Gipfel-Sieg: Der Wille versetzt Berge - zum Hören
Willkommen bei „Gipfelsieg: Der Wille versetzt Berge - zum Hören“, dem Podcast-Format der gleichnamigen ORF Fernsehsendung. In jeder Folge begegnen sich zwei Menschen auf Augenhöhe, die auf unterschiedlichste Weise schwere und ehrgeizige Lebensabschnitte zu einem persönlichen Gipfelsieg gemacht haben. Die Sendereihe wurde von 2012 bis 2024 mit insgesamt 40 Folgen auf ORF III ausgestrahlt. Im Podcast „Inklusion gehört gelebt“ erscheint jetzt alle zwei Wochen eine Folge zum Nachhören. Moderiert wird die Reihe von Barbara Stöckl. Initiatorin des Formats ist Marianne Hengl, Obfrau und Gründerin des Vereins Roll on Austria. Sie hat zum Auftakt ein paar persönliche Worte vorbereitet.
29. September 2025, 10:43
Marianne Hengl: Die Fernsehsendung Gipfel-Sieg ist im Jahre 2012 im Tiroler Land am Schönjoch in Serfaus-Fiss-Ladis das erste Mal produziert worden. Der Hintergedanke war, es hat mich immer fuchsteufelswild gemacht als Betroffene, dass Menschen mit Behinderungen stets als Hascherl, als man muss für sie Steuern zahlen, man macht so viel mit mit ihnen. Man hat einfach so wilde Sachen über uns geredet und dann auf der anderen Seite, parallel dazu, haben mich Menschen auf der Straße angesprochen, haben mir die Hand auf die Schulter gelegt und haben gesagt, Mei, wieso lachen Sie so? Darf ich bei Ihnen ein bisschen Energien abzwacken? Weil ich habe ehrlich gesagt überhaupt kein gutes Leben. Ich schaue supergut aus und bin einfach nicht zufrieden. Und dann hat meine Mitarbeiterin Melanie ein Konzept geschrieben in Kooperation mit dem damaligen ORF-Landesdirektor Robert Barth. Und dann haben wir gesagt, wir sitzen Menschen gegenüber, die im Schatten stehen, Menschen mit Behinderung und Menschen, die große Stars sind. Und von denen glaubt man ja immer, das ist alles schön, die heile Welt, viel Geld, Macht. Und bei behinderten Menschen genau das Gegenteil. Armselig, Bittsteller. Und das Konzept ist wirklich aufgegangen. Sie sind sich dann gegenübergesessen und man hat gesehen, dass jeder Mensch seine Probleme hat, jeder hat sein Packerl zu tragen. Manche haben wirklich alles und sind trotzdem sehr traurig, unzufrieden, weil sie einfach eine schwere Kindheit gehabt haben. Und man ist auch draufgekommen, dass Menschen mit Behinderungen – das war fast bei jeder Sendung – dass Menschen mit Behinderungen das Leben oft besser noch im Griff haben, dass sie oft zufriedener sind, oft glücklicher sogar. Und oft so dankbar, wenn sie die Möglichkeit haben, mit Unterstützung von der persönlichen Assistenz oder mit einem Taxi, das sie barrierefrei irgendwohin bringt, und viele, viele andere Vorzüge, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und da haben natürlich die sogenannten prominenten Persönlichkeiten oft Augen gemacht, wenn ein behinderter Mensch erzählt hat, er hat drei Jahre gebraucht, um aus der Badewanne auszusteigen und jetzt kann er das, dass der größte Erfolg seines Lebens ist. Und plötzlich ist dann beim sogenannten prominenten Menschen, wo die Leute glauben, er steht nur im Licht, ein Licht aufgegangen, wie unterschiedlich Erfolg definiert wird. Und so ist das Konzept Gipfel-Sieg extrem aufgegangen, mehr als ich es mir vorgestellt habe, und hat ganz bestimmt viele, viele Menschen zum Um- und Nachdenken angeregt. Und es war schon eine große Ehre und Freude für uns, dass es in ORF III und auch in ORF2 ausgestrahlt worden ist. Und ja, ich freue mich jetzt, dass es den Gipfel-Sieg auch als Podcast gibt, dass viele Menschen diese Botschaften nachhören können. Gerade in Zeiten wie diesen, glaube ich, ist diese Serie Gipfel-Sieg ein ganz, ganz wichtiger Wegweiser.
Barbara Stöckl: Herzlich willkommen, meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie aus dem Bergdiamant Panorama Restaurant am Schönjoch in Serfaus-Fiss-Ladis und ich begrüße Sie zu einer ganz besonderen Veranstaltung. Unter dem Titel „Gipfel-Sieg“ wird Felix Mitterer, einer der bedeutendsten Autoren und Dramatiker im deutschsprachigen Raum, auf den blinden Extrembergsteiger Andy Holzer treffen. Was bedeutet für diese beiden Menschen ein Gipfelsieg? Nicht nur in den Bergen, sondern auch im richtigen Leben, wenn es darum geht, Herausforderungen anzunehmen, Hürden zu überwinden, Ziele zu erreichen, mit oder ohne Handicap. Initiatorin dieser Veranstaltung ist die selbst behinderte Marianne Hengl, Obfrau des Vereins RollOn Austria. Ziel dieser Begegnung auf Augenhöhe gemeinsames Nachdenken über Einschränkungen und Fähigkeiten. Ich freue mich, Sie zu dieser heutigen Premieren Veranstaltung unter dem Titel Gipfelsieg begrüßen zu dürfen. Bevor wir beginnen mit unserem Gespräch, würde ich meine beiden Gäste Andy Holzer und Felix Mitterer bitten, dass wir mal den Begriff klären, was das für jeden bedeutet. Andy, was ist für dich ein Gipfelsieg? Mit welchen Emotionen, mit welchen Bildern, mit welchen Gefühlen verbindest du dieses Wort?
Andy Holzer: Ein Gipfelsieg ist für mich ganz klar die Vollendung einer Lösung. Also, wenn ich ein Problem gelöst habe, wenn ich alle Züge jetzt bei mir vom Klettern oder vom Bergsteigen, wenn ich alle Schritte richtig gesetzt habe, wenn ich alle Griffe richtig hantiert habe, ja, dann gibt es zum Schluss den Gipfelsieg. Was eigentlich quasi die Vollendung ist.
Felix Mitterer: Der größte meines Lebens, muss man in der Rückschau sagen, 1970 am 23. Dezember, ORF Music Box, ich schicke denen ein Tonband, wo ich einen Text von mir drauf rede, und die senden das. Das war überhaupt das Allergrößte, weil vorher bin ich zehn Jahre lang jeden Tag heim um Elfe zum Postkasten, aufsperren, schauen, ob ein Verlag schreibt, das wollen wir unbedingt haben, und das war's dann.
