Büste von Gotthold Ephraim Lessing

DPA/MATTHIAS HIEKEL

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Gotthold Ephraim Lessing

"Über den Graben springen". Lessing könne auch heute vielen aus dem Herzen sprechen, meint die Religionspsychologin und evangelische Theologin Susanne Heine

Wer war Jesus, der Mensch? Diese Frage hat mit Lessing begonnen und ist nie verstummt. Er will den historischen Menschen vom Gottessohn, von allem Übernatürlichen befreien. Denn für Lessing ist natürlich, dass die menschliche Vernunft ein Gottesbewusstsein in sich trägt. Er sieht in Jesus den voll entwickelten Menschen, der die innere Reinheit des Herzens lehrt, um die Vernunft seiner Zuhörer/innen zur Entfaltung zu bringen. Diese Arznei will ich nicht mit der biblischen Schachtel schlucken, sagt Lessing.

150 Jahre später zieht Albert Schweitzer aus der Jesus-Forschung eine für mich immer noch berührende Bilanz: Der Mensch Jesus ist zum Leben erwacht, aber er "ging an unserer Zeit vorbei und kehrte in die seinige zurück". Übrig geblieben sind sehr verschiedene Bilder von Jesus: der Lehrer des reinen Herzens, auch der Revolutionär oder Frauenfreund. Diese Bilder haben Literatur, Theater und Kino erobert. Sie entstehen, weil die Vernunft auch von recht "unreinen" Wünschen und Ängsten geplagt bleibt.

Die Frage nach dem historischen Jesus ist damit nicht erledigt, aber die Entwicklung weitergegangen. Denn neben Jesus stehen Menschen, die leiden und Deutungen für ihr Leben suchen. Für sie ist Jesus vom Himmel gekommen und hat ihnen das liebende und vergebende Angesicht Gottes gezeigt. Eine solche Deutung, weder Faktum noch Fiktion, ist Ausdruck bedeutsamer Beziehungen. Heute steht der erinnerte und erzählte Jesus im Mittelpunkt der Forschung.

Nach Lessings Theatertheorie soll das Publikum Empathie entwickeln und Stellung beziehen. Warum sollte mich nicht auch das biblische Drama herausfordern: Sind deine Fragen auch meine Fragen? Können dein Vertrauen, deine Befreiung auch meine sein? Nein, sagt Lessing, ich brauche kein biblisches Drama, denn er hat eine Vision: Eines Tages wird der Mensch das Gute tun, weil es das Gute ist. Zufall, dass diese Vision eine biblisch-prophetische ist? Eines Tages wird Gott den Menschen einen neuen Geist eingeben, der sie leitet, immer das Rechte zu tun (Ez 11,19-20; Jer 31,33).

Service

Friedrich Vollhardt, "Gotthold Ephraim Lessing. Epoche und Werk", Verlag Wallstein
Rüdiger Scholz, "Die heimliche Autobiographie des Gotthold Ephraim Lessing", Verlag Königshausen u. Neumann
Monika Fick, "Lessing-Handbuch", Verlag J. B. Metzler

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Album: A Little Nightmusic - Das Orpheus Chamber Orchestra spielt Mozart
* Adagio cantabile - 3.Satz (00:05:56)
Titel: Ein musikalischer Spaß KV 522 in F-Dur
Populartitel: Dorfmusikanten Sextett
Orchester: Orpheus Chamber Orchestra
Länge: 05:56 min
Label: DG 429783-2

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