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Fünf Jahre Corona und die Folgen
Das Virus und die Medien
Es war die Phase der angekündigten Impfpflicht und des Lockdowns für Ungeimpfte. Der ORF hatte Ende 2021 eine Impf-Lotterie ausgeschrieben, der Hauptpreis war ein Fertighaus. Mehr als zwei Millionen Menschen haben teilgenommen, aber es war nur ein scheinbarer Erfolg. Dahinter hat sich ein Graben aufgetan. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben die Menschen auseinanderdividiert und auch die Medienlandschaft nachhaltig verändert.
7. März 2025, 09:50
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann würde so eine Impf-Lotterie heute nicht mehr machen. "Es wurden jene ausgeschlossen, die nicht geimpft waren. Die konnten nicht teilnehmen, und das war im Nachhinein gesehen ein Fehler." Weißmanns Bekenntnis hat einen aktuellen Bezug zum ORF-Programm, am 18. März wird Barbara Stöckl im Hauptabend live durch eine Sendung führen, die die Fehler von damals aufgreifen wird.
"Stöckl live" zum unbewältigten Trauma
Das Thema lautet: "Fünf Jahre Corona - ein Trauma, das bleibt?" Die Zeit sei reif, meint Stöckl. "Es gibt einen guten Abstand, damit auch die Empörung und der Zorn und die Wut sich ein bisschen gedämpft haben. Denn das braucht es, glaube ich, um in den Dialog zu kommen. Die Leute wollen gehört werden und sie wollen gesehen werden. Und das kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk gut." Stöckl hat Straßenumfragen gemacht, sie habe vermutet, dass die Leute vor ihr davonlaufen würden, erzählt sie. "Das war aber nicht der Fall. Die sind stehengeblieben und haben klargemacht, dass sie finden, dass es wichtig ist, darüber zu reden."
Keine Augenhöhe und zu wenig Augenmaß
Ähnliche Erfahrungen hat Antonia Titze vom Social Media Team des "Standard" gemacht. Sie hat FPÖ-Sympathisanten und Maßnahmen-Gegnerinnen von einst auf einer Demo zur ihrem Medienkonsum befragt und ein beeindruckendes Video daraus gemacht. "Und was wir gemerkt haben auf den Demos, die haben einfach auch ein großes Redebedürfnis. Die wollen sich uns mitteilen, auch wenn sie uns im selben Moment eigentlich gar nicht vertrauen." Man müsse auf die Menschen zugehen, ihnen zuhören und sie nicht nur als Schwurbler abtun. "Mir hat oft gefehlt, dass man ein bisschen mehr mit Augenhöhe draufschaut", so Titze.
Mehr Augenhöhe und mehr Augenmaß, das hat während des Verlaufs der Pandemie gefehlt. Am Anfang sind noch alle zusammengerückt: Politik, Bevölkerung und Medien. Aber dann ist es bald einmal gekippt. Michael Fleischhacker, heute Servus TV, damals noch bei der eingestellten Mateschitz-Plattform Addendum, hat von den vier "Corona-Königen" gesprochen und auf die regelmäßigen Pressekonferenzen von Kanzler, Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister angespielt. Stets live im ORF-Fernsehen, es war schon von Huldigung die Rede.
"Licht am Ende des Tunnels" hat verdunkelt
Die Kritiker hätten da schon einen Punkt gehabt, sagt ORF-Chef Weißmann heute. "Am Anfang hat es sehr gut funktioniert. Irgendwann ist es dann gekippt." Laut Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien schon im Sommer 2020 - er erinnert an den Sager des Sebastian Kurz vom "Licht am Ende des Tunnels", der reines Polit-Marketing war.
Kaltenbrunner: "Der Sommer war die Vorgeschichte für den schwersten Lockdown und für die meisten Erkrankungen und für die größten Schwierigkeiten im Gesundheitssystem. Also politisch simpel ein Blödsinn, aus welchen Gründen auch immer gestreut und weitgehend von Medien übernommen. Und ab da begann es zum Beispiel auseinanderzudriften, da sahen wir die erste Bewegung in den Daten, dass das ganz klar in eine Skepsis umgeschlagen hat."
Ein Parallelslalom von Politik und Medien
Politik und Medien seien in einem "Parallelslalom" wahrgenommen worden. Verschärft wurde dieser Eindruck durch Zig Millionen Sonderförderung für die durch Corona schwer unter Druck gekommene Medienbranche. Das Bild, dass man die Hand, die einen füttert, vielleicht nicht zu fest beißen will, das war fatal. Und das Medienvertrauen, zu Beginn der Pandemie noch sehr groß, fiel in den Keller. Viele suchten andere Erzählungen und fanden sie. Zum Beispiel auf Servus TV, das mit einer bisweilen übertrieben maßnahmen-kritischen Linie in der Zeit zum stärksten Privatsender Österreichs aufgestiegen ist.
"Die hatten Experten auf Sendung, die heutzutage die Meinung vertreten, eine Polio-Impfung hätte nichts gebracht. Die mussten die dann auch vom Sender nehmen", erinnert der ORF-Wissenschaftsredakteur Günther Mayr - und er meint konkret den deutschen Mediziner Sucharit Bhakdi, von dem sich Servus TV nach immer abenteuerlicheren Aussagen und Vorwürfen des Antisemitismus getrennt hatte. Bhakdi war dafür bei der FPÖ weiterhin wohlgelitten. Parteichef Herbert Kickl hatte rasch erkannt, welche Emotionen er mit dem Thema triggern kann.