Barbara Stöckl: Felix, Edmund Hillary, der neuseeländische Bergsteiger, hat gesagt, wir zwingen niemals einen Berg, sondern wir bezwingen nur uns selbst. Steckt das auch darin in dem Gipfelsieg, vor allem, wenn wir heute dieses Wort nicht nur für die Bergwelt, sondern auch auf die Lebenswege anwenden wollen?
Felix Mitterer: Ja, selbstverständlich, ja. Was mich jetzt als Autor anbetrifft, gibt's sowieso keinen Gipfelsieg. Weil wenn ich was fertiggeschrieben habe, dann habe ich überhaupt keine Ahnung, ob das was ist. Wenn's dann auf die Bühne kommt oder ins Fernsehen, gibt's dann eine Reaktion, dann weiß ich erst, ob es ankommt. Es ist dann wie beim Andy, man macht's dann ja wieder und wieder und wieder, aber es geht wohl um das, etwas bezwingen, etwas wollen, etwas überwinden, sich überwinden, etwas tun.
Barbara Stöckl: Das heißt man kann im Berg und in der Bergwelt, im Aufstieg auf einen Berg, das hat ganz viel an Symbolkraft, auch für das eigene Leben.
Felix Mitterer: Ja, ja, freilich, das war ja eine Spitzenidee von der Marianne, das so zu nennen, geradezu unglaublich war das. Und dass wir jetzt da oben auf sind, natürlich ist von ungeheurer Symbolkraft.
Barbara Stöckl: Hilft uns das Symbol gleich ein bisschen zu ergründen. Beginnen wir mal mit dem Aufstieg. Wir müssen ja nicht gleich am Gipfel hinauf. Wo sind die Aufstiege, was sind da die wesentlichen Dinge, um raufzukommen, wenn du jetzt an den Beginn deiner Karriere auch zurückdenkst. Worum ging es da, was war das Entscheidende? War es Mut, war es Durchhaltevermögen, welche Fähigkeiten waren es?
Felix Mitterer: Das war das, was es bei uns allen ist. Der Tobias Moretti, ein Freund von mir, ist mal ins Wirtshaus gegangen. Und dann hat jemand zu ihm gesagt, ihr, also du Tobias und du, Gregor, ihr kriegt alles, ihr habt alles, ihr habt es fein. Da hat der Tobias eine Wut gekriegt, hat ihn am Kragen gepackt und hat gesagt, weißt du was wir haben, einen Willen haben wir. Und das ist es im Grunde. Also will man was oder will man nichts. Und das ist bei jedem Menschen so im Leben. Und das ist bei mir Landarbeiterkind auch so gewesen, wo das Lesen nicht einmal gefragt war. Ich wollte Schriftsteller werden. Und damit fängt das an, man will's.
Barbara Stöckl: Andy, was war es bei dir? Durch eine erblich bedingte Netzhauterkrankung kannst du nicht sehen, von Geburt an bist du blind. Ist das Klettern, das durch die Berge gehen, auch deine Form? Dein Werkzeug, die Welt wahrzunehmen, die Welt zu sehen?
Andy Holzer: Ja, ich falle wahrscheinlich schon wieder vielen in den Rücken, wenn ich sage, das Blindsein, das Behindert sein. Ob einer zwei Füße hat oder keinen. Es ist für mich so was von Nebensache. Das, was der Felix jetzt gesagt hat, ist nämlich das Thema. Wenn du ein Herzblut hast, wenn du brennst für etwas. Wir lernen es eigentlich von den Kindern, die am Sandkasten abends um 10 Uhr noch draußen stehen, wo die Mutter schon 25 mal gerufen hat, es ist kalt, es regnet, du wirst dich verkühlen. Der Bub wird immer noch auf seinem Plastik-LKW herumbasteln, weil so spannend ist er. Alles vergessen rundherum. Also man muss einfach vergessen, dass man keine Voraussetzungen hat, quasi, so wie es bei mir ist. Dann findest du Wege. Mittlerweile ist es Wege zu finden und kreativ zu sein, der hundertmal spannender ist, wie das langweilige Thema des Handicaps. Und ich glaube, alle Menschen auch, die immer da drinnen sitzen, im Rollstuhl oder mit einem super-fitten Körper, es ist vollkommen egal. Das Leben spielt sich im Schädel ab und wenn du eine Energie entwickelst, dann findest du den Weg dazu, egal mit welchen Voraussetzungen. Einen Satz darf ich noch dazu sagen. Die erfolgreichsten Menschen dieser Welt sind nicht die, die den schönsten Körper haben, die am meisten Geld haben, die die besten Voraussetzungen haben. Die vergurken sich’s nämlich mit immer noch weiterem herumsinnieren, was könnte man ja noch besser machen. Die, die wirklich am Gipfel angekommen sind, die mit der größten Leidenschaft, mit dem größten Herzblut und die vergessen haben, dass man eigentlich gar nicht raufkommen könnte. Das ist für mich einfach die Einstellung von Bergsteigen. Deswegen sitzen wir jetzt da miteinander.
Barbara Stöckl: Aber ich kann mir vorstellen, dass das ja nicht immer so war. Das muss doch ein langer Prozess gewesen sein, bis du dort hingekommen bist. Für einen Menschen, der blind ist, ein Kind das blind ist, ist es ja nicht selbstverständlich, überhaupt zu sagen, ich will Bergsteiger werden.
Andy Holzer: Mein Vater ist heute im 86. Lebensjahr. Leute fragen ihn immer wieder, Herr Holzer, gratuliere wie stark sie waren mit ihren blinden Kindern. Meine Schwester ist auch blind. Mein Vater sagt heute mit 86 Jahren, der Bub hat ja ständig gefordert. Der kleine Junge ist mit zwei Jahren beim Küchentisch gestanden und hat auf den Tisch geklopft, wann kriege ich denn endlich mein Fahrrad? Also ich habe einfach ständig vergessen, dass ich blind bin. Und das hat sich einfach entwickelt.
Barbara Stöckl: Der Andy hat gerade gesagt, vergessen wir das langweilige Handicap. Es hat jeder seine eigenen Widerstände, seine eigenen Probleme, sein eigenes Pinkerl. Und du bist genauso mit deinem Pinkerl auf die Welt gekommen. Du bist in eine sehr armen Familie hineingeboren worden. Du bist zur Adoption freigegeben worden, bei deiner alten Adoptivmutter, aufgewachsen, und der Berufswunsch Schriftsteller war nicht mit großartiger Zustimmung begründet. Also war da auch sehr vieles da, wo du gegen Widerstände ankämpfen hast müssen.
