Wildpferde und Wildvögel am Neusiedlersee

Burgenland-Tourismus/Photoatelier Laut

Radiokolleg - 9xÖsterreich. Erkundungen im Burgenland

Das jüngste Bundesland wird 100 (4).

Der Ö1-Redakteur und Kinderbuchautor Heinz Janisch mit einer Kolumne im Radiokolleg "Erkundungen im Burgenland".

"DIE ERDE BRICHT WIE BROT"

Von einer Kindheit im Südburgenland

I.

"Die Erde bricht wie Brot".
Eine Gedichtzeile von Elisabeth Borchers, einmal gelesen, für immer im Gedächtnis.
Die Erde bricht wie Brot. Diese Zeile bleibt. Sie kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn ich am Samstag zum Bauernladen in Güssing fahre um den hellen - noch warmen - Laib Brot zu holen, der genau in den Korb passt, und der dann später auf dem Holztisch in der Küche liegen wird. Unversehrt noch, ein schönes Versprechen.
Am Sonntagabend, beim Zusammenpacken der Taschen für die Abfahrt nach Wien, findet sich dann gerade noch ein kleines Stück auf dem Tisch, eingeschlagen ins Tuch, fast schon geruchlos, das letzte Stück Wochenende...

Dass wir seit vielen Jahren jedes Wochenende ins Südburgenland fahren- zwei Autostunden sind es von Wien aus- das hat viel mit den Gerüchen meiner Kindheit zu tun. Mit dem Riechen und mit dem Schmecken.
Viele geliebte Menschen aus den Orten meiner Kindheit leben nicht mehr. Aber die Erinnerung an sie ist überall da, so wie der Geschmack von Kindheit.
Das Brot, die Äpfel, die Birnen, die Kürbisse, die Kirschen, die Trauben - sie haben mich zurückgeholt.

II.

"Man gehört zu einem andere Orden" sagt Ilse Aichinger über die Zeit der Kindheit.
In meinem Buch "Lobreden auf Dinge" habe ich für mich einen Weg gefunden, mich von meinen toten Großeltern, vom Haus meiner Kindheit, von der Kindheit selbst zu verabschieden.
-2-

Die geliebten Menschen waren verschwunden, aber das Haus war nicht leer, das Haus war belebt von all den vertrauten Dingen, die mich nun schon seit vielen Jahren gut kannten - der Krug in der Ecke des Zimmers, die Schürze an der Wand, der Bottich für die Äpfel und Weintrauben, der Brotkorb. Sie alle waren es wert, noch einmal genau angeschaut zu werden.
Noch ein frühes Erlebnis im Bauernhof der Großeltern kommt mir in den Sinn: Ich hole warme Eier aus dem Hühnernest und halte plötzlich ein Gewicht in Händen, das mir ganz und gar gewichtlos erscheint, so leicht wie der Sommer. Ich habe plötzlich das Gefühl, den Sommer in den Händen zu halten.
Den Sommer in den Händen zu halten - ist das die Sehnsucht, die mich immer wieder ins Burgenland zurückführt?
Das Wochenende auf dem Land als ständige Beschwörung eines Anfangs, als Fortsetzung der immerwährenden Sommerferien, die man Jahr für Jahr auf dem Land verbracht hat?
Aber: Die Anfänge allein - sie reichen nicht aus, das haben wir in all den Jahren gelernt. Und die Sommerferien währen nicht ewig.

"Die Erde bricht wie Brot."
Ich werde auch an diesem Samstag den noch warmen Laib Brot vom Bauernladen holen und ich werde mich freuen, wenn der helle Laib vor mir auf dem Küchentisch liegt.
Unversehrt noch. Ein schönes Versprechen.


Der Ö1- Journalist Heinz Janisch wurde in Güssing geboren und ist in Heiligenbrunn aufgewachsen. Seit über zwanzig Jahren hat er ein alten Bauernhaus in der Nähe von Güssing. Der Kinderbuchautor hat im Vorjahr den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur erhalten.

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