ÖNB
Radiokolleg - Fundament des Staates
100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz (3). Gestaltung: Nadja Kayali, Michaela Schierhuber
30. September 2020, 09:05
Am 1. Oktober 2020 wird die Österreichische Verfassung bzw. das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) 100 Jahre alt. Verfolgen wir die Spur ihrer Entstehung, so führt sie weit zurück in die wechselvolle Geschichte unseres Landes und erreicht ihren Gipfelpunkt in den Jahren zwischen 1918 und 1920, als sich Österreich von einer Monarchie in eine Republik verwandelt. Artikel 1 im Bundes-Verfassungsgesetz definiert es genau: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus".
Es sind also die Bürgerinnen und Bürger, die 1920 zu den neuen Souveränen des Landes werden. Das hat weitreichende Folgen. Neben Demokratie und Republik, rückt auch die Bundesverfassung den einzelnen Menschen in den Vordergrund und schützt ihn vor einem zu großen Machteinfluss des Staates. Selbst wenn der Artikel 1 unmissverständlich formuliert wurde, besteht heute eine eklatante Wahrnehmungsdivergenz zwischen der Bedeutung der Verfassung, die ihr durch Jurististinnen und Juristen zugemessen wird und ihrer Verankerung im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger.
Die Verfassung ist also nicht nur Teil einer höchst anspruchsvollen Disziplin der Rechtswissenschaften, sondern auch etwas, das alle Bürgerinnen und Bürger angeht und sich auch explizit an uns richtet. Weshalb aber ist diese notwendige breite Identifikation eigentlich nicht genügend im Bewusstsein verankert? Dennoch gilt die Österreichische Verfassung den juristischen Expertinnen und Experten in vielerlei Hinsicht als richtungsweisend und fand international große Beachtung.
Der 1881 in Prag geborene Rechtswissenschaftler Hans Kelsen gilt als der "Architekt" der Bundesverfassung. Er hat als Urheber mehrerer Entwürfe zur Verfassung den schwierigen Prozess der politischen Konsensfindung begleitet, denn gerade die Grundkonzeption des Staatsfundaments war durch die ideologisch weit auseinanderreichenden Positionen schwierig. So konnte man sich 1920 beispielsweise nicht auf einen Grundrechtskatalog einigen, sondern übernahm jenen aus dem Staatsgrundgesetz von 1867.
Das Radiokolleg widmet sich anlässlich des Verfassungsjubiläums der Entstehung der Bundesverfassung, stellt stellt die Grundprinzipien Demokratie, Republik, Bundesstaat und Rechtsstaat ins Zentrum.
Teil - 3
Neben der Verfassung als Regelwerk zur Organisation des Staates, beinhaltet sie auch Grund- und Menschenrechte. In Österreich gibt es keinen einheitlichen Grundrechtskatalog. 1920 wurde das "Staatsgrundgesetz über die Rechte der Staatsbürger" aus dem Jahre 1867 ins Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) übernommen. Eine politische Einigung auf einen neuen Grundrechtskatalog war nicht möglich aufgrund ideologischer Differenzen. Auch spätere Versuche verliefen im Sand. 1958 ist Österreich der EMRK, der Europäischen Menschenrechtskonvention, beigetreten, die später in Verfassungsrang gehoben wurde. Seit 2012 judiziert der Verfassungsgerichtshof auch Grundrechte, die in der Europäischen Grundrechte Charta (GRC) zu finden sind (sofern sie den Bestimmungen und Formulierungen der österreichischen Grundrechte gleichen). Gerade im Grundrechtsbereich zeigt sich der Dialog zwischen Gesellschaft, Politik und Recht sehr deutlich. Gleichzeitig stellen sich damit auch neue Fragen: Wie werden beispielsweise Umweltschutz und Klimaschutz in der Verfassung geregelt? Derzeit mit Staatszielbestimmungen. Ein Punkt, das durchaus kritisch betrachtet wird.
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