Felix Mitterer: Ja, ich habe sehr lange verheimlicht, dass ich Schriftsteller werden möchte, weil es so absurd war, weil schon das Lesen eigentlich überflüssig war, hat Zeit gekostet und Strom kostet, hat von der Arbeit abgehalten. Mit 10 Jahren wollte ich das schon und habe mich nicht getraut, das zu sagen, sondern mein Vater, Bauernknecht war der Einzige weit um, der eine Tageszeitung abonniert hatte. In den 50er-Jahren habe ich mich getraut zu sagen, ich werde Journalist. Mein Pech war, dass ein Schriftsetzer von der Tiroler Tageszeitung auf Sommerfrische war auf dem Bauernhof und gesagt hat, um Gottes Willen, Journalist ist ein Hungerleiderberuf, der soll doch was Ordentliches lernen der Bub. Dann war das auch wieder vorbei. Und dann kommt mein Volksschullehrer, der mich entdeckt hat mit den Aufsätzen und sagt, Felix du hast jetzt zwei Möglichkeiten, entweder wirst du Lehrer oder Pfarrer. Da war gerade in der Nachbarklasse ein Mädchen, das mir so gut gefallen hat, dann wollte ich halt lieber Lehrer werden und ab da bin ich ja nur mehr gefördert worden und meinen Adoptiveltern war es im Grunde gleich, was ich tue. Hauptsache ich verdiene ehrlich mein Geld, das war ihnen wichtig.
Barbara Stöckl: Andy, zunächst die Bitte an dich. Du kletterst ja nicht nur in den Bergen als Bergsteiger, als Kletterer auch, was ganz was anderes ist, sondern du hältst auch sehr viele Seminare, sehr viele Vorträge um, wie du selbst sagst, den Sehenden die Augen zu öffnen. Auch die Augen zu öffnen, dass wir unsere Sinne einfach mehr schätzen sollen. Tun wir das zu wenig?
Andy Holzer: Es geht einfach darum, ich möchte den Menschen sagen, welches Wunderwerk wir alle unter der Schädeldecke drin haben und wie wir kompensieren können. Ich kenne keinen einzigen Menschen auf dem Planeten, der nicht irgendein Handicap hat. Und wenn er sich nur selber ständig über die Füße stolpert aus lauter Vorsicht oder aus lauter Rücksicht und was weiß ich. Das ist das Thema, was ich den Menschen einfach sage, einen anderen Blickwinkel zu kriegen. Und unterm Strich will ich den eigentlich das sagen, was der Felix jetzt schon bei zwei seiner Antworten immer wieder verheimlicht hat. Er redet immer, ihm ist es immer gut gegangen, er ist gefördert worden, alles gut und recht, aber was der Felix wirklich ist und was ihn ausmacht, er ist einfach ein Fantast. Er bringt einfach zusammen Geschichten in seinem Gehirn zu kreieren, die einfach nicht nur abendfüllend, sondern bücherfüllend sind. Das ist etwas, was ganz wenige Menschen noch können. Ich kenne das ein bisschen von mir. Ich kann in Zeltnächten auf 6000 Meter, wo ich 3-4 Wochen im Zelt liege, tagelang da drin liegen, wenn es stürmt und schneit. Die anderen brauchen alle einen Walkman, die anderen brauchen alle irgendeinen Buch oder irgendwas. Ich kann tagelang mit mir allein, mit meiner Gedankenwelt auf Reisen gehen und Abenteuer kreieren. Das können nicht viele Menschen. Das kann der Felix und der schreibt es auf und kann andere Menschen daran teilhabenlassen. Also ein Fantast zu sein ist etwas, was der Felix dem Hergott am meisten zu danken hat. Alles andere passiert alles von allein. Die Leute, die dich dann fördern, die kommen dann schon, wenn sie spüren, das ist ein Fantast, sensationell. Und das versuche ich halt jetzt in meinem Stil, bei meinen Seminaren, diesen Managern, die die großen Hebel dieser Welt in der Hand glauben zu haben, haben sie ja nicht, einfach zu vermitteln. Seid ein bisschen Fantasten, seid ein bisschen Kinder noch. Macht ganz normale Dinge. Und damit versuch ich, ganz menschliche Dinge salonfähig zu machen. Dass wir halt alle Menschen sind. Wir sind allein auf der Erde da. Wir sind nicht im Paradies.
Barbara Stöckl: Felix, ist es das, was Andy sagt, was euch verbindet? Euch beide? Diese Vorstellungskraft, die Welt der Gedanken, der Fantasie, das Erschaffen von Bildern?
Felix Mitterer: Ja, bestimmt, ja. Brauche ich nichts mehr dazu sagen, er sagt es ja eh selber...
Barbara Stöckl: Der Andy geht ja sogar so weit, wie auch andere Menschen mit einer Behinderung oder besonderen Herausforderung, zu sagen, ich möchte mit niemandem tauschen. Blind sein ist leiwand. Sag du mir vorher noch, was entgeht dem Felix? Was entgeht mir?
Andy Holzer: Gar nichts entgeht euch. Überhaupt nichts. Was ist das für ein Unterschied, Barbara, zwischen uns zwei? Ich glaube, wir sehen beide gleich wenig und beide gleich viel. Momentan wird dich wahrscheinlich auch der Scheinwerfer blenden, dass du nicht einmal die Leute siehst. Es ist einfach sowas von banal. Wichtig ist doch ganz was anderes, dass deine Gedanken, deinen Schritten vorauslaufen, dass du ganz genau weißt, wo es hingeht. Man muss einmal definieren, was das bedeutet. Es gibt viele andere Einschränkungen, aber wir haben jetzt einen Blinden auf der Bühne sitzen, reden wir mal gerade über das Blindsein. Was ist überhaupt Blindsein? Blindsein bedeutet, dass jemand keine Wahrnehmung hat, jemand kein Feingefühl hat, was ein Gegenüber von dir möchte. Blindsein bedeutet für mich, wenn jemand dir nicht zuhören kann, weil er einfach nicht versteht. Und ich treffe so viele blinde Leute, die meisten unter den Sehenden, die einfach überhaupt nicht kapieren, überhaupt kein Feingefühl haben, die sind stockblind für mich. Wenn jemand über die Stiegen stolpert, weil er es nicht sieht, in Gottes Namen. Ich möchte das wirklich ein bisschen runterholen, das ist nicht so tragisch. Es gibt ganz, ganz viele andere Probleme.
Barbara Stöckl: Felix, kannst du in deinen Begegnungen, die du hast mit behinderten Menschen, egal ob ihnen Wahrnehmungen fehlen, wie einem blinden Menschen, oder sie in einem Rollstuhl sitzen wie die Marianne, oder eine geistige Behinderung haben, kannst du von denen etwas lernen?
Felix Mitterer: Ja, natürlich.