GIANMARA GAVA
Florian Aigner
Die Stunde der Scharlatane und der FPÖ
Für den Wissenschaftspublizisten Florian Aigner ist das eine neue Erfahrung, "dass politische Parteien jetzt Aussagen vertreten oder Aussagen besetzen, die mit der Wissenschaft nicht übereinstimmen". Zuletzt hat die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch ein Interview mit dem ORF-Report zum Corona-Thema abgebrochen, mit den Worten: "Ich weiß nicht, was Sie von Biontech bezahlt kriegen für dieses Interview!" Die Unterstellung, der Impfstoff-Hersteller Biontech habe bei dem Interview seine Finger im Spiel gehabt, zahlt auf die Verschwörungsmythen ein, die bei gesunkenem Medienvertrauen mitschwingen.
Die Politologin Julia Partheymüller von der Universität Wien sagt dazu: "Ein geringes Vertrauen in die Institutionen und die Medien ist ein gewisser Nährboden für Verschwörungstheorien. Wir sehen, dass das stark miteinander zusammenhängt." Und das war auch ein Nährboden für FPÖ-nahe Online-Medien wie AUF1, das erst durch Impf-Mythen groß geworden ist - 300.000 Abonnenten auf Telegram sind nicht wenig - und beinhart auf den Verschwörungserzählungen draufbleibt. Der Medien-Watchblog "Kobuk" hat aktuell beobachtet, dass innerhalb von drei Monaten Corona nur an vier Tagen kein Thema auf dem Online-Kanal war. Das fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie.
Corona und Impfen als Geschäftsmodell
Auf diesen Kanälen treten seltsame Propheten und Scharlatane auf, oft einfach um ihre Bücher zu vermarkten. "Diese Menschen haben sehr viel Geld verdient, mit Büchern und mit anderem. Das darf man nicht vergessen. Das ist ein Riesen-Geschäftsmodell für Leute, die extrem gewagte Thesen in den Raum gestellt haben", sagt ORF-Mann Günther Mayr. Es geht ums Geld, und Corona ist bis heute die beste Geschäftsgrundlage. Abnehmer gibt es genug. Florian Aigner, der Wissenschaft vermittelt und immer schon mit Skeptikern konfrontiert war: "Ich glaube, dass die Corona Pandemie Wissenschaftsfeindlichkeit irgendwie zu einer Identität gemacht hat. Man kann das plötzlich in sein eigenes persönliches Selbstverständnis einbauen."

APA/GEORG HOCHMUTH
"Es hat vom ersten Tag an nicht funktioniert"
Hätte das alles verhindert werden können? Wohl kaum, wenn man dem Simulationsforscher Niki Popper glaubt. Er hat die Regierung beraten und Modelle gerechnet, die die Grundlage für die Maßnahmen der Politik zur Eindämmung der Virus-Infektionen waren. Im Prinzip sei das mit den Medien und der Politik ein großes Missverständnis gewesen, sagt Popper: "Weil sozusagen die Spielregeln in Medien und Politik völlig nicht geeignet sind, um eine Pandemie zu managen. Medien möchten Schlagzeilen. Und Politik möchte im Idealfall einen Kuhhandel machen und sagen: Du kriegst das, dann kriege ich das. Beides funktioniert mit Infektionskrankheiten nicht." Es habe vom ersten Tag an nicht funktioniert, so Popper.
Der "virologische Tunnelblick" im Rückblick
Dazu kommt der "virologische Tunnelblick" von Politik, und eben auch Medien - wie es der Public-Health-Experte Martin Sprenger von der Universität Graz nennt. Er hat von Anfang an die gesellschaftlichen Folgen übertriebener Maßnahmen benannt und ist dafür bald angefeindet worden. Die Studie der Akademie der Wissenschaften zu Corona aus dem Jahr 2023 gibt Sprenger freilich recht, der Blick auf die Pandemie und deren Bewältigung sei zu eingeschränkt gewesen, heißt es in der Studie, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Und weiter: "Ein großer Fehler wäre es, jetzt die Bücher zu schließen und die Geschichte mit der Pandemie für überstanden und beendet zu erklären. In diesem Sinne versteht sich dieser Bericht als öffentlicher Weckruf."
Der Gesundheitswissenschafter Martin Sprenger greift das auf, sein Appell im #doublecheck-Interview: "Wenn man von einem Jahrhundertereignis redet und von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, das uns je nach Schätzungen 100.000 Millionen Euro zusätzliche öffentliche Mittel gekostet hat, also ein enormer Einschnitt in unsere Gesellschaft war, dann kann man nicht einfach nur eine Million Euro wie Österreich für die Evaluierung ausgeben, 500.000 für die Österreichische Akademie der Wissenschaften und 500.000 für die MedUni Wien und sagen: Das war's." Sprenger bezieht sich auf Schätzungen der Agenda Austria, die Wohlstandsverluste in dreistelliger Milliardenhöhe in den vergangenen fünf Jahren annimmt.
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