Joseph Roth

ORF

Radiokolleg - Ich kenne die Welt nur, wenn ich schreibe

Der Romancier und Journalist Joseph Roth (4).
Gestaltung: Sabrina Adlbrecht

Mit ihm verbinden Literaturinteressierte zunächst wohl die Romane "Radetzkymarsch" und "Die Kapuzinergruft" - beides Abgesänge auf die Habsburgermonarchie, deren Kultur und Gesellschaft: Joseph Roth. Seinen Zeitgenossen war der 1894 in Brody, Galizien, geborene und 1914 nach Wien übersiedelte Schriftsteller aber vor allem als Journalist bekannt, der in der Zwischenkriegszeit Reportagen, Essays und feuilletonistische Arbeiten für verschiedene deutschsprachige Zeitungen verfasste. Auf beiden Gebieten erwies sich Roth als Meister der Beobachtung und Beschreibung, als ein sensibler, leidenschaftlich-subjektiver, aber - oder gerade deswegen - äußerst präziser Porträtist seiner Zeit. Engagiert, wortgewaltig und weitsichtig, haben seine Arbeiten bis heute nichts von ihrer Faszination verloren.

Was Joseph Roth ebenso charakterisiert, ist seine Widersprüchlichkeit. Kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, das wurde mehrfach angemerkt, habe seine Biographie und seine Haltung zur Welt so geschickt immer wieder neu erfunden wie er.

Aus Kummer über die unheilbare Geisteskrankheit seiner Frau wurde Alkohol schon früh zu seinem ständigen Begleiter; überhaupt war Roths Leben von Verlust und Abschied geprägt: Mit dem Untergang der Donaumonarchie hatte er seine politische Heimat verloren; die jüdische Kultur, wesentlicher Teil seiner Identität, wurde von den Nationalsozialisten in die Emigration getrieben; Roth war
auch einer, der früh und eindringlich vor deren verheerender Ideologie gewarnt hatte - und zwar schon in seinem ersten, 1923 erschienenen, jedoch unvollendet gebliebenen Fortsetzungsroman "Das Spinnennetz", der in der Wiener "Arbeiterzeitung" abgedruckt wurde. Schauplatz des Romans ist Berlin. Dorthin war der Autor - der Arbeit wegen - 1920 übersiedelt, kurz nach Gründung der NSDAP in Deutschland.

1933 ging Joseph Roth ins Pariser Exil. Von dort aus unternahm er Reisen, u.a. in die Niederlande, nach Österreich und nach Polen; im Unterschied zu vielen anderen emigrierten Schriftstellern, gelang es ihm, weiterhin zu publizieren. In seinen letzten Lebensjahren verschlechterten sich allerdings Roths finanzielle und gesundheitliche Situation dramatisch. Der unbändige Trinker, schreibende Nomade und Mann ohne Interesse an einem "bürgerlichen Fundament" starb am 27. Mai 1939 in einem Pariser Armenspital.

Neben einem umfangreichen journalistischen Werk hat Joseph Roth Weltliteratur hinterlassen - Bücher wie "Hiob", "Tarabas", die "Flucht ohne Ende", die "Geschichte von der 1002. Nacht" und die "Legende vom heiligen Trinker". Sein kurzes, nur fünfundvierzig Jahre dauerndes Leben war wild, leidenschaftlich und durchsetzt von Brüchen wie das Jahrhundert, in dem er lebte.

Service

LITERATUR:

Jan Bürger (Hg.): Pariser Nächte. Feuilletons und Briefe. Verlag C.H. Beck, München 2018. ISBN-13: 9783406726316

Ders.: Joseph Roth. Reisen in die Ukraine und nach Russland. Verlag C.H. Beck
2015. ISBN: 978-3-406-67545-4

David Bronsen: Joseph Roth. Eine Biographie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1974. (Überarbeitete und gekürzte Neuauflage 1993, ISBN 3-462-02237-7)

Thomas Eicher (Hg.): Joseph Roth und die Reportage. Mattes Verlag Heidelberg, 2010. ISBN 978-3-86809-035-2.

Sebastian Kiefer: Braver Junge - gefüllt mit Gift. Joseph Roth und die Ambivalenz. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar, 2001. ISBN 3-476-45258-1

Victoria Lunzer-Talos/Heinz Lunzer (Hg.): Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009. ISBN-13: 9783462041026

Soma Morgenstern: Joseph Roths Flucht und Ende. Erinnerungen. zu Klampen, Lüneburg 1994, ISBN 3-924245-35-5.

Helmut Peschina (Hg.): Joseph Roth. Kaffeehausfrühling. Ein Wien-Lesebuch. KiWi-Taschenbuch, 2005. ISBN: 978-3-462-03494-3

Ders.: Joseph Roth. Sehnsucht nach Paris, Heimweh nach Prag. Ein Leben in Selbstzeugnissen. KiWi-Taschenbuch, 2006. ISBN: 978-3-462-03632-9

Ders. Die Filiale der Hölle auf Erden. Schriften aus der Emigration. KiWi-Taschenbuch, 2001. ISBN: 978-3-462-03232-1

Wilhelm von Sternburg: Joseph Roth. Eine Biographie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, ISBN 978-3-462-05555-9.


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