Barbara Stöckl: Was?
Felix Mitterer: Ja, froh sein.
Barbara Stöckl: Du hast aber eine ganz spezielle Begegnung mit dem Elisabethinum in Axams gehabt, das mit der Grund war für deinen ersten großen Erfolg, das Theaterstück „Kein Platz für Idioten“. Wie kam es denn dazu?
Felix Mitterer: Ja, das war Anfang der 70er Jahre, da habe ich erfahren, dass in dem Ort, ich nenne den Namen ungern, mein Gott, die Zeit ist vergangen und es gibt viele Orte auf der Welt, wo dasselbe passiert ist damals. In dem Ort, eine Mutter mit ihrem sozusagen behinderten Kind hinausgewiesen wurde aus dem Café, wegen der Gäste, weil sie sich vielleicht daran stören. Winziger Anlass, für mich der Grund, ein Theaterstück zu schreiben, „Kein Platz für Idioten“, wo es um einen Buben geht, der ausgestoßen ist und von einem selber ausgestoßenen alten Mann aufgenommen wird und dann entwickelt sich eine unglaubliche Beziehung zwischen den beiden und der Zuschauer merkt, der ist ja nicht behindert, der wurde behindert und so diese Dinge und das war dann der Kontakt auch mit der Marianne Hengl und abgesehen davon, ich habe die Rolle gespielt, zwei, drei hundert Mal in Innsbruck, Wien und auf Tournee, hat lange gebraucht bis ich gemerkt habe, der Bub bin ja ich, niemand anderer wollte spielen, war halt niemand da, ich habe jung ausgeschaut damals, ich war der Bub. Also für mich war das Stück im Grunde wichtig. Dann als zweites, das war dann 1977, als das Stück kam, es war zuerst ein Hörspiel, wo Rollstuhlfahrer draußen in Innsbruck auf der Straße gefahren sind und gesagt haben, hallo, können sie wenigstens die Gehsteigkante ein bisschen abschrägen, damit man wir uns leichter tun. Damals hat es angefangen, wo die sogenannten „Behinderten“ selber aufgestanden sind und gesagt haben, ja, das lassen wir uns jetzt nicht mehr gefallen. Wir sind mit „Kein Platz für Idioten“ durch ganz Deutschland gereist und in jedem Theater sind die Rollstuhlfahrer gewesen und das ist das Tolle, wenn ich das jetzt so sagen darf, an Literatur, dass man, wenn man das Glück hat, etwas schreibt, was jetzt plötzlich hochkommt in der Gesellschaft, und da hat man einen ganz, ganz winzigen Anteil daran, weil da gibt es andere, die dann viel wichtiger sind, die dann in dem Ort beim Theater auf der Straße waren, oder die, die auch guten Willens sind, da zu helfen, und das ist für einen Autor ein großes Glück, wenn so etwas passiert.
Barbara Stöckl: Dann lasst uns kurz zurück in die Bergwelt wandern, im wahrsten Sinne des Wortes. Welche Gipfelsiege hast du denn da besonders schon gefeiert?
Felix Mitterer: Ja, also ein zweites Mal bin ich auf dem falschen Platz, weil ich bin der Stubenhocker, der Kaffeehaus-Hocker, während er in der Wand hängt. Der Spaziergänge mit der Familie auf die Alm rauf. Eines Tages hat es mich dann doch erwischt, ich glaube, darauf spielst du an. Aber war auch wieder nicht meine Idee. Wir machen seit 1982 in Telfs in Tirol Theater, Tiroler Volkshausspiele. Hans Brenner, Ruth Drexel, Dietmar Schönherr usw. Dietmar Schönherr schaut auf einen Berg, Hausberg von Telfs und von Leutasch, nicht zu vergessen, die Hohe Munde, und sagt zu mir, wir müssen eigentlich da oben mal Theater spielen. Da sag ich, was, auf dem Berggipfel oben? Ja, schau dir das doch an, ist ja unglaublich. Und das hat mich nicht mehr loslassen, dass der sagt, wir müssen da Theater spielen. Kurz und gut, 1990 haben wir es gemacht. Wir haben schon die Bergrettung gefragt, und die haben gesagt, ja, weil die Zuschauer mussten ja übernachten, die konnten ja nicht mehr hinuntergehen, in Zelten. Die müssen das er einmal raufwandern. Die müssen mal vier Stunden von Leutasch, von der Rauthhütte, rauf gehen. Also dann sind wir raufgegangen und haben es uns anschauen, und dann haben wir gedacht, um Gottes Willen! Aber da war das Ding nicht mehr aufzuhalten. Und dann Zelte hin, Blitzschutzkäfig drüber, weil sonst erschlägt es alle Zuschauer, weil da kommt ja jeden zweiten Tag ein Gewitter. Und dann haben wir das durchgezogen, das Ding, unter Protesten auch, und wir haben jeden Protestierer verstanden, der das nicht wollte, weil das war eigentlich ein Blödsinn und ein Wahnsinn das aufzuführen, da oben am Berg. Keiner von uns wird es jemals vergessen. Der Tobias, von dem die Rede war, war dabei und vier andere Schauspieler. Die haben da gelebt, in Containern, im Sommer. Und ich bin auf einmal wie ein Kind, ich war ja auf der Alm mit der Mutter, wie eine Geiß, mal rauf und nieder gerannt. Und das hat mir dann schon großen Spaß gemacht. Und die Nächte oben am Gipfel. Ich meine, du, Andy, erlebst das ja ständig, solche Sachen. Aber für mich war das, weil da ist ja kein Lichtsmog mehr. Du glaubst, du bist mitten im Sternenhimmel drinnen. Das war so unglaublich. Also keiner von uns wird das jemals vergessen, auch die zwölf toten Schafe nicht, die der Blitz erschlagen hat, unterhalb des Gipfels. Und wir haben uns geschworen, nie mehr wieder. Aber keiner vergisst das, das war unglaublich.
Barbara Stöckl: Wichtiges Stichwort, dass du mir gibst, Felix, das ist natürlich das Thema Gefahr. Du kennst die Gefahren in den Bergen, Andy. Natürlich. Jeder Aufstieg bringt Gefahr. Auch bei Wind, bei Wetter, bei Kälte, bei Schneefall. Ist das, was für dich einen zusätzlichen Reiz ausmacht?
