStA betroffene ÖVP ist das ebenso bedrohlich wie für die in der Inseratenaffäre ebenfalls als Beschuldigte geführten Verleger Fellner und Dichand. Sie spielen in der Sache aber nicht mit offenen Karten, sondern springen auf den Zug der ÖVP auf.

Die schießt sich auf den Richter ein, der das Urteil gesprochen hat und kratzt damit weiter an der Glaubwürdigkeit der Justiz. Michael Radasztics sei befangen, weil er eine Disziplinarstrafe wegen Weitergabe einer Information an Peter Pilz ausgefasst hat. Und Pilz ist ein Kurz-Kritiker. Da können das Gericht und alle Experten noch so oft sagen, dass das mit Befangenheit nichts zu tun habe.

Kein Wort darüber, dass auch Fellner involviert ist

Am Ende des Tages, der den Schuldspruch gegen Kurz gebracht hat, sitzt Wolfgang Fellner mit seinen Kult-Analytikern Peter Westenthaler und Josef Cap in seinem TV-Studio. Westenthaler stellt scharfsinnig fest, dass das Urteil erst der Anfang sei. "Das Problem sind die kommenden Verfahren mit einem offiziellen Kronzeugen Thomas Schmid. Der wird das werden, da kriegt Kurz ein echtes Problem." Kein Wort fällt darüber, dass die Fellners dann auch ein Problem kriegen würden.

Wolfgang Fellner

Wolfgang Fellner

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Wolfgang Fellner und sein Bruder Helmuth sind nämlich wie Kurz Beschuldigte in der Inseratenaffäre. Es geht um das "Beinschab-Österreich-Tool", um manipulierte Umfragen und Inserate aus Steuergeldern über Fellners Gratiszeitung. Mit dem Zweck, den dann auch erfolgten politischen Aufstieg von Kurz zu unterstützen. Wolfgang Fellner bestreitet, darin verwickelt zu sein. Den immer wahrscheinlicheren Kronzeugen Thomas Schmid hat Fellner gern als Lügenbaron Münchhausen bezeichnet.

Die wachsende Angst vor dem Kronzeugen Schmid

Das werde nach dem Auftritt Schmids im Kurz-Prozess immer schwieriger, sagt Fabian Schmid vom "Standard". Denn Thomas Schmid habe "das eigentlich sehr ruhig, seriös, unaufgeregt gemacht, auch selbst Fehler eingeräumt und jetzt auch nicht übertrieben Kurz extrem belastet. Einer der späteren Freisprüche in einem Anklagepunkt lag ja auch daran, dass Schmid selbst da quasi auf die Bremse gestiegen ist und gesagt hat: So stimmt das nicht, dass er mich so gepusht hätte."

Wolfgang Fellner selbst tut in der Sendung so, als wäre er in Anlehnung an die letztlich verhängnisvollen Kurz-Aussagen im Untersuchungsausschuss in der Affäre nicht involviert, sondern nur informiert: "Das ist ja erst der Auftakt. Der wird jetzt durch die ganze Justizmangel gedreht. Drei, vier, fünf Verfahren, die ihm da jetzt drohen." Als wenige Tage nach dem Urteil die Diskussion über eine angebliche Befangenheit des Richters losbricht, geht Wolfgang Fellner richtig in die Offensive. In einem Kommentar schreibt er von einem "Brutal-Urteil" und einem "Justizskandal ersten Ranges". Justizministerin Alma Zadic sei rücktrittsreif, sie und die Grünen hätten beim Kurz-Prozess Regie geführt, so Fellner. Der Kurz-Schuldspruch habe die Alarmglocken bei den beschuldigten Verlegern läuten lassen, dass es langsam ernst werde, sagt Fabian Schmid.

Paarlauf mit ÖVP auch bei der Daten-Sichtung

Der Verleger Fellner hat den Spin der ÖVP aufgenommen, die die Glaubwürdigkeit von Richter Michael Radasztics in Frage stellt. Einen Paarlauf der Kanzler-Partei mit den Fellners gibt es auch an einer anderen Front: Die Auswertung beschlagnahmter Unterlagen und Handys der Fellner-Brüder zieht sich, weil diese das Redaktionsgeheimnis ins Treffen führten und kaum Daten zur Auswertung freigaben. Jetzt, zweieinhalb Jahre nach der Beschlagnahme, können die Daten erst gesichtet werden. Und zwar alle, wie das Landesgericht Wien angeordnet hat.

Ähnlich läuft es im ÖVP-geführten Bundeskanzleramt, wo die WKStA in den Ermittlungen zur Inseratenaffäre auf Mails aus der Presseabteilung zugreifen will. Um an Inhalte zu kommen, die Kurz-Vertraute auf ihren Geräten gelöscht haben sollen. Das Kanzleramt sperrte sich, das Gericht entschied auf Freigabe der Mails, sie sind aber immer noch versiegelt. Weil angeblich Staatsgeheimnisse in den Mails stehen könnten.

Karl Nehammer und Armin Wolf

Karl Nehammer und Armin Wolf

ORF

"Wie kommen Staatsgeheimnisse in ein Mail?"

Das war unlängst auch Thema in der ZIB2, Armin Wolf hat den zuständigen Bundeskanzler Karl Nehammer gefragt, wie denn Staatsgeheimnisse in ein Mail kommen könnten. "Es ist eben zu prüfen, dass das nicht passiert. Man kann niemals Fehler ausschließen. Es sind im Bundeskanzleramt über 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Niemand ist fehlerfrei", so Nehammer. Zu den Angriffen seiner Partei auf den Richter im Kurz-Prozess will er sich gleich gar nicht äußern. Nehammer betont eine Rollenteilung, die er vorgenommen habe: "Der Generalsekretär der Volkspartei, der auch Rechtsanwalt ist, hat zu dem Urteil Stellung genommen, aber vor allem auch zu den Umständen, die jetzt medial kolportiert worden sind. Ich als Bundeskanzler kommentiere kein laufendes Verfahren."

