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Gedanken für den Tag
Michael Krassnitzer über Ludwig van Beethoven
"Götterfunken und Schicksalsklang". Himmlisches und Irdisches bei Ludwig van Beethoven findet Michael Krassnitzer, Journalist und Musikliebhaber, in der Woche zum Ö1-Beethoventag. - Gestaltung: Alexandra Mantler
1. Februar 2020, 06:56
"Sokrates und Jesus waren mir Muster": Dieses Bekenntnis findet sich in einem der Konversationshefte, mit denen der ertaubte Ludwig van Beethoven mit seiner Umwelt kommunizierte. Der Komponist nennt also als seine Vorbilder Jesus, in der christlichen Überlieferung der Sohn Gottes und Verkörperung der Botschaft des Neuen Testaments, und Sokrates, den griechischen Philosophen, dem es um Streben nach Erkenntnis, ums Ringen um Selbsterkenntnis ging und dessen hermeneutische Methode darin bestand, alles zu hinterfragen.
Man weiß, dass Beethoven an Jesus vor allem das Menschliche faszinierte. Bereits in seinem Oratorium "Christus am Ölberge" hat Beethoven ein, wenn man will, psychologisches Porträt Jesu geliefert. Auch Beethovens Messe in C-Dur ist eigentlich nichts anderes als ein langer Dialog mit Gott, vorbei an allen kirchlichen Institutionen und Dogmen. Beide Stücke stießen beim adeligen Publikum, für das sie bestimmt waren, nicht ohne Grund auf Ablehnung.
An Sokrates dürfte Beethoven gefallen haben, dass er keine erhabene, realitätsferne Gestalt war, sondern ein Denker aus Fleisch und Blut. Seine Philosophie ist zu einem wichtigen Teil in Form von Dialogen überliefert. Vielleicht hat Beethoven Jesus und Sokrates deshalb in einem Atemzug genannt.
Die Nächstenliebe als zentrale Botschaft Jesu und eine gesunde Skepsis im Sinne Sokrates' - das ist eigentlich keine so schlechte Grundlage für eine Lebensphilosophie. Leider hat Beethoven selbst im Umgang mit seiner Familie beide Prinzipien vermissen lassen. Der sogenannte "Neffenkonflikt" und die Auseinandersetzungen mit seiner Schwägerin um das Sorgerecht für deren Sohn sind kein moralisches Ruhmesblatt für den Komponisten.
Hehre Worte alleine genügen nicht. Man muss auch versuchen, seinen Ansprüchen gerecht zu werden.
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Ludwig van Beethoven/1770 - 1827
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Franz Xaver Huber/1760 - 1810
Gesamttitel: CHRISTUS AM ÖLBERGE, op.85 - Oratorium für drei Solostimmen, Chor und Orchester / Gesamtaufnahme
Titel: 1. Nr.1 : Introduktion (00:05:28)
Solist/Solistin: Maria Venuti /Seraph, Sopran
Solist/Solistin: Keith Lewis /Jesus, Tenor
Solist/Solistin: Michel Brodard /Petrus, Baß
Chor: Gächinger Kantorei Stuttgart
Orchester: Bach Collegium Stuttgart
Leitung: Helmuth Rilling
Länge: 05:28 min
Label: Hänssler Classic 98422