Andy Holzer: Die Gefahr einzuschätzen, mit der Gefahr zu arbeiten, mit der Gefahr mit eigenem Menschenverstand umzugehen, der Gefahr quasi mit körperlicher Vorbereitung zu begegnen, ist mir zehnmal lieber. Einfach definiert zu sehen, zehn Zentimeter oder fünf Zentimeter weiter drüben und du bist weg, ist mir viel, viel lieber, als, so wie so viele Menschen in der westlichen Gesellschaft sagen, ja, ich will mich nicht der Gefahr aussetzen, ich setz mich rein und lege mir einen Sicherheitsgurt um und der Pilot vorne wird es schon steuern. Also einer diffusen Gefahr sich auszusetzen, wo du sich überhaupt nichts mehr beeinflussen kannst. Gefährlich ist das Leben einfach vom ersten bis zum letzten Tag.
Barbara Stöckl: Aber ich muss jetzt, ich tu mir fast schwer das anzusprechen, weil du es ja so selbstverständlich abtust; als Bergsteiger blind zu sein oder als Blinder in den Bergen zu sein. Ich glaube, wir müssen das doch schon mal klären, weil für ganz viele Menschen, wahrscheinlich auch unter unseren heutigen Gästen, ist das gar nicht selbstverständlich und vielleicht auch gar nicht vorstellbar. Wie geht das praktisch vor sich?
Andy Holzer: Wenn man nichts sieht, auf die Berge zu steigen?
Barbara Stöckl: Ja genau! Wie geht das? Hast du immer einen sehenden Partner mit dabei, der dir hilft? Ist das die Voraussetzung einmal mit einem Sehenden aufgestiegen zu sein?
Andy Holzer: Okay, das hat angefangen als ganz kleiner Junge, wo meine Eltern verstanden haben, gut das Sehzentrum von dem Burschen kann vom Sehnerv nichts empfangen, aber das Sehzentrum von dem kleinen Andy empfängt von allen anderen Sinnesorganen. Ich mache genauso meine Bilder mit Farben und Formen, das ist ein ganz spektakulär interessantes Thema, wo die Zeit jetzt überhaupt nicht reicht, aber mein Gehirn macht sich absolute Bilder von allem, weil meine Eltern das so gelassen haben.
Barbara Stöckl: Aber die Gletscherspalte sieht man oder man sieht sie nicht?
Andy Holzer: Ja, jetzt pass auf. Und da muss man natürlich Strategien entwickeln, wo man halt das Sehzentrum, das nach Signalen von außen ringt, genauso wie bei sehenden Menschen, versorgen mit Signalen. Und da haben meine Eltern schon verstanden, die Wanderpfade müssen steiler sein bei den blinden Kindern. Meine Schwester war ja auch blind. Weil im Flachen den Griff, den Tritt, anzutasten, wo der Fuß hinkommt, ist wesentlich umständlicher, als so einfach vor sich hinzugreifen, wenn es steil raufgeht. Und wenn es dann so wie heute bei mir senkrecht oder sogar überhängend ist, ist ja vollkommen logisch, dass sich das Gehirn viel leichter das Bild macht, wo ich mit dem Fuß dann hin steige, wenn ich vorher den Griff habe, weil er später zum Tritt wird. Und so habe ich einmal die ganz eigene Navigation. Natürlich allein steige ich ganz, ganz selten auf einen Berg, habe natürlich auch mein Programm, wenn ich niemanden finde und wenn schlechtes Wetter ist und ich will ja trotzdem raus gehen, dann habe ich auch meine Strecke, die ich auswendig kennen, wo ich auch stundenlang unterwegs bin. Aber normalerweise bin ich eine Seilschaft mit einem Partner, wie jede andere Seilschaft. Es gibt überhaupt keinen Unterschied. Ich klettere mit ganz wenig Spielregeln, ja. Wichtig ist zum Beispiel, dass der vor mir Geräusche macht mit seinen Schuhen. Wenn der Bach rauscht, weiß er, mein Gehörkanal wird jetzt beeinflusst durch ein Rauschen, also wenn ich das wieder auf den Sehenden übertrage, jetzt kommt ein Nebel daher. Sehe ich nicht mehr viel. Dann schürft er mit den Füße ein bisschen mehr herum, dass ich besser sehe, wo der hin steigt. Das sind ganz kleine Spielregeln, aber das läuft ganz, ganz, ganz, ganz.
Barbara Stöckl: Das heißt aber auch die anderen Sinne, vor allem der Hörsinn und der Tastsinn spielen eine wichtige Rolle?
Andy Holzer: Alle vier Sinne. Da gibt es keinen wichtigeren und keinen weniger wichtigeren. Wenn ich zum Beispiel, ich führe auch selber die Seilschaften durch senkrechte Wände, und wenn ich dann vor sieben Jahren das letzte Mal oben war und nach sieben Jahren wieder an diese Stelle komme, dann erinnert mich dieser Geruch von diesem absterbenden Edelweiß oder von dieser herausstehenden Zirbe, die zehn Meter weiter links irgendwo aus der Wand hin auswächst, wo ich gar nicht herankomme, aber der Geruch sagt mir, jetzt muss ich rechts abzweigen, weil mein Seilpartner, in dem Fall wo ich die Seilschaft führe, der steht dreißig Meter unter mir, unterm Überhang, der sieht mich ja gar nicht. Ich kann nicht fragen, wo geht es jetzt rechts raus. Ich rieche jetzt zum Beispiel die Zirbe und weiß genau, jetzt muss ich raus jetzt. Oder der Wind pfeift, ja, 35 Meter halb schräg links oben ums Eck herum und dann weiß ich genau, aha, das letzte Mal war die Situation, also die Ohren haben mir das dann wieder gesagt. Nächstes Mal der Geruchssinn, der Geschmackssinn vielleicht noch am wenigsten, was mir hilft, aber die Sinne sind alle gleich wichtig.
Barbara Stöckl: Wenn wir aber jetzt noch einmal eure Lebenswege, die wir in kurzen Stationen kennenlernen durften, noch einmal mit dem Aufstieg am Berg vergleichen. Felix, du hast gesagt, also der Wille am Beginn, dieses unbedingte Wollen, wo man hinwill, das Ziel vor Augen haben zum einen, dann kommen die Phasen natürlich der Unterstützer, das Handwerklernen, ganz klar, seinen Weg einfach gehen, auch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, Mut zu haben, dranzubleiben. Ist es aber dann auch immer wieder wichtig, auch für dich in deinem Leben, stehen zu bleiben und zurückzuschauen, von wo man kommt?
Felix Mitterer: Ich bin mir ständig dessen bewusst, wo ich herkomme, und davon zehre ich bis heute. Ich sehe das als etwas total Positives und was das Schreiben an sich anbelangt, ist es ja so, in Wahrheit, dass, und da bin ich nicht der Einzige, dass man jedes Mal, wenn man anfängt, das Gefühl hat, man kann's nimmer, man kann's nicht mehr oder man kann's immer noch nicht und dann geht's halt doch wieder irgendwie los und dann läuft es schon irgendwann, wenn die Figuren selber zu leben beginnen, aber es ist immer ein Kampf. Es ist furchtbar schön, wenn's dann läuft, aber es ist immer auch ein Kampf, aber unglaublich spannend halt, das Beste kann man sich ja gar nicht vorstellen. Das was du machst, Andy, und auch bei mir jetzt, bei dir ist es jede Wand und bei mir ist es jedes Projekt, ja dann geht's mir halt mal schief, ist mir nicht gelungen, kommt ja gleich wieder anders und da kommt ja wieder was, das ist ja so unfassbar spannend, bin wahnsinnig dankbar dafür.
