Michael Maar: Stil hat etwas mit Persönlichkeit zu tun

17. Jänner 2021, 09:05

Was ist guter Stil? Wie schreibt man anschauliches, lebendiges, vielleicht sogar brillantes Deutsch? Und wie entstehen große Texte - in Literatur, Publizistik und Wissenschaft? Diese Fragen stellt sich der Berliner Literaturkritiker Michael Maar in einem neuen Buch mit dem Titel "Die Schlange im Wolfspelz".

Stil, das macht der Essayist unmissverständlich klar, hat etwas mit Individualität und Persönlichkeit zu tun - und selbstverständlich mit Originalität. Eine Originalität, die Maar in der Wissenschaftsprosa unserer Tage schmerzlich vermisst: "So wie es Graubrot gibt, geschmacksarmes, plastikverpackt, so gibt es auch Graudeutsch. Es zeichnet sich aus durch viele, langweilige latinisierende Fremdwörter; kein originelles Verb; wenn Bilder, dann nur die abgegriffensten, Münzen ohne Prägerand. Fast alle akademischen Publikationen zermalmen oder zelebrieren dieses Graubrot, dass es eine Art hat. Es sind graue Begriffsbrocken, die sich aufeinander türmen; Klapperbleche, mit denen man nicht Spatzen, sondern Leserschwärme verscheucht."

Die stilistische Ödnis, die dem Publikum aus wissenschaftlichen Publikationen heute oft entgegengähnt, hat in der Regel mit der gedanklichen Blässe zu tun, deren Ausdruck sie ist. Denn Schreiben und Denken, stellt Maar klar, lassen sich nicht voneinander trennen: "Ohne genaues Denken kein genaues Formulieren. Den Stil verbessern, das heiße den Gedanken verbessern, wusste schon Friedrich Nietzsche."

Guter Stil, auch das macht Maar deutlich, hat nicht zuletzt mit dem zu tun, was man vermeidet - Plattitüden und Gemeinplätze zum Beispiel: "Guter Stil beruht auf einem inneren Verbotskanon. Diese Verbotstafeln sind von außen nicht einzusehen, sie stehen in den Schreibkammern des Autors verschlossen. Und eben hierin liegt ein Geheimnis des Stils: Die Leser merken nicht unbedingt, warum sie etwas gern lesen, weil es an etwas Fehlendem liegt. Man merkt es dem guten Stil nicht gleich an, dass er Gemeinplätze meidet, man spürt das Fehlende so wenig, wie man das Nicht-gezwickt-Werden spüren kann. Aber auf Dauer merkt man es doch. Auf Dauer merkt die Leserin eines Essays, dass es ihr wohltut, wenn sie einmal verschont bleibt von den Phrasen, von "Paradigma", "Diskurs" und "Narrativ", oder wenn ihr aus einem Roman nicht die schiefen Bilder und Worthülsen entgegenpurzeln. Als Regel gelte: Meidet "unbequem" für Denker oder Publizistinnen, beschränkt diese Beschreibung auf Biedermeierstühle. Allgemeiner: Meidet alles, was als Sprachplastik im Mainstream schwimmt."

Gestaltung: Günter Kaindlstorfer

Service

"Die Schlange im Wolfspelz - Das Geheimnis großer Literatur", das neue Buch von Michael Maar, ist im Rowohlt-Verlag erschienen (656 Seiten, EUR 35,00, ISBN: 9783498001407).

Michael Maar - Die Schlange im Wolfspelz

Sendereihe

• Gedanken

Gestaltung

• Günter Kaindlstorfer

Übersicht

• Lesen mit Ö1