Zwischenruf

von Bischof Michael Bünker (Wien)

Zwischenruf zur Zwischenzeit! Heute ist genau Halbzeit für die alpine Ski-WM in Schladming. Was das Ganze an Medaillen für Österreich gebracht haben wird, kann wohl erst am letzten Tag gesagt werden. Da steht dann, genau heute in einer Woche, mit Marcel Hirscher ja der Topfavorit für einen österreichischen Sieg am Start. Was das Ganze für Schladming und die ganze Region im Ennstal gebracht haben wird, wird man wohl erst in den nächsten Jahren erkennen. Haben sich die Investitionen rentiert, die Anstrengungen gelohnt? Sportliche Megaevents sind offenkundig äußerst attraktiv. Kaum eine Stadt, eine Region, die nicht in die Versuchung käme, sich um so ein Großereignis zu bewerben. Die Wienerinnen und Wiener werden Anfang März befragt, ob sich die Bundeshauptstadt für die Olympischen Sommerspiele 2028 bewerben soll. In fünfzehn Jahren! Ein guter Teil der jetzt Befragten kann sich dann die Wettkämpfe schon auf der himmlischen Großbildleinwand anschauen.

Aber Schladming ist ja schon erfahren, 1982 gab es hier die erste alpine Ski WM. Damals hat eine 19-jährige Schweizerin, Erika Hess, drei Goldmedaillen geholt. Erika Hess galt als extrem fleißig und zielstrebig, aber sie schrieb ihre Erfolge nicht ihrem Können allein zu. Sie sagte kurz vor ihren Siegen bei der WM: Ich weiß nicht recht, warum ich gewinne, es ist Sicherheit und Selbstvertrauen, das kann man sich nicht erarbeiten, das hat man oder nicht (Spiegel 5/1982). Erika Hess war ein Bauernkind aus Grafenort, aufgewachsen mit fünf Geschwistern und zwanzig Stück Vieh. Schon im Alter von 25 Jahren tritt sie aus dem Skizirkus ab, überraschend und für manche auch zu früh: Was hätte sie nicht noch alles gewinnen können! Heute organisiert sie Skicamps für Jugendliche in der Schweiz. Sie nimmt damit bewusst ihre Verantwortung wahr, sagt sie, die ihr als Spitzensportlerin, als Skilegende, durch ihre Erfolge zugewachsen ist. Eine erstaunliche Karriere. Im Spitzensport, wo es extrem auf Leistung, Selbstüberwindung, Siegeswillen und Kampfgeist ankommt, spricht sie vom Unbegreiflichen in ihrem Leben, von dem, was uns gegeben wird. Ich weiß nicht recht, warum ich gewinne.

Wer glauben sollte, es gäbe eine Garantie auf Erfolg, liegt falsch. Wer glauben sollte, es liege nur an uns selbst, und wenn wer nicht gewinnt, hat er oder sie sich zu wenig angestrengt und gequält oder ist mental zu schwach oder kann schlicht und einfach zu wenig, unterwirft die Menschen der Tyrannei eines unbarmherzigen Gesetzes, die uns unmenschlich macht. The winner takes it all, singen Abba, und schon der Zweitplatzierte ist der erste Verlierer, meinte Boris Becker einmal. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass Spitzensportlerinnen - und sportler oft sagen, sie wären gerade durch ihre Niederlagen persönlich gereift. Nicht durch die Siege. Die eigenen Stärken kennen heißt auch, die eigenen Grenzen kennen und anerkennen, dass niemand eine fehlerlose Maschine ist. Das macht Menschen menschlich. Das macht - ich gebrauche ein altmodisches Wort - demütig.

Ich habe beim Organisationskomitee in Schladming vor der Eröffnung der WM angerufen, weil ich wissen wollte, wie viele Medaillen für die WM vorbereitet sind. Es sind drei für jeden Einzelbewerb und dann je sechs für die beiden Teambewerbe und - so habe ich erfahren - noch ein paar in Reserve, es könnte ja ein Rennen ex aequo ausgehen, alles zusammen rund 60 Stück Edelmetall für rund 650 Rennläufer und Rennläuferinnen. Mehr als 90 Prozent von ihnen werden also leer ausgehen. Trotzdem sind sie gekommen, aus 71 Nationen, setzen sich dem Trubel aus, nehmen den Stress auf sich und geben ihr Bestes, um die anspruchsvollen Rennen zu meistern. Ich habe großen Respekt vor ihnen. In meinen Augen sind sie alle Sieger, ganz egal, ob sie am Podest stehen oder nicht.

Ich weiß nicht recht, warum ich gewinne. Menschlich sein und menschlich bleiben, das ist letztlich eine Gnade. Auch im Spitzensport. Auf diese Gnade das ganze Vertrauen zu setzen, heißt Glauben. Sicherheit und Selbstvertrauen, das kann man sich nicht erarbeiten, meinte Erika Hess. Stimmt. Wer auf die Gnade vertraut, ist frei. Und kann auch mit 25, mitten im Höhenflug, sagen: Ich mach jetzt einfach etwas anderes. Ich bin so frei. Von mir würde Erika Hess noch eine Goldmedaille bekommen.

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