Gedanken für den Tag
von Mirja Kutzer, Germanistin und katholische Theologin. "Erlesen Reisen". Gestaltung: Alexandra Mantler
25. Juli 2014, 06:56
Haben, als hätten wir nicht
Wenn Literatur tatsächlich aus dem Gefühl heraus entsteht, auf dieser Erde nicht ganz zuhause zu sein, dann ist Reisen das ihr entsprechende Thema. Wer unterwegs ist, ist fern der Heimat. Er schläft in Betten, die nicht die seinen sind. Er nennt Zimmer sein eigen, die er bald wieder verlässt. Der Reisende bleibt, um wieder zu gehen. Er hat, um wieder loszulassen.
Es war der Apostel Paulus, selbst ein großer Reisender, der diese Haltung theologisch geadelt hat. Die Korinther beschwört er, sich in dieser Welt nicht zu sehr einzurichten. Die Zeit ist kurz, und die Gestalt dieser Welt vergeht. Deshalb soll der Mensch alles, was ihm Identität und Heimat gibt - seinen Partner, seine Partnerin, seinen Besitz, selbst seine Freude und seine Trauer - so behandeln, als ob es nicht sei. Damit verbietet Paulus wohlgemerkt nicht das Haben, das Wohnen in der Welt schlechthin. Er warnt aber davor zu glauben, dass das, was man besitzt oder zu wissen vermeint, endgültige Sicherheit geben könnte.
Darin geht Paulus quasi den umgekehrten Weg wie die Dichtung. Ruft Paulus zu einem Umgang mit der Welt unter dem Vorzeichen des "Als ob nicht", so tut der Leser von Literatur für den Zeitraum der Lektüre so, "als ob" das dort Erfundene tatsächlich sei. Dabei wohnt dem "Als ob nicht" des Paulus und dem "Als ob" der Fiktion dieselbe Dynamik inne. Beides reißt den Christen oder den Leser aus vermeintlichen Sicherheiten heraus. Es zwingt ihn dazu, Vorhandenes in Frage zu stellen und auf die Reise zu gehen. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom hat denn auch Bibelleser und Leser von fiktionaler Literatur nebeneinander gestellt. Indem sie lesen - die Bibel, die Literatur, teilen sie dieselbe Suche. Und sammeln Kompetenzen dafür, unterwegs zu sein.
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Sendereihe
Übersicht
- Reisen
Playlist
Komponist/Komponistin: Ebu Bekir Aga/1685-1759
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Eviç Karçe
Album: CAFÉ - ORIENT MEETS OCCIDENT
Titel: Geldi cevher tigi ates-barina ayineden
Anderssprachiger Titel: Das feuerspuckende Schwert ist geschmückt mit glänzend spiegelnden Juwelen
Solist/Solistin: Valer Barna-Sabadus /Countertenor
Ausführende: Pera Ensemble
Leitung: Mehmet C. Yesilçay
Länge: 02:20 min
Label: Berlin Classics/edel 0300400BC