Jugendlicher mit Smartphone

PICTUREDESK.COM/DPA PICTURE ALLIANCE/CHANNEL PARTNERS

Matrix

Die Radikalisierung von Teenagern im Netz

Wien, Solingen, München: Sicherheitsbehörden warnen seit Monaten vor der wachsenden islamistischen Gefahr, einer neuen Generation von "TikTok-Dschihadisten". Die neue Strategie des Islamischen Staates und seines afghanischen Ablegers ISKP, den Terror-Nachwuchs auf Social Media zu rekrutieren, scheint aufzugehen.

Der Schock des vergangenen Sommers: Die drei Wien-Konzerte des US-Superstars Taylor Swift wurden abgesagt, nachdem der CIA die Anschlagspläne eines 19-jährigen Niederösterreichers aufgedeckt hatte. Der mutmaßliche Täter radikalisierte sich auf TikTok - und er ist nicht allein.

Immer mehr Jugendliche kommen auf der chinesischen Kurzvideoplattform mit islamistischen Inhalten in Berührung. So auch eine 14-jährige IS-Anhängerin, die im Oktober 2024 für eine geplante Messerattacke am Grazer Jakominiplatz zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Auch die Terror-Verdächtigen von Solingen, München 2024 und dem Wiener Hauptbahnhof konsumierten Hunderte Stunden Hasspropaganda auf ihren Handys, bevor sie zur Tat schritten.

„TikTok-Dschihadisten“

Experten und Expertinnen sehen soziale Medien als Katalysatoren der Gewalt und bezeichnen die immer jünger werdenden Einzeltäter:innen als eine neue Generation von „TikTok-Dschihadisten“. Terror-Organisationen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) und sein afghanischer Ableger ISPK nutzen gängige Influencer-Strategien, um bei Jugendlichen anzukommen. Mit einer betont lockeren, von Gangsterrap und Kampfsport geprägten „Ehrenmann“-Attitüde werben sie jedoch nicht für Produkte, sondern für eine extremistische Ideologie, die vor allem bei marginalisierten jungen Männern auf fruchtbaren Boden fällt.

Die TikTok-Prediger haben zehntausende Follower, Millionen von Likes und liefern - dem Medium entsprechend - einfache und schnell konsumierbare Antworten auf komplexe Fragen, von korankonformer Lebenshilfe bis hin zu bewusster Desinformation.

Algorithmus beschleunigt Radikalisierung

Der personalisierte TikTok-Algorithmus gießt zusätzlich Öl ins Feuer: Wer einmal länger extremistische Inhalte schaut, bekommt sofort ähnliche Videos in die Timeline gespült. Die Clips sind emotional aufgeladen und zugespitzt, damit sie von möglichst vielen Nutzer:innen geteilt werden und hohe Reichweite erzielen. Ein radikales Freund-Feind-Weltbild dominiert die entstandene Echokammer.

Das Kalkül der Terrororganisationen, ihren Nachwuchs über das Leitmedium der Jugend zu rekrutieren, geht auf. TikTok ist mittlerweile das größte Eingangstor des religiös motivierten Extremismus; die Radikalisierung passiert nicht mehr in der Moschee, sondern zuhause, mitten im Kinderzimmer. Durch Chats, Kommentarfunktionen und Telegram-Kanäle kommen die Jugendlichen - von ihren Eltern meist unbemerkt - direkt mit den Islamisten in Kontakt.

Fakten haben kaum noch Bedeutung

Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich die Lage weiter zugespitzt. Der Krieg im Nahen Osten politisiert auch im Westen eine ganze Generation Jugendlicher: Terrorpropaganda, Fake News, Verschwörungstheorien und Antisemitismus sind auf TikTok allgegenwärtig. Die Folgen sind verheerend: Immer mehr Jugendliche entgleiten in eine Parallelwelt, in der Fakten kaum noch Bedeutung haben.

Gestaltung

  • Daniela Derntl