Zwischenruf

von Pfarrer Marco Uschmann (Wien)

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

So lässt einst Goethe seinen Zauberlehrling rufen, als dieser mit den Mächten spielt und schließlich droht, alles unter Wasser zu setzen. Sein Meister freilich bringt dann mit einem Zauberspruch alles wieder in Ordnung. Wenn es denn so einfach wäre.

Seit Edward Snwodon Anfang Juni begonnen hat, die Geheimnisse des amerikanischen Geheimdienstes zur Datenüberwachung auszuplaudern, hören wir nahezu täglich neue Enthüllungen. Programme wie XKeystore, Prism oder das Tempora-Projekt verwirren die Internet-Nutzer und sie machen auch Angst. Und im Internet sind wir ja nun inzwischen alle. Wer ein Smartphone besitzt, und das sind immerhin auch schon 59% der Bevölkerung, loggt sich automatisch regelmäßig ins Internet ein. So ist es ein leichtes, etwa ein Bewegungsprofil zu erstellen. In der Folge davon ist es genauso einfach herauszufinden, wer wann wo mit welchem Telefon wen angerufen hat. Und über was gesprochen wurde. Wer jetzt sagt, alles nicht so schlimm, der ist einfach ahnungslos. Angesichts der wirklich komplizierten Sachlage ist das auch einfach, besser gesagt: kann man es sich einfach machen. Denn man kann ja durchaus zunächst fragen, was denn so schlimm daran sei, wenn eben eine Behörde wie der Geheimdienst der USA weiß, wer mit wem telefoniert. Abgesehen davon ist diese Überwachung ja tatsächlich auch erfolgreich beim Aufspüren von Terroristen. Darauf verzichtet werden kann wohl nicht. Leider. Und der einzelne Bürger kann sich kaum dagegen wehren. Leider. Denn was sollen wir tun: Wirkt es nicht noch verdächtiger, wenn Smartphones dann Stunden oder gar tagelang offline geschaltet werden? Dann werden sich die Überwacher doch erst recht fragen, was da los ist. Andererseits muss deutlich gesagt werden, dass es so nicht geht: Denn für jeden irgendwie Verdächtigen können die Daten mehrerer Millionen Menschen analysiert und gespeichert werden. Ausgeforscht werden dann etwa die Zielperson, deren Kontakte, die Kontakte dieser Kontakte und schließlich noch die Kontakte dieser Kontakte. Bei einem einzigen Nutzer können das bereits etliche Millionen Menschen sein. Abgesehen davon stehen die großen Internetfirmen im Verdacht, ihre Netze und Knotenpunkte den Überwachern zur Verfügung zu stellen. So wird deren Geschäft noch einmal erheblich erleichtert.

Es ist eben leider nicht damit getan, dass auf meinem Computer plötzlich Werbung für Helme erscheint, weil ich mir am Vortag Motorräder im Internet angeschaut habe. Welche Mechanismen dahinter stehen, kann ich schon nicht mehr verfolgen. Ich ahne nur, dass wir da am Anfang einer Entwicklung stehen, die ganz und gar nicht gut und nützlich ist. Was fehlt, ist ein moralisch guter Umgang mit dieser Technologie. Aber hier braucht es Richtlinien, beziehungsweise Grundsätze, die als Richtschnur Halt und Orientierung geben können. Überwacht wird die Kommunikation der Menschen, das Internet bietet einfach die Medien dazu, also etwa E-Mail, Twitter oder Facebook. Medien und Kommunikation werden daran gemessen, ob sie den Menschen dienen, die Lebensmöglichkeiten entfalten, Kritikfähigkeit nicht einschränken und das Zusammenleben von Menschen fördern, heißt es dazu seitens der Kirchen Deutschlands in der Erklärung "Chancen und Risiken der Mediengesellschaft". Medienethik hat sich an der Würde des Menschen, die mit Freiheit und Selbstbestimmung unauflöslich verbunden ist, zu orientieren. Der überwachte Mensch hat damit recht wenig zu tun. Gleichwohl greifen diese medienethischen Grundsätze nicht für die Überwachung, die jetzt ans Tageslicht kommt. Der Überwachungsskandal wiegt noch schwerer, weil das Internet ja als wirklich freier Bereich galt, in dem Menschen ohne Reglementierung kommunizieren und Informationen einholen konnten. Die positiven Auswirkungen dessen haben sich beim Arabischen Frühling gezeigt, als mit Twitter und Co die Menschen zu massenhaftem und friedlichem Widerstand gefunden haben. Jetzt zeigt sich, dass das Internet nie frei war und wahrscheinlich auch niemals sein wird: Die USA speichern alle Mails, Telefonate und Webaufrufe ihrer Bürger und wahrscheinlich auch in der EU.

Die Internetethik, die hier entwickelt werden muss, hat sich selbstverständlich auch an der Würde des Menschen zu orientieren, an seiner Freiheit und am Grundsatz der Vertraulichkeit. Denn es fragt sich doch, ob etwa Internetseelsorge überhaupt verschwiegen sein kann. Was nun kann aber der einzelne Nutzer tun? Zunächst einmal sich bewusst machen, dass alles, wirklich alles, was am eigenen Computer in den Browser getippt wird, auch gespeichert wird. Dass mein Smartphone ständig mitteilt, wo ich gerade bin. Das alles scheint aber relativ zu sein, wenn ich mir anschaue, was die Millionen und Abermillionen Nutzer freiwillig von sich preisgeben, wenn sie sich auf Facebook etwa präsentieren.
Ich fürchte, diese Geister werden wir nicht mehr los.

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