Punkt eins

Das grausame Tier

Über Grausamkeit - "eine höchst