
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Gedanken für den Tag
Michael Bünker über Friedrich Schleiermacher
"Religion und Vernunft". Michael Bünker, evangelischer Bischof in Österreich zum 250. Geburtstag des evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher. - Gestaltung: Alexandra Mantler
20. November 2018, 06:56
Gegen den Willen seines Vaters hatte Schleiermacher begonnen, in Halle an der Saale zu studieren. Vier Semester lang. Die Theologie scheint ihn damals aber nicht so sehr interessiert zu haben wie die Philosophie. Er beschäftigte sich mit den Werken Immanuel Kants, vor allem aber mit der Philosophie der griechischen Antike.
Schleiermacher begann, die Nikomachische Ethik des Aristoteles ins Deutsche zu übersetzen. Bei der Gelegenheit verfasste er eine kleine Schrift: "Anmerkungen" zu den Büchern 8 und 9 der Nikomachischen Ethik. Aristoteles entwirft dort das Ideal der "Freundschaft des gegenseitigen Wohlergehens". Der gerade erst 20 Jahre alte Schleiermacher erweist sich in seinen Anmerkungen als ein bahnbrechender Denker der Moderne. Er geht von der unverwechselbaren Individualität jedes einzelnen Menschen aus, bindet sie aber an die Geselligkeit. Jede Beziehung ist eingebettet in die sozialen Verhältnisse. Die größte Herausforderung dieser menschlichen Grundbestimmung ist dann die Ungleichheit.
Da wagte Schleiermacher ganz radikale Gedanken. Er meint: Je mehr jemand begünstigt ist, umso größer die Verpflichtung zur Hilfe. Und umgekehrt: Je größer die Benachteiligung, umso größer der Anspruch auf Hilfe. Diese Regel des Ausgleichs begründete Schleiermacher nun nicht moralisch, sondern mit der praktischen Vernunft. Beide, Begünstigte und Benachteiligte, seien doch aufeinander angewiesen. Erst im sozialen Engagement findet der Mensch ganz zu sich selbst.
Schleiermacher setzte dann auch noch einen religiösen Gedanken drauf: Durch dieses gemeinsame Aufeinander-Angewiesen-Sein wird die Verherrlichung Gottes gefördert, denn das Weltganze wird dadurch sichtbarer, Disharmonien und Unvollkommenheiten treten zurück. In unserer heutigen zunehmend polarisierten Gesellschaft, in der Solidarität und soziale Verantwortung bedroht sind, ist das brennend aktuell.
Service
Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn Bartholdy/1809 - 1847
Album: JORGE BOLET - ENCORES
Titel: Rondo capriccioso für Klavier in E-Dur op.14
Solist/Solistin: Jorge Bolet /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Decca 4173612