Baby

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Medizin und Gesundheit

Prägungen im frühen Kindesalter

Die ersten 1.000 Tage - Die prägendste Zeit im Leben eines Menschen

Vom Zeitpunkt der Zeugung bis etwa zum vollendeten zweiten Lebensjahr gleicht der Mensch einem unbeschriebenen Blatt oder einem trockenen Schwamm. Alles, was in diesen ersten tausend Tagen auf das Kind einströmt, wird aufgesaugt und abgespeichert - oft für die Dauer des gesamten Lebens. Das Gehirn entwickelt sich in dieser Zeit in einer unglaublichen Geschwindigkeit - und hier wird der Grundstein gelegt für unsere emotionalen und kognitiven Fähigkeiten, aber auch für so manche Erkrankung, die erst später im Leben auftritt.

Hauptsache Zuwendung

In den ersten tausend Tagen sind Bezugspersonen, die den Kindern liebevolle Aufmerksamkeit schenken, besonders wichtig. Das muss nicht zwangsläufig die Mutter, sondern können auch der Vater, die Tante oder Großmutter sein. Ist ein sicherer Hafen gegeben, können sich Kinder zu neugierigen, offenen und selbstbewussten Individuen entwickeln. Kinder jedoch, die niemanden haben, der sich verlässlich um sie kümmert, zu dem sie also eine sichere Bindung aufbauen können, haben ein erhöhtes Risiko, später im Leben an Psychosen, Essstörungen oder Alkoholabhängigkeit zu erkranken. Natürlich kann auch später im Leben durch neue, gute Beziehungen einiges "aufgeholt" werden und sich vieles zum Positiven wenden. Ganz lassen sich die Spuren aus den ersten tausend Tagen aber nicht verwischen.
Doris Staudt, Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit, hat sich auf den Bereich Förderung von Feinfühligkeit und Empathie spezialisiert. Sie betont, wie wichtig es ist, dass die Gefühle von Babys und Kleinkindern ernst genommen werden und adäquat darauf reagiert wird. Die Kleinen können mit Emotionen noch nicht so gut umgehen - deshalb brauchen sie einfühlsame Eltern oder andere Personen, die ihnen etwa helfen, negative Gefühle auszuhalten und durchzustehen.

Elterliche Ernährung prägt nachhaltig

Auch das, was werdende Mütter essen und trinken, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Falsche Ernährung kann im späteren Leben des Nachwuchses zu Diabetes, Adipositas oder metabolischem Syndrom führen. Auch Väter können ihren Teil beitragen. Studien aus dem Bereich der Epigenetik haben gezeigt, dass die Ernährung der werdenden Väter rund um den Zeitpunkt der Zeugung auf viele Generationen danach Auswirkungen hat. Wie genau das funktioniert, ist allerdings noch unklar. Das Thema Stillen ist umstritten. Viele Frauen entscheiden sich aus diversen Gründen dagegen. Die Muttermilch hat allerdings einige Vorteile. Um ein paar Beispiele zu nennen: Gestillte Kinder haben ein geringeres Risiko Ekzeme der Haut, Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas oder chronische Darmerkrankungen zu bekommen.

Zu viel Fördern kann überfordern

Viele frischgebackene Eltern möchten alles für ihr Kind tun, es möglichst früh und intensiv fördern. Zum Beispiel mit Chinesisch-Unterricht bereits in der Schwangerschaft oder Klavierstunden für den Zweijährigen. Doch das ist gar nicht nötig und häufig auch kontraproduktiv. Denn zu intensive Förderungsmaßnahmen führen von der Beziehung weg. Und die ist das einzige, was in dieser frühen Zeit wirklich zählt.

Unterstützung für alle Eltern

Dr.in Katharina Kruppa, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Psychotherapeutin, weist auf einen wichtigen Punkt hin, der immer wieder übersehen wird: Alle Eltern brauchen Unterstützung von ihrem Umfeld. Denn eine Geburt und die neuen Rollen als Vater oder Mutter stellen einen großen Einschnitt im Leben dar.
Jungfamilien, die keine Unterstützung aus dem eigenen Umfeld bekommen, benötigen Hilfe von außerhalb. In diese wird leider vom Staat viel zu wenig investiert. Zwar gibt es mit dem Konzept der "Frühen Hilfen" bereits ein gutes Angebot, jedoch ist es nicht flächendeckend verfügbar. Außerdem gibt es viel zu wenige Kinderärzte.
All jene, die im vergangenen Pandemie-Jahr Eltern geworden sind, haben mit zusätzlichen Unsicherheiten zu kämpfen. Immerhin ist ihr Nachwuchs in einer äußerst turbulenten Zeit zur Welt gekommen. So waren und sind einfache Tätigkeiten wie der Windeleinkauf oder ein Arztbesuch mit Ängsten vor einer Infektion verbunden und werden zur Herausforderung. Es kann nicht oft genug gesagt werden: Scheuen Sie sich nicht, Hilfe anzunehmen!

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA und Mag.a Nora Kirchschlager
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Wie ist es Ihnen in der Zeit der Schwangerschaft und den ersten zwei bis drei Jahren Ihres Kindes ergangen?

Würden Sie heute etwas anders machen?

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Haben Sie in der Pandemie Ihr Kind bekommen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Wie ist es Ihnen in Ihrer eigenen Kindheit ergangen? Was haben Sie bei Ihren Kindern anders gemacht als Ihre Eltern?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

Dr.in Katharina Kruppa
Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Psychotherapeutin, Leiterin des Vereins Grow Together, Gründerin und Leiterin der Baby Care Ambulanz der Klinik Favoriten
Kundratstraße 3
A-1100 Wien
Tel.: +43 1 60191 2680
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Gast am Telefon:

Doris Staudt
Mobile Frühförderin und Familienbegleiterin, Kindergartenpädagogin, Vorstandsvorsitzende der GAIMH (Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit)
Hernalser Hauptstraße 15/2/9
A-1170 Wien
Tel.: 0660 185 25 92
E-Mail
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Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Frühe Hilfen Österreich
Gesundheitsziele Österreich: Was sind die Frühen Hilfen? Inkl. Erklärvideo
Verein Grow Together
SAFE Elternkurs zur Förderung einer sicheren Bindung
Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit
Mini Med Studium: Babys erstes Jahr
Deutschlandfunk: Wie uns die frühe Kindheit prägt
Quarks: Wie unsere Eltern uns noch vor der Geburt geprägt haben
Ärzteblatt.de: Frühkindliche Ernährung: Die ersten 1000 Tage entscheiden
Wiener Zeitung: Kinderkriegen in Zeiten des Coronavirus
Nationales Zentrum Frühe Hilfen: Krisen bewältigen: Ideen für Familien

Buch-Tipps:

Heidi Murkoff, "Das erste Jahr mit Baby. Alles, was Sie wissen müssen", Mvg Verlag 2015

Matthias Riedl, "Die Macht der ersten 1000 Tage. Falsche Ernährungsmuster aus der frühen Kindheit aufdecken und der Prägungsfalle endlich entkommen", Gräfe und Unzer Verlag 2020

Philippa Perry, "Das Buch, von dem du dir wünscht, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)", Ullstein Verlag 2020

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