Gedanken für den Tag

"Lob des Zweifels und der Hoffnung" von Martin Urban

Martin Urban ist Wissenschaftspublizist in München.

Der Diplomphysiker, Gründer und langjährige Leiter der Wissenschaftsredaktion in der Süddeutschen Zeitung widmet sich in seinem "Ruhestand" auf durchaus anregende Weise theologischen, philosophischen und psychologischen Themen. Seine jüngsten Bücher tragen nicht von ungefähr Titel wie "Warum der Mensch glaubt. Von der Suche nach dem Sinn", "Wer leichter glaubt, wird schwerer klug. Wie man das Zweifeln lernen und den Glauben bewahren kann" oder "Die Bibel - Eine Biographie".

Heilig und heillos
Christen deuten das Unheil in der Welt so, dass sie diese Welt als unheilig und erlösungsbedürftig ansehen und auf Erlösung hoffen. Doch wir Menschen sind Kinder einer Welt, die in all ihrer Unvollkommenheit zugleich so wunderbar ist, dass wir eine Ahnung von Vollkommenheit haben können. Den Gegensatz von heilig und unheilig löst das Neue Testament auf: Als Jesus am Kreuz gestorben war, geschah nämlich etwas, das der Evangelist Matthäus als einen symbolisch zu verstehenden Akt so beschreibt: "Der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus." Dieser Vorhang verbarg den allerheiligsten Tempelbereich. Nun aber gilt: Die Trennung von heilig und profan ist aufgehoben.

In alter Zeit hatten die Menschen ehrfurchtsvolle Scheu vor den Kräften der Natur, die sie als göttlich verstanden, und denen sie sich nicht zu nähern wagten. Auch ihre Priester und Könige umgaben sich mit der Aura des Heiligen. Bis heute versteht die katholische Kirche ihre Priester und sogar sich selbst als heilig. Ihre in jüngster Zeit offenkundig werdende Heillosigkeit - dass sich "die" Kirche erneuern müsse, betonen mittlerweile die Bischöfe selbst - kann daran erinnern, dass der Unterschied von heilig und nicht heilig längst aufgehoben ist. Albert Schweitzer, der große Theologe, Arzt, Musiker und Friedensnobelpreisträger hat vor hundert Jahren einen anderen Begriff gefunden für eine Sicht der Welt und zugleich eine Forderung des Umgangs mit ihr: Ehrfurcht. Ehrfurcht vor dem Leben. Das ist keine rituelle sondern eine moralische Forderung für uns Menschen auf dieser unvollkommenen und doch auch wunderbaren Erde.

Service

Buch, Martin Urban, "Die Bibel. Eine Biographie", Verlag Galiani

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