EM-Maskottchen

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Servus TV, der ORF und die Sportrechte

Ein Quoten-Sommermärchen

Das allzu kurze Sommermärchen der österreichischen Männer-Fußball-Nationalmannschaft bei der laufenden EM-Endrunde in Deutschland fand auf Servus TV statt, weil der Red-Bull-Sender sich um viele Millionen die Übertragungsrechte gesichert hat. Das Doppelte von dem, was für den beitragsfinanzierten ORF wirtschaftlich möglich war. Die Folge sind Rekordquoten, Servus TV hat dank Fußball im Juni erstmals ORF1 bei den Marktanteilen überholt. Es ist auch ein Sommermärchen für Senderchef Ferdinand Wegscheider, der davon schon vor Jahren geträumt hat.

Beim Achtelfinale Österreich-Türkei haben sagenhafte 2,4 Millionen Servus geschaut. Es war der bisherige Quotenrekord - ein spätes Geschenk des verstorbenen Dietrich Mateschitz. Michael Fiala von der Plattform "90Minuten.at" weiß: "Zum Zeitpunkt der Rechtevergabe vor drei Jahren war das die Causa prima für Dietrich Mateschitz und Servus TV. Aus Sicht des ORF, aber auch anderer Privatsender gab es da keine Chance, wirtschaftlich irgendwie nur halbwegs sinnvoll mitzugehen."

Polemik gegen ORF wegen Rechte-Poker

Dem öffentlich-rechtlichen ORF wäre es auch gesetzlich nicht erlaubt gewesen, Mateschitz einfach - koste es, was es wolle - zu überbieten. Nach dem EU-Beihilfenrecht, das für beitragsfinanzierte Medien gilt, wäre das Wettbewerbsverzerrung. Der ORF steht trotzdem in der Kritik, von Seiten der Politik - die FPÖ spricht von Blamage und lobt die Performance von Servus TV - aber auch von Journalisten, die den Mateschitz-Sender wegen seiner Ausrichtung kritisch sehen wie "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk.

Tatsächlich hat diese Entwicklung Schubkraft für die politische Berichterstattung des Senders, der sich als Plattform einer rechten Gegenöffentlichkeit etabliert hat und als Kanal für Verschwörungs-Erzählungen wie für alternative Fakten nach dem Vorbild der US-amerikanischen "Fox News" gilt. Doch die Kritiker liegen faktisch falsch.

Public Viewing auf dem Rathausplatz

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Zu teuer und überbieten rechtlich verboten

ORF-Chef Roland Weißmann erinnert an die Explosion der Kosten für Übertragungsrechte. "In den vergangenen zehn Jahren haben sich Sportlizenzen mehr als verdoppelt. Und auf der anderen Seite geht man nicht einfach zu einem Anbieter und sagt: Ich hätte gerne diese Rechte. Es gibt ein anonymisiertes Bieterverfahren. Jeder Sender legt ein Angebot, und man lizitiert sich dann nach oben. Man weiß nie, wieviel muss man bieten, um die Rechte zu bekommen." Der ORF habe für die EM-Rechte ein gutes Angebot gelegt, sagt Weißmann.

Wirtschaftlich sei nicht mehr möglich gewesen und Servus TV habe das deutlich überboten. Das bestätigt auch Sportjournalist Fiala: "Man kann davon ausgehen, dass die Rechte für die Euro 2024 - und da reden wir nur von diesem Turnier, von den vier Wochen - zwischen 20 und 30 Millionen gekostet haben. Das ist nie und nimmer finanzierbar. Nicht in den vier Wochen und auch nicht auf lange Sicht." Dem Vernehmen nach waren es 25 Millionen Euro, fast doppelt so viel wie der ORF bieten konnte und wollte, die Servus TV in die Hand genommen hat - und noch einmal so viel für die EURO 2028.