Barbara Stöckl: Andy, wie wichtig ist das Vertrauen beim Aufstieg? Du hast gerade gesagt, du bist fast immer, außer den wenigen Situationen, wo du auch alleine wagst, in die Berge zu gehen, in einer Seilschaft unterwegs, mal mit anderen Menschen, die auch eine Behinderung haben, die entweder blind sind oder in anderen Formen Handicap haben oder auch mit Sehenden, wie wichtig ist das Vertrauen in der Seilschaft?
Andy Holzer: Ja, das fängt mit dem Selbstvertrauen an, wenn jemand kein Selbstvertrauen hat, ist ganz schwer, dass man einen anderen Menschen vertrauen kann, weil man sich nicht vorstellen kann, dass der andere das auch kann. Also es ist ganz simpel gesagt. Aber etwas ist mir eingefallen am Weg zum Gipfel, was ich unbedingt sagen möchte. Quasi das Thema der Beurteilung. Wir Menschen tendieren immer dazu, wenn wir vor einer überhängenden Stelle stehen, vor einer unmachbaren, das erste, was wir tun, ist gleich einmal die Sache beurteilen. Ja, das kann nicht gehen. Das ist unmachbar! Und diese Beurteilung von sogenannten, sozusagen sinnlosen Situationen im Leben. Wie oft ist der Felix, der sagt, es hat gar keinen Sinn mehr, es geht nicht mehr. Genau diese Stellen zu beurteilen, ist Energieverschwendung. Viel gescheiter ist, wenn man sich diesen Situationen stellt und wenn man dieser Felswand wirklich begegnet und ganz, ganz nahe dran geht, weil dann löst sich das alles auf in kleine Tritte, in kleine Griffe. Und wenn du dich dem Problem niemals stellst, so wie ganz viele Menschen das machen, dann kann sich das Problem auch nicht lösen. Und so ist es beim Bergsteigen. Wenn du zum Gipfel willst, musst du auf Tuchfühlung mit dem Problem gehen. Und plötzlich lösen sich Dinge in ganz kleinen Rissen, in kleinen Trittmöglichkeiten, Griffen, auf und es wandelt sich um in eine Möglichkeit. Das ist sowas geniales! Einfach, anstatt zu beurteilen, das brauche ich gar nicht probieren, das geht gar nicht.
Barbara Stöckl: Da möchte ich gleich den Felix dazu sagen, wie schaut das bei dir aus, wenn diese Stellen kommen, wo der Widerstand da ist, wo du nicht weißt, komme ich drüber, komme ich nicht drüber? Was sind da so deine Mechanismen? Weichst du zurück? Wie oft nimmst du Anlauf?
Felix Mitterer: Nein, im Grunde brauche ich nichts dazu sagen, weil der Andy redet dauernd auch von meiner Arbeit.
Barbara Stöckl: Ja, aber deine Arbeit ist nochmal etwas anderes. Es ist, denke ich doch nochmal ein bisschen etwas anderes, ob man auf einer steilen Wand oder vor einem leeren Blatt Papier ist oder ist es wirklich das gleiche?
Felix Mitterer: Nein, es ist genau das gleiche. Weiche ich zurück oder nicht, gebe ich auf oder nicht und man gibt halt nicht auf.
Barbara Stöckl: Ja, aber was sind denn deine Mechanismen? In der Wand sagt er, er geht hin, er spürt sie, er schaut die Tritte an. Gehst du weg vom Blatt, nimmst ein Glas Wein oder rauchst eine Zigarette an, was machst du?
Felix Mitterer: Ja, genau das. Er hängt in der Wand, kann nichts tun. Ich gehe rauchen, gehe in den Garten hinaus, an die Sonne und hin und her, und entkrampfe mich und dann irgendwann, zack, ist es da. Ich habe es wirklich in jedem Fall viel leichter. Du musst dich schneller entscheiden.
Andy Holzer: Ist es nicht auch so, wie es bei mir ist, dass man einfach auf einen Grundstock von – du kannst einfach vertrauen. Ich bin ja der Felix Mitterer, um Gottes Willen, ich habe ja schon so viel geschrieben. Jetzt kann es nicht noch so schwer kommen, irgendwie richte ich das schon. Von dem zehre ich nämlich.
Barbara Stöckl: Wie sieht es mit deinem Selbstvertrauen aus? Er hat gleich gesagt, das ist das Wichtigste. Noch bevor man das Vertrauen in andere hat, gehört das Selbstvertrauen. Wie steht es damit bei dir?
Felix Mitterer: Also ich wollte es unbedingt machen, aber mein Selbstvertrauen ist jetzt nicht so unglaublich groß. Wenn ich mit ein paar Redakteuren zusammensitze, und wir reden über ein Drehbuch von mir und die sagen mir, dass das nichts Gescheites ist, ich glaube das sofort.
Barbara Stöckl: Aber er hat das ja jetzt ganz schön beschrieben, die Situation, Felix. Er hat gesagt, du kannst darauf vertrauen, ich bin der Felix Mitterer. Was kannst du mit dieser Ansage anfangen?
Felix Mitterer: Na gar nichts. Weil, das ist ja denen völlig egal. Da geht es ja um professionelle Arbeit und da darf man auch nicht empfindlich sein. Ich habe jetzt auch ein wenig übertrieben. Aber es ist so, also ich habe, ich mein Andy, du kannst ja wirklich ein größeres Selbstvertrauen haben, du tust es immer und es gelingt dir. Ich weiß ja nicht, ob das ich zusammenschreibe, mir gelingt.
Andy Holzer: Bei dir ist es gleich, aber am Ende ist bei dir auch immer was Gescheites herausgekommen.
Felix Mitterer: Nein.
Andy Holzer: Nicht?
Felix Mitterer: Nein, nicht immer.
Andy Holzer: Ich habe schon einmal eine Rückschläge.
Felix Mitterer: Nicht immer, nein. Aber wie gesagt, ich probiere es halt wieder.
Barbara Stöckl: Du gibst ja wie gesagt Seminare und Vorträge vor Spitzenmanagern unter anderem auch. Wie sind denn da die Reaktionen? Was können die von deiner Erfahrungswelt, die sich oft so deutlich von der ihren Berufswelt unterscheidet, mitnehmen?
