9/11 Gedenkstätte

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Gedanken für den Tag

Rainer Bucher über das Gewaltpotential der Religionen

"Religion - Chancen und Risiken". Gedanken von Rainer Bucher, katholischer Theologe und Leiter des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie der Universität Graz, 20 Jahre nach 9/11

Der 11. September 2001 konfrontierte die westlichen Gesellschaften dramatisch mit dem fast schon vergessenen Gewaltpotential der Religionen. Dieses Gewaltpotential ist groß und kein Phänomen, das man einfach so von der Religion trennen kann. Es ist ihr vielmehr unmittelbar eingeschrieben. Denn Religion ist weder harmlos noch an sich etwas Gutes, allein schon deshalb, weil sich das Heilige der Religionen und das Gute nicht notwendig decken. Religionen bergen höchste Risiken. Aber eben auch schönste Chancen.

Wer das Höchste und das Niedrigste, Anfang und Ende, Tod und Leben theoretisch thematisiert, ästhetisch präsentiert und rituell aktualisiert, der hat das Gewaltpotential all dieser Themen auf dem Tisch und operiert damit in den Herzen, Hirnen und Körpern seiner Gläubigen.
"Zeige keine Anzeichen der Verwirrung und nervlicher Anspannung, sondern sei froh, glücklich, heiter und zuversichtlich, weil du eine Tat ausführst, die Gott liebt und die er gutheißt." - So hieß das in der "Geistlichen Anleitung" für die Attentäter des 11. September 2001.

"Ein Ritter Christi, sag ich, tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus." - So hieß das bei Bernhard von Clairvaux in einer Kreuzzugspredigt im Jahre 1146.

Hier wird jenes Gewaltpotential freigesetzt, für das mein Kollege Hans-Joachim Sander den einprägsamen Begriff "Gottesgewalt" gefunden hat. Die "Gottesgewalt" der Religionen hat sich vor 20 Jahren mit aller nur möglichen inszenatorischen Dramatik in die Wahrnehmung westlicher Gesellschaften zurückgebombt. Genau das war ja auch Zweck dieses Anschlags.

"Ihr liebt das Leben und wir den Tod", lautete die al-Kaida-Botschaft nach den Anschlägen von Madrid im Jahr 2004. Aus ihr spricht die Anmaßung einer Überlegenheit, es ist die vermeintliche Überlegenheit einer schamlos in Anspruch genommenen Gottesgewalt.

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Kyrre Kvam
Gesamttitel: ALTES GELD
Titel: Altes Geld - Schneeweißes Herz
Ausführende: Kyrre Kvam
Länge: 02:00 min
Label: ORF-Enterprise Musikverlag

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