Gedanken für den Tag

"Dem Tod in die Arme tanzen" - Zum 150. Todestag von Arthur Schopenhauer. Von Cornelius Hell

Der von Nietzsche, Richard Wagner, Tolstoi, Thomas Mann, Hermann Hesse und auch Samuel Beckett hochverehrte Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) war zu Lebzeiten ein verkannter Einzelgänger. Er ist einer der schärfsten Kritiker des Christentums und ein radikaler Pessimist, der überzeugt ist, dass der Welt ein unvernünftiges Prinzip zugrunde liegt. Für ihn schwingt das Leben "gleich einem Pendel, hin und her zwischen Schmerz und Langeweile". Und jede Hoffnung ist nur Illusion: "Der Lebenslauf eines Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt."

"Mitleid mit den Thieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch seyn." Arthur Schopenhauer kreidet dem westlichen Denken und der jüdisch-christlichen Tradition vor allem eines an, nämlich: "Die vermeinte Rechtlosigkeit der Thiere, der Wahn, daß unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei, oder, wie es in der Sprache jener Moral heißt, daß es gegen Thiere keine Pflichten gebe ." Diese Forderung Schopenhauers nach Tierrechten ist erst in der Gegenwart angekommen, und es bedurfte der Massentierhaltung und der Tiertransporte unter grausamen Bedingungen, bis endlich die Tiere in ihrer Gesamtheit eine Lobby bekamen und man sich nicht nur für liebe Hunde und Katzen interessierte.

"Thiere - bewußte Wesen, welche diese rätselhafte Existenz mit uns teilen", notierte Schopenhauer noch in seinem letzten Notizbuch, das unter dem Titel "Senilia" zu seinem 150. Todestag erstmals vollständig publiziert wurde. Entscheidend ist für Schopenhauer die Leidensfähigkeit der Tiere. Und wenn er vom Mitleid mit den Tieren spricht, so verwendet er ein für sein Denken ganz zentrales Wort: "Mitleid" ist für ihn mehr als ein Gefühl, sondern die eigentliche Brücke zwischen mir und dem anderen; nur Mitleid kann verhindern, dass jeder sich selbst zum Mittelpunkt der Welt macht. "Alle ächte Liebe ist Mitleid: und jede Liebe die kein Mitleid ist, ist Selbstsucht", formulierte Schopenhauer. Es hat bei ihm nichts Herablassendes; Mitleiden meint bei ihm nichts anderes als: Die Erkenntnis des Eigenen im Anderen.

Das macht Schopenhauers pessimistische Lebenssicht so produktiv und menschlich: Er konstatiert das Leiden nicht nur, sondern sieht es als gemeinsame Basis aller Lebewesen. Mitleiden wird zum einzigen ethischen Gebot, und dafür braucht es keine umfassende theoretische Begründung. Ob religiös oder nicht, ob hochgebildet oder einfach: Mitleiden ist jedem Menschen einsichtig und möglich.

Service

Das Werk von Arthur Schopenhauer ist in mehrere Ausgaben erschienen, u. a. gibt es eine Taschenbuchausgabe im Suhrkamp und im Diogenes Verlag. Auch einzelne Schriften liegen in verschiedenen Ausgaben vor.
Die Sendung stützt sich vor allem auf folgende Werke, die zum 150. Todestag erschienen sind:
Arthur Schopenhauer: Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen Pessimisten. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Volker Lütkehaus. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine Sammlung von Zitaten aus ganzem Werk, nach Themen geordnet; im Vordergrund steht die Lebenskunst. Der Herausgeber ist ein ausgewiesener Schopenhauer-Experte.
Arthur Schopenhauer: Senilia. Gedanken im Alter. Herausgegeben von Franco Volpi und Erst Ziegler. Verlag C.H. Beck, München 2010
Schopenhauers letztes Notizbuch (1852-60), erstmals vollständig veröffentlicht.
Volker Spierling, Kleines Schopenhauer-Lexikon. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003/2010
Zahlreiche Themen Schopenhauers werden, alphabetisch geordnet, in Zitat und Kommentar erschlossen - gut geeignet als Einführung in Schopenhauers Denken.
Robert Zimmer: Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine gut geschriebene neue Biografie, die Entstehung und Entwicklung des Denkens von Schopenhauer mit seiner Biografie und zeitgenössischem Denken in Beziehung setzt.
Rüdiger Safranski: Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987/2010
Die Neuauflage einer "klassischen" Philosophen-Biografie von Safranski, die das Spezifische des Schopenhauerschen Denkansatzes herausarbeitet.


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