Andy Holzer: Ich benutze beinhart ein Faktum, was für die meisten Menschen der Gesellschaft das schlimmste der Welt ist. Blind zu sein. Ist doch so schlimm. Einen Rollstuhl fahren. Was ist denn noch schlimmer Herr Holzer? Das ist ja so ein Schmarrn. Und genau das benutze ich als Werkzeug, um mir eine Legitimation zu holen. Und bei diesen Menschen, also diesen großen Führungskräften, einfach ganz stinknormal zu reden. Wenn ich nicht blind wäre, würden mir die überhaupt nicht zuhören. Und das nutze ich beinhart aus. Und da zeige ich die Bilder, wo ich über überhängende Wände aufsteige. Und die Blindheit dazu. Ich finde nicht einmal selber mein Rednerpult auf der Bühne. Mit dem spiele ich. Das ist mein Werkzeug. Wenn ich nicht blind bin… ich bin mittlerweile so was von glücklich, dass die ganze Konstellation so ist.
Barbara Stöckl: Und hast du eine Idee, wie wahnsinnig diese Bilder ausschauen?
Andy Holzer: Ja, ich bin ja selber dort gewesen. Ist ja gar kein Thema. Ich sehe das im Detail, wo die Schatten hinwerfen. Wenn die Sonne von welcher Richtung kommt, habe ich das dreidimensional im Kopf. Ich weiß, wie das ausschaut. Und ich spüre seine Reaktionen. Und dann fang ich die Leute; das ist ja ein Wahnsinn! Und plötzlich darf ich über ganz was anderes reden und die glauben mir das alle. Das ist extrem genial. Und da rede ich aber nicht hoch wissenschaftlich. Ihr müsst in der Frühe auch alle mal aufs Klo gehen. Ihr seid in der Früh auch alle mal müde. Und wir dürfen alle Menschen sein. Und da berühre ich die Menschen im Innersten. Ich mache einfach die tiefsten Schwächen des Menschen salonfähig. Und plötzlich klatschen alle. Weil sich jeder berührt fühlt. Und plötzlich darf auch der höchste Manager einmal sagen, dass er es nicht packt. Und das ist einfach Stärke. Diese ganze Scheinwelt. Dieser ganze Glimmer und Make-Up. Heute war ich schon dreimal in der Maske. Keine Ahnung, wie ich jetzt ausschaue. Ist mir alles wurscht! Weil, wie wir wirklich ausschauen, das spüren wir ja irgendwo anders. Und das ist für mich ein riesengroßer Erfolg. Nicht weil ich rhetorisch oder weil ich Bilder habe oder weil ich eine Geschichte habe. Sondern, weil ich einfach beinhart Sachen anspreche, wo ich überhaupt keine Angst habe.
Barbara Stöckl: Felix, trefft ich euch da auch? Denn du bist ja auch einer, der beinhart Dinge anspricht. Beinhart uns manchmal einen Spiegel vorhält. Das war nicht nur beim „Platz für Idioten“ so. Das war bei der „Piefke-Saga“ später und da gibt es viele andere Beispiele, wo du in die Wunde reinfährst.
Felix Mitterer: Ich muss dazu sagen, ich weiß nicht, wie es dir geht, Andy. Ich bin wahnsinnig harmoniesüchtig. Ich mag es so gern, wenn mich die Leute mögen. Ich sage das vorbeugend, weil manche im Laufe meines Schreibens gemeint haben, ich tue gern provozieren. Nein. Das stimmt überhaupt nicht. Ein Thema kommt zu mir und sagt, schreibe mich, dann muss ich das halt schreiben, weil es kränkt mich, es ärgert mich oder ich halte es halt für wichtig. Oder auch jemand schreibt mir einen Brief und sagt, schreibe das. Und dann tue ich es halt, aber nie mit einem Vorsatz zu provozieren. „Piefke-Saga“ wollte ich erst nicht schreiben, das war vom Norddeutschen Rundfunk die Idee, ganz oben von Hamburg kam das. Das wollte ich nicht schreiben. Warum? Weil wir da in Fiss sind, weil da gerade gedreht wurde die fünfte Jahreszeit in Ladis-Fisss-Serfaus, Kaunertal und so weiter, längst vergessen. Aber eine Serie über die Geschichte des Skilaufs, 100 Jahre, 1880 bis 1980. Das habe ich hinter mich gebracht und gesagt, lasst mich in Ruhe, ich mag jetzt nicht mehr. Und damals war gerade diese Sendung vom Fuchsberger, ich weiß nicht mehr, wie das geheißen hat, wo die Frage war, in Wien, wie viele würden deutsche Gäste als Piefke bezeichnen. Da waren es 8 von 10 und dann ist die Hölle los gewesen. Der Handelsminister ist mit dem Bild-Hubschrauber sich entschuldigen gefahren, in die Dörfer, und überall hat er einen Schnaps trinken müssen bei den Musikkapellen. Der arme, den haben wir ja drinnen gehabt. Und dann haben sie mich überredet, das zu schreiben und ich bin ja aufgewachsen im Fremdenverkehr. Das Land hat auch brav recherchiert, überall und dann wollte es keiner senden. Nein, nicht drehen wollten sie es. Weil die vom Norddeutschen Rundfunk zum Fernsehchef dort oben gesagt haben, was drehst du dauernd in den Bergen, weil der Fernsehspielchef war ein Bergfex, wir drehen jetzt in der Lüneburger Heide. Jetzt ist es schon wieder drei Jahre gelegen, dass die diese neun Drehbücher. Ja, irgendwann haben sie es halt mir zuliebe halt doch gemacht, in Mayrhofen und auf einmal ist das Ding in die Luft gegangen, weil wieder, was kann sich ein Autor mehr wünschen? So die Diskussion einfach da war und es hat gerade reingepasst. Und dann waren zuerst viele auf mich beleidigt und heute kenne ich viele Hoteliers, die die DVDs den Gästen vorspielen. So vergeht die Zeit und also wie gesagt, ich wollte niemandem wehtun, sondern, ja, ich wollte einfach auf etwas hinweisen, was eh schon virulent war, Massentourismus, wie gehen wir damit um?
Barbara Stöckl: Felix, du hast es selbst gut angesprochen, du bist in der Gegend von Kitzbühel aufgewachsen, hast die letzten Jahre dann auch eine Zeit lang in Irland gelebt, zuletzt jetzt im Weinviertel. Stimmt es oder ist das eine guterfundene Geschichte, dass du dir manchmal das Wetterpanorama im Fernsehen anschaust, um zu schauen, wie auf den Bergen das Wetter ist?