Der Kommentar-Furor der Eva Dichand

Vor ziemlich genau einem Jahr hat bei der Gratiszeitung "Heute", in den Büros von Eigentümerin Eva Dichand und Geschäftsführer Wolfgang Jansky, eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Der Verdacht lautet auch hier auf Inseratenkorruption. Thomas Schmid wirft Dichand im Kern vor, für die "Heute" und für die "Kronen Zeitung", die ihr Mann Christoph Dichand führt, Inseratengeld gegen freundliche Berichterstattung über die Kurz-ÖVP gefordert zu haben. Eva Dichand hat das immer bestritten, obwohl Chat-Nachrichten und Details aus Inseraten-Geschäften ein anderes Bild ergeben.

Eva Dichand

Eva Dichand

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Vor kurzem hat Dichand, die immer wieder auf eine angebliche Mauer zwischen sich und der Redaktion verweist, im redaktionellen Teil eine Kommentar-Serie veröffentlicht. Darin schreibt sie sich ihre Wut über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft inklusive Hausdurchsuchung von der Seele. Titel: "Anatomie einer Hetzjagd". Die befreundete "Kronen Zeitung" greift das in einem Kommentar auf und solidarisiert sich.

"Als Journalismus getarnte Litigation-PR"

Der Medienwissenschafter Fritz Hausjell weist darauf hin, dass die "Heute"-Herausgeberin als Beschuldigte behaupten könne, was sie wolle. Das sei auch eine Zumutung gegenüber ihrer Redaktion. "Sie tut ihrem eigenen Medium nichts Gutes damit, dass sie sozusagen hier Eigeninteressen in einer völlig überzogenen Art und Weise ins Spiel bringt. Das ist Litigation-PR in eigener Sache, ausgeschildert als Journalismus, als Kommentar." Fabian Schmid vom "Standard" pflichtet ihm bei: "Es ist ein riesiges Problem für diese drei Medien, für Österreich, Krone und Heute, dass ihre Verleger da Beschuldigte sind. Weil man sich bei fast jedem Artikel die Frage stellt, ob das jetzt rein journalistisch erfolgt oder ob da vielleicht doch mitschwingt, dass das eigene Medium quasi beschuldigt ist."

Satire über die "sonderjournalistische Operation"

Das Satire-Portal "Die Tagespresse" hat die Kommentar-Serie von Eva Dichand zerlegt. Gründer Fritz Jergitsch: "Wir nennen es sonderjournalistische Operation. Diese Kolumnen, die Eva Dichand veröffentlicht hat, das war ein bizarrer Rundumschlag." Das hat Jergitsch sogar einen rechtlichen Disput mit den "Heute"-Anwälten eingebracht, weil Dichands Kommentarbild ohne Einverständnis für die Satire verwendet wurde. Man einigte sich gütlich, weil umgekehrt auch die "Heute"-Zeitung Screenshots von der "Tagespresse" geklaut hatte.

Jergitsch über die Linie der Dichand-Kommentare: "Ich finde, wenn jemand Vorgänge, die im Rahmen von völlig normalen rechtsstaatlichen Prozessen passieren, wenn jemand sich da dann beginnt zu vergleichen mit einem Vergewaltigungsopfer, und Eva Dichand hat ja gesagt, es fühlt sich für sie an, wie wenn man immer wieder vergewaltigt wird und alle schauen zu. Das sind ihre Worte. Das ist so eine unglaubliche Wehleidigkeit von jemandem, der eigentlich zur absoluten Elite der Republik gehört, dass man das natürlich aufgreifen muss."

30.000 Euro für eine Nebelwand aus Daten

Eva Dichand wappnet sich auch sonst gegen die Ermittlungen der Justiz. Mit 30.000 Euro hat ihr Verlag eine Studie an der Wirtschaftsuniversität finanziert, die 250.000 Artikel aus neun Tageszeitungen zwischen 2016 und 2021 auf die Tonalität gegenüber politischen Parteien untersucht hat. Das Ergebnis war: Bei der "Heute"-Zeitung sei keine besondere Bevorzugung der ÖVP - das ist ja der Vorwurf - festzustellen.

Eine der Autorinnen hat freilich bestätigt, was Kritiker an der Studie bemängeln: Die Methode gebe einen Überblick über einen langen Zeitraum, sage aber nichts über positive Berichterstattung zu bestimmten heiklen Zeitpunkten aus. Dazu müsste man genauer hinschauen. Was #doublecheck und der Medien-Watchblog "Kobuk" gemacht - und in der fraglichen Zeit der Inseratenaffäre durchaus sehr ÖVP- und Kurz-freundliche Berichte gefunden haben. Für die Dichand-Anwälte zeigt die Studie dennoch, dass es - Zitat - "keinerlei bevorzugte Berichterstattung gegeben" habe. Vom Tatverdacht sei "nichts mehr übrig".

Natürlich hat #doublecheck versucht, mit Eva Dichand zu sprechen, sie war aber nicht zu einem Interview bereit. Wolfgang Fellner ist laut seinem Büro in den USA, auf schriftliche Anfragen hat er nicht reagiert. So wie oe24-Chefredakteur Niki Fellner, der auch telefonisch nicht erreichbar war.

Service

WU-Studie finanziert von "Heute" - In welcher Tonart Tageszeitungen über politische Parteien berichten

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