Martin Lintner über Mensch und Tier

27. September 2021, 06:56

Der Wolf geht um, ein großer und wilder Wolf. Er verbreitet Angst und Schrecken. Er reißt Lämmer und Schafe und hat auch einen Menschen angefallen. Die Bewohner des Dorfes sind ratlos. Sie getrauen sich nicht mehr, unbewaffnet das Dorf zu verlassen und auf das freie Feld hinaus zu gehen.

Die Geschichte spielt nicht heute, sondern führt uns in die hochmittelalterliche Stadt Gubbio in Umbrien und wird uns in den Lebenslegenden des heiligen Franziskus von Assisi überliefert. Franziskus soll von der Not der Bewohner von Gubbio erfahren und beschlossen haben, dem Wolf die Leviten zu lesen. Also ging er hinaus aufs offene Feld und es dauerte nicht lange, dass ihm der Wolf mit fletschenden Zähnen entgegenkam. Franziskus machte ein Kreuzzeichen über ihn. Da hielt der Wolf inne, worauf ihm Franziskus zurief: "Komm zu mir, Bruder Wolf! Im Namen Christi befehle ich dir: Tu niemandem etwas zuleide!"

Daraufhin legte sich das Raubtier Franziskus zu Füßen wie ein zahmer Hund und Franziskus schloss mit ihm einen Pakt: Die Bewohner des Dorfes würden ihm täglich etwas zu fressen geben, er aber müsse versprechen, keine Tiere mehr zu reißen und keinen Menschen mehr zu bedrohen. Sowohl die Menschen von Gubbio als auch der Wolf sollen sich an diese Abmachung gehalten haben, erzählt die Legende.

Ist es bloß eine fromme Legende? Oder verbirgt sich hinter dieser Überlieferung die Sehnsucht, dass Menschen und wilde Tiere in Frieden zusammenleben können? Diese Geschichte überliefert uns jedenfalls, dass Franziskus zu allen Geschöpfen und besonders auch zu den Tieren eine Beziehung der Wertschätzung und Freundschaft gepflegt hat. Er nannte sie Geschwister, Schwestern und Brüder. Bis heute inspiriert er viele Menschen, ihre Beziehung zu den Tieren zu bedenken und die Tiere als Mitgeschöpfe zu achten.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler