Salzburger Nachtstudio

Josef Stalin gibt der Geschichtswissenschaft bis heute Rätsel auf. Eine Bestandsaufnahme von Günter Kaindlstorfer

Josef Stalin, das heilige Monster des Weltkommunismus, sorgt bis heute für geschichtswissenschaftliche Kontroversen. Der Berliner Historiker Jörg Baberowski vertritt in einem aufsehenerregenden neuen Buch die These, dass der Stalinismus keineswegs eine spezifisch moderne Bewegung gewesen sei, wie er selbst noch vor einigen Jahren, angelehnt an die Moderne-Theorien des Philosophen Zygmunt Bauman, postuliert hatte. Im Gegenteil, so Baberowski heute: Der Stalinismus zelebrierte einen archaischen Kult der Gewalt, der die Moderne mit VORMODERNEN Mitteln durchsetzen wollte.

Der georgische Staatsterrorist Josef Dschughaschwili, der sich selbst "der Stählerne" nannte, erstickte den Traum vom Kommunismus im Blut von Millionen - und das nicht, weil er und seine Kumpanen so modern gedacht hätten, schreibt Baberowski, sondern weil sie ihre Vorstellungen vom "Neuen Menschen" einer vormodernen, rückständigen, durch und durch brutalisierten Feudalgesellschaft aufzwingen wollten. "Zu millionenfachem Massenmord ist es ausschließlich in jenen Ländern gekommen, in denen kommunistische Revolutionäre auf ein extrem rückständiges Umfeld getroffen sind", resümiert Baberowski: "In China, Kambodscha und eben in der jungen Sowjetunion. Die Moderne mit vormodernen Mitteln realisieren wollen, das ist ein explosives und hochgefährliches Projekt."

Baberowski ist nicht der einzige Historiker, der sich der stalinistischen Herausforderung mit akkurater Quellenforschung und kritischem Impetus stellt: Auch der Brite Simon Sebag Montefiore, der Deutsche Karl Schlögel, der Russe Alexander Vatlin und die Österreicherin Verena Moritz und der Austro-Ire Barry McLoughlin durchforsten die Moskauer Archive nach immer neuen Funden, um das "Rätsel Stalin" - das möglicherweise unergründbare - vielleicht doch noch zu ergründen.

Interviewpartner/innen:
Jörg Baberowski, Historiker, Berlin
Verena Moritz, Historikerin, Wien
Barry McLoughlin, Historiker, Wien
Alexander Vatlin, Historiker, Moskau
Simon Sebag Montefiore, Historiker, London (aus youtube)

Service

Jörg Baberowski: "Verbrannte Erde - Stalins Herrschaft der Gewalt", C.H.
Beck, 606 Seiten, EUR 30,80

Simon Sebag Montefiore: "Der junge Stalin", aus dem Englischen von Bernd Rullkötter, Fischer-Taschenbuch, 544 Seiten, EUR 13,40

Simon Sebag Montefiore: "Stalin - Am Hof des roten Zaren", aus dem Englischen von Hans Günter Holl, Fischer-Taschenbuch, 896 Seiten, EUR 13,40

Karl Schlögel: "Terror und Traum - Moskau 1937", Fischer-Taschenbuch, 816 Seiten, EUR 15,40

Alexander Vatlin: "Die Komintern - Gründung, Programmatik, Akteuere", aus dem Russischen von Wladislaw Hedeler, Dietz-Verlag, 368 Seiten, EUR 30,80

Alexander Vatlin und Larissa Malaschenko: "Schweinefuchs und das Schwert der Revolution - Die bolschewistische Führung karikiert sich selbst", aus dem Russichen von Norbert Juraschitz, Verlag Antje Kunstmann, 216 Seiten, 25,60

Verena Moritz und Hannes Leidinger: "Die russische Revoution", UTB, 108 Seiten, EUR 10.20

Verena Moritz, Hannes Leidinger und Barry McLoughlin: "Kommunismus im Österreich 1918 - 1938", Studien-Verlag, 532 Seiten, EUR 39,90.

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