Musikhörspiele

5. September 2018, 14:05

Eine Genealogie der Violine

Der 1979 geborene englische Komponist Philip Venables wollte mit seinem Violinkonzert mit dem Titel "Venables plays Bartók" ein Werk schaffen, das die "Genealogie der Violine" miteinbezieht. Diese Genealogie, sagt er, ermöglichte ihm, Musiker zu werden und das Violinkonzert für den finnischen Geiger Pekka Kuusisto zu schreiben. Venables verfremdet Arrangements aus Béla Bartóks "Rumänische Volkstänze für Violine und Klavier" als Hommage an seine Geigenlehrer.
Venables beschreibt sein Konzert als "radio music drama", als Musikhörspiel, das alle musikalischen Biographien vereint, die dazu führten, dass ihn im Alter von 14 Jahren, im November 1993, seine Lehrerin, Marilyn Shearn, den ungarischen Geigenpädagogen Rudolf Botta vorspielen ließ. Somit sei er, wie alle Schüler Bottas, Teil von dessen "langem und schwierigen Musikerleben" geworden.
Das Violinkonzert verwendet alternierend zwei Bandzuspielungen mit von Venables verfassten und gesprochenen Texten und von einem Schauspieler gesprochenen Ausschnitten aus Bottas Tagebüchern und Memoiren. Die Violine solle die Stimme sein, die zwei Lebenswege verbindet: den Weg des Komponisten vom Violinstudium bis zur Komposition des Violinkonzerts und Bottas Leben: 2. Weltkrieg, Inhaftierung durch die Sowjets und 1956 Flucht über Wien nach Großbritannien, wo Botta eine neue Heimat fand.
Pekka Kuusisto sprach vor jedem der Arrangements und wandte sich auch vor der Aufführung ans Publikum.


Zu Tode gehetzte feierliche Blasmusik

Groß ist die Versuchung, die 5. Symphonie von Sergej Prokofjew als brillantes Virtuosenstück zu zelebrieren. Das im Sommer 1944 entstandene Werk sei die "Summe eines langen schöpferischen Lebens", so der Komponist. 1932, kurz vor seiner Rückkehr in die Sowjetunion, versprach Prokofjew, er werde von nun an Musik schreiben, die "den neuen Menschen" darstelle, "den Kampf und die Überwindung der Hindernisse. Mit solcher Einstellung, mit solchen Erlebnissen möchte ich große musikalische Gemälde malen." Nach dem sich abzeichnenden Sieg der "drei Mächte" (Sowjetunion, Vereinigte Staaten und Vereinigtes Königreich) über Nazi-Deutschland schien seine 5. Symphonie den Sieg dieses "neuen Menschen" zu verherrlichen. Es liegt in der Natur des Mediums Musik, vor allem an der Qualität der musikalischen Mittel, dass dieses Werk auch anders verstanden werden kann.
Der 1. Satz beginnt wie eine Idylle. Bald melden sich die Blech- und Schlagzeugabteilungen zu Wort und karikieren das bukolische Thema. Der Mittelteil des 2. Satzes: eine Karikatur des vom totalitären Staatsapparat dekretierten Frohsinns? Der intime Klagegesang des 3. Satzes geht, mit entsprechend großer, bewegender Pathosgeste, bald an die Öffentlichkeit. Im Finalsatz scheint die Musik in die verordnete glückliche, "bessere", sowjetische Zukunft zu galoppieren, doch der Frohsinn mutiert unversehens, gnadenlos japsend und hechelnd, zu einer atemlosen Jagd. Es ist einer der faszinierendsten Sätze im großen Werk Prokofjews. Die letzten zwei Minuten nennt einer der besten Kenner der russischen Symphonik des 20. Jahrhunderts, der österreichische Symphoniker Michael F.P. Huber, "schlichtweg genial - die feierliche Blasmusik marschiert auf und wird zu Tode gehetzt."

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger