Gedanken für den Tag

29. Oktober 2013, 06:56

Eine Bewegung gegen unbarmherzigen Leistungsdruck

Wer überwacht dich? Wer bestraft dich, wenn du dich nicht regelkonform verhältst? Wenn ich meinen Schülern und Schülerinnen solche Fragen stelle, sind wir im Unterricht sofort in einer Debatte über militärische Geheimdienste und die bedrohte Freiheit im Internet. Keiner kommt auf die Idee, die kontrollierende und überwachende Instanz mit Gott in Zusammenhang zu bringen - und ich bin sehr froh darüber! Gott als überwachender und strafender Angstmacher - diese Vorstellung ist im Europa des 21. Jahrhunderts zum Glück weitgehend Vergangenheit.

Dass das so ist, hat auch mit der Geschichte der Reformation vor 500 Jahren zu tun. Der Augustinermönch Martin Luther war bestrebt, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ein frommes und gottgefälliges Leben zu führen. Aber er wurde ständig von dem Gefühl bedrängt: Was du auch tust, wie sehr du dich auch anstrengst, es ist immer zu wenig. Ein ungeheurer religiöser Leistungsdruck bestimmte Luthers Leben. Es war die Lektüre der Bibel, die ihn von dieser Last befreite. Im Römerbrief des Apostels Paulus las er, dass sich kein Mensch durch eigene Leistungen vor Gott behaupten kann. Dieser Gott, von dem da die Rede ist, verlangt das auch nicht, denn er ist ein barmherziger, gnädiger Gott - kein Angstmacher, keine moralische Überwachungsstation. Ein Gott, der sich den Menschen zuwendet, ohne dass diese etwas dafür tun können. Von dieser befreienden Erkenntnis ging eine ungeheure Kraft aus. Innerhalb weniger Jahre breitete sich die reformatorische Bewegung gegen die religiöse Angstmacherei in ganz Europa aus.

Kontrolle und Leistungsdruck nimmt in der heutigen Arbeitswelt immer mehr zu. An die Stelle des strafenden Gottes ist die Kontrolle durch die Videokamera getreten. Die Botschaft eines barmherzigen Gottes, so wie ich sie verstehe, ist eine ganz andere: Du zählst, so wie du bist!

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