Gedanken für den Tag

von Walter Friedl, Außenpolitik-Journalist bei der Tageszeitung Kurier und Theologe. "Ich bin immer ich". Gestaltung: Alexandra Mantler

"...aber dann bleibt das Tier mit einem Ruck, mitten im Spazierengehen, mitten auf der Straße stehen, und es sagt ganz laut zu sich: Sicherlich gibt es mich. Ich bin Ich." Das ist die Schlüsselpassage in Mira Lobes wunderbarem Kinderbuch "Das kleine Ich bin Ich". Das scheinbar verlorene Wesen auf der Suche nach Identität ist angekommen: Bei sich selbst.

Mehr als vierzig Jahre ist dieses Buch jetzt schon alt, wurde immer wieder neu aufgelegt und findet sich auch heute noch im Bücherregal vieler Kinderzimmer. Es war auch eines der ersten Bücher, das ich meinen eigenen Kindern vorgelesen habe. Ich kannte es bis dahin nicht und war fasziniert von der so liebevoll transportierten Aussagekraft der Geschichte. Denn ich glaube, sie spricht einen zentralen Punkt an, um den sich auch verantwortungsvolle Eltern bemühen: die Persönlichkeit ihres Nachwuchses behutsam zu entfalten, die Kleinen auf diesem Weg zu fördern und zu fordern.

Meist gelingt das in frühen Jahren ohne viel Zutun: Die Buben und Mädchen sind wie sie sind - fast immer echt. Meist zum Abbusseln herzlich und offen, in dieser Art bisweilen aber auch verletzend, ja brutal - dabei aber immer sie selbst, authentisch.

Und wir Erwachsene? Ich meine, wir ver-stellen uns viel zu sehr, statt dass wir uns unserem eigenen Ich stellen. Aus Furcht, nicht zu gefallen oder den Job zu verlieren. Oder weil wir einfach im nivellierenden Mainstream mitschwimmen wollen: Auftrainierte Muskeln, beziehungsweise aufsilikonisierte Brüste machen aber mein Ich-Sein nicht stärker oder größer. Und willfährige Chef-Huldigungen sichern langfristig meinen Arbeitsplatz auch nicht. Obwohl: Gerade bei Letzterem bestätigen Ausnahmen leider immer öfter die Regel.

Doch am Ende des Tages werde ich von anderen nur dann Ehrlichkeit, Offenheit, Zuneigung und Liebe erfahren, wenn ich bin wie ich bin. So wie das kleine "Ich bin ich", dem sich nach dessen Selbsterkenntnis der Laubfrosch freundschaftlich nähert und sagt: "Du bist Du. Und wer das nicht weiß, ist dumm. Bumm."

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Kurt Weill/1900 - 1950
Titel: Kleine Dreigroschenmusik - Suite für Blasorchester aus der "Dreigroschenoper"
* Tango Ballade (00:02:42)
Orchester: London Sinfonietta
Leitung: David Atherton
Länge: 02:00 min
Label: DG 4232552

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