Felix Mitterer: Na, das kommt aus Irland. Also man muss Folgendes sagen, Irland war wunderschön und ich habe die Leute geliebt und ich habe mich so gut mit den Leuten im Dorf dort verstanden. Und irgendwann hat mich aber doch das Heimweh gepackt und ich bin ja Nachtschreiber und dann schreibe ich halt bis fünfe und dann bin ich zum Fernseher gegangen, habe mir ein Glasl Whisky eingeschenkt und da ist dann dieses Wetterpanorama da von Rathaus in Wien bis nach Tirol und da ist in der Früh einer rausgegangen, immer, jeden Tag und hat in diese Kamera hinein gewinkt und ich habe immer geglaubt der winkt mir. Und ich war ganz fertig.
Barbara Stöckl: Hat er auch. Er hat dir gewunken. Spätestens jetzt steht das fest.
Felix Mitterer: Da habe mir die ganzen Panoramas von ganz Österreich immer angeschaut und dann habe ich gesagt, jetzt muss ich doch wieder heim.
Barbara Stöckl: Meine Lieben, Andy, Felix, schön langsam haben wir den Aufstieg auf den Berg Richtung Gipfel schon geschafft und dann kommt irgendwann der Moment, wo man oben steht. Andy, beschreib ihn uns. Was genießt man in dem Moment? Was geht in dir vor?
Andy Holzer: Rein körperlich ist es natürlich nicht so wie man es sich normal vorstellt, dass das Panorama aufgeht, weil ich das eben nicht habe in dem Sinne, im Echtzeiteffekt, dass ich jetzt mit den Augen rausschaue, aber das Gespür, wenn du von der senkrechten Wand in die waagrechte Spitze ganz oben raufgekommen bist. Es ist ein Gefühl rein von den Massen her, dass die Felsmasse jetzt nicht mehr vor dir und über dir hängt, sondern plötzlich unter dir ist. Das spürt der Mensch, wenn er sehr, sehr feinfühlig ist, so wie wenn du einen schweren Hut abnimmst. So wie wenn du einfach die Kappen wegtust. Boah, jetzt ist über mir der Kosmos. Der Himmel, Vater und die Wolken, mehr ist da oben nicht mehr. Einfach genial! Und rein von meinem inneren Denken her ist es halt der Abschluss einer langen Kette von Problemlösungen. Weil einfach jede Schlüsselstelle dieser Felswand ja nichts als ein Problem war. Das habe ich einfach mit irgendwelchen eleganten Kletterzügen gelöst. Und jetzt ist das endgültig gelöst. Natürlich darf man den Abstieg nicht vergessen, das war meistens eine leichtere Route und man muss sich einfach konzentrieren. Aber, das ist wie bei einer Diashow. In dem Moment, wo ich am Gipfel obenbin, kommt schon so ein leichter Übergang. Die Sehenden haben das ja so gern, dass das ineinander kommt. Und dann schwimmt das schon so dahin und das nächste Bild fängt sich schon wieder aufzubauen an. Es hört einfach nie auf. Das ist genial und ich hoffe, wenn ich 90 Jahre alt bin, habe ich immer noch eine Diashow.
Barbara Stöckl: Felix, wie schaut dieser Moment in deiner Arbeit aus, wenn du zum Beispiel an einem Buch schreibst? Ist es der Moment, wo du das letzte Wort geschrieben hast oder wenn's in der Druckerei ist oder wenn du es in der Hand hast?
Felix Mitterer: Nein. Es ist dann, wenn es auf der Bühne ist. Also ein Theaterstück zum Beispiel. Und wenn wir dann alle am Ende rausgehen, auf die Bühne, und sehen, dass die Zuschauer das annehmen. Das ist es. Oder beim Fernsehen zum Beispiel gab's einen Tirol-Tatort, „Baum der Erlösung“, der in Telfs gedreht wurde, wo es um Moschee und hin- und herging. Und wir haben die Uraufführung dann, bevor der Film ausgestrahlt wurde, im Rathaussaal gemacht. Und es waren alle eingeladen, alle. Die Tiroler und die Türken, die Gastarbeiter, und es waren wirklich 500 Einheimische und 500 Türken drinnen. Und das läuft und läuft und läuft und läuft. Und wir stehen hinten, alle, die damit zu tun hatten, Schauspieler, Regisseur, ich, an die Wand gedrückt, wie geht das jetzt aus. Und auf einmal am Schluss so dieses Aufatmen und diese Begeisterung und dieses Annehmen von beiden Seiten. Weil, wir wollten ja nicht noch weiter die Gräben aufreißen bei der Geschichte, sondern schauen, dass man sich vielleicht doch mal die Hand gibt oder so. Und das sind dann wirklich die großen Momente, die wunderbaren.
Barbara Stöckl: Wie wichtig ist es für dich, was der Andy gerade angesprochen hat, zu wissen, dass nach jedem Gipfelsieg unweigerlich ein Abstieg kommt?
Felix Mitterer: Ich habe mir das ja angeschaut von dir da auf der Seite und ich kann das ja nicht erklären. Jetzt ist man ganz mühselig da rauf. Und jetzt muss man runter auch wieder. Das ist ja Wahnsinn oder nicht? Geht das schnell, seilt man sich blitzartig ab?
Andy Holzer: Ja, da gibt es verschiedene. Also jeder Berg hat eine schwierige Seite und eine leichtere Seite. Natürlich, klugerweise steigt man in die schwierige hinauf, um dann eine leichtere zum Abstieg zu haben. Aber es ist meistens genau in dem, es passieren oft die größten Fehler, weil man einfach nicht mehr konzentriert ist. Aber der Berg ist erst bestiegen, wenn du zu Hause bist. Das ist einmal so. Es wird dir ja nichts geschenkt im Leben, das ist wunderbar so. Da gibt es keine Bestechung am Berg, da gibt es kein Vielleicht, da gibt es keine Schiebung. Da oben gibt es keine Kommission, die entscheidet, jetzt kommt der Holzer oder der Herr, der Blinde. Den lassen wir jetzt nicht zum Gipfel. Es ist einfach, wenn du richtig strategiert hast, wenn du richtig Energie investiert hast, dann darfst du wirklich das erleben. Sonst hast du eben zu wenig investiert Energie. Und der Abstieg gehört einfach dazu. Es ist ein Teil von dem Ganzen.
Barbara Stöckl: Andy Holzer, Felix Mitterer. Ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch mit euch. Ich denke, wir haben vieles mitgenommen für unseren nächsten Gipfelsieg. Egal ob er am Berg oder ob er am Leben ist. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse zu Hause und danke schön dem Publikum hier. Danke. Danke.
Outro: „Gipfel-Sieg: Der Wille versetzt Berge“ ist eine Produktion von ORF III. Hergestellt von Kiwi-TV in Zusammenarbeit mit RollOn Austria.