Red-Bull-Millionen in dreistelliger Höhe

Der Sender wird finanziell vom milliardenschweren Red-Bull-Konzern getragen, die Sportrechte sind strategisch in dessen Sinn. Der Medienexperte Peter Plaikner beschreibt die Dimension: "Man glaubt, dass es insgesamt in den vergangenen Jahren eine dreistellige Millionensumme war. Das reicht von der Formel1 über die Champions League, die Europa League, die Conference League im Fußball bis zu großen Tennisübertragungen. Und jetzt zum Beispiel auch für die Tour de France. Da überträgt Servus TV jetzt die sechs spannendsten Tage." Und mit Felix Gall fährt ein österreichischer Hoffnungsträger bei der Tour mit.

Tour de France 2024

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Kitzbühel als beinharte Gegenforderung?

Ein mediales Zugpferd, so wie es das Nationalteam bei der EM bis zum Ausscheiden im Achtelfinale war. Um ein Österreich-Spiel ausstrahlen zu können, hätte der ORF die Hosen herunterlassen müssen - das Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel sei als Preis genannt worden, das will offiziell aber niemand bestätigen. Geschäftsgeheimnisse.

Die Info-Sendungen von Servus TV haben profitiert. Speziell rund um das Niederlande-Spiel, das den Gruppensieg gebracht hat. Peter Plaikner: "Nachrichten, die parallel zu den Spielen von Österreich laufen, kamen bis in die Nähe von 1,5 Millionen Zuschauern." Eine Stunde vor dem Anpfiff des für Österreich glücklosen Türkei-Spiels haben am Dienstag 806.000 Menschen die Servus Nachrichten gesehen, das war ein Marktanteil von 33 Prozent zur besten Sendezeit.

Schub für die Infosendungen auf Servus

Solche Dimensionen waren bisher nicht vorstellbar, auch wenn sich Servus TV aus der Pandemie heraus maßnahmen-kritisch positioniert hat und - ähnlich wie die FPÖ auf politischer Ebene - davon profitiert. "Der Sender hat sich seit 2016 von damals 1,8 Prozent auf mittlerweile immerhin schon 4,3 Prozent Marktanteil entwickelt. Für die Servus Nachrichten, die um 19.20 Uhr vor der Zeit im Bild laufen, betrug der Marktanteil aber schon vor dem Start der Europameisterschaft 8,7 Prozent, also mehr als das Doppelte", so der Medienexperte. Die EM-Rechte bringen dem Sender jetzt auch im Infobereich einen neuen Schub. Viele Menschen lernten Servus TV kennen und über den Umweg Fußball könnten sie Vertrauen zu den anderen Angeboten des Senders fassen.

Der Kennenlern-Effekt und die Nachhaltigkeit

Wie nachhaltig das dann sein wird, wenn die EM vorbei ist, werde sich zeigen, sagt Oliver Mark, Medienredakteur beim "Standard" - aber: "Es gibt sicher viele Leute, die erstmals in Kontakt kommen mit den Nachrichten und vielleicht Gefallen finden." Ist Servus TV in Sachen Sportrechte eine Krake? Der Sender wollte sich gegenüber #doublecheck nicht äußern. Mark spricht von einem USP: "Eine gute Möglichkeit, um sich ein Alleinstellungsmerkmal zu erarbeiten und zu positionieren, weil mit Filmen oder Serien wird man schwer in diese Liga kommen."

Profitieren tut davon nicht nur der Sender, sondern auch der Chef Ferdinand Wegscheider mit seinem Wochenkommentar. Die Sendung, die seinen Namen trägt, ist nach einer Beschwerde des Presseclubs Concordia wegen Verbreitung von Desinformation ein Fall für die Gerichte: Die Medienbehörde KommAustria hat gegen Servus TV entschieden, das Bundesverwaltungsgericht hat den Bescheid aufgehoben. "Der Wegscheider" sei ein Satireformat und müsse als einzelne Sendung nicht objektiv sein, wenn das Gesamtprogramm das Objektivitätsgebot einhalte, das auch für Private gilt. Der Verwaltungsgerichtshof sah das im Mai anders, die Sendung müsse sehr wohl für sich beurteilt werden.

"Der Wegscheider" ein Fall für die Gerichte

Der Ausgang ist offen. Wegscheiders Marktanteil liegt jedenfalls über dem Sender-Schnitt von gut vier Prozent, weiß Peter Plaikner. "Aufs Jahr gerechnet bei 7 Prozent. Und das gilt nur für die Erstausstrahlung am Samstagabend. Es gibt regelmäßig auch am Sonntag noch eine Wiederholung. Und Servus TV spielt sehr geschickt mit der Ausspielung über Social-Media-Kanäle." Die Wegscheider-Sendung geht online sehr gut, und wird auch von FPÖ-Politikern gern geteilt, Ferdinand Wegscheider zeigt sich wiederum auf Social Media mit ihnen - zuletzt mit der Salzburger FPÖ-Chefin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek und ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler.

Seine Sendung hat schon vor Beginn der EM vom Fußball profitiert, nach der Ausstrahlung des Testspiels Schweiz gegen Österreich sind 289.000 Menschen bei "Der Wegscheider" drangeblieben, mit 14,5 Prozent Marktanteil das Doppelte des durchschnittlichen Werts. Wird der Traum des Intendanten, wie sich Ferdinand Wegscheider als Senderchef nennen lässt, in Erfüllung gehen? Peter Plaikner erinnert daran, dass er schon vor Jahren als Fernziel angegeben hat, die Marktanteile von ORF1 zu knacken. "Die liegen immer noch so rund um die 10 Prozent. Das schafft er also als Sender insgesamt noch nicht. Aber mit den Rekordwerten heuer im Juni wird Servus TV auch im Gesamtjahres-Marktanteil sicher wieder einen Rekord erzielen und weiter wachsen."

Weißmann zu Quoten-Rennen: Kirche im Dorf lassen

Mag sein, sagt der ORF-Generaldirektor dazu. Es habe ja niemand etwas zu verschenken, man stehe im Wettbewerb und jeder Sender habe seine Ziele. Aber man müsse die Kirche im Dorf lassen, meint Roland Weißmann. "Ich bin überzeugt, dass ORF1 zum Jahresende mit deutlichem Abstand weiterhin vor Servus TV liegen wird. Und insgesamt muss man es ja auch so sehen, dass ORF1 größer oder gleich groß ist wie alle privaten TV-Anbieter in Österreich zusammen. Und das gilt es zu verteidigen. Und ich bin optimistisch, dass wir das am Jahresende auch wieder erreichen werden können." Auch das mit dem Alleinstellungsmerkmal durch die Sportrechte sollte man nicht überbewerten, sagt der ORF-Chef.

Man werde sich daran gewöhnen müssen, dass sich nicht mehr ein Sender alle Übertragungsrechte werde leisten können - das gelte für den ORF genauso wie für Servus TV, auch wenn das gerade anders aussehe. Weißmann: "Bei der Fußballweltmeisterschaft 2026, da haben wir wieder die Nase vorn. Ich habe alle Rechte erwerben können, und da werden wir es dann ähnlich handhaben. Wenn die Österreicher qualifiziert sind, können Sie sicher sein, dass die Österreicher dann im ORF spielen werden." Es gebe ja schon eine langjährige Kooperation mit Servus TV etwa bei der Formel1 und der Fußball-WM in Katar 2022.

Berührungsängste und Boykott-Fantasien

Roland Weißmanns Devise war von Beginn weg Kooperation statt Konkurrenz, das gilt etwa auch für das Verhältnis zum Mitbewerber Puls4. Berührungsängste gibt es beim Publikum, im Leserforum des "Standard" sind vor den EM-Spielen sogar Boykott-Aufrufe gegen Servus TV kursiert. Medienkenner Peter Plaikner spricht von "gemäßigten TV-Konsumenten, die sich zum Beispiel jetzt im Zuge der Euro ganz bewusst als ARD- oder ZDF-Zuschauer deklariert haben, um ja bloß nicht Servus TV schauen zu müssen oder das eingestehen zu müssen". Andererseits sorge die "hochqualitative und auch spritzige Berichterstattung" von Servus TV im Sport doch dafür, dass viele Barrieren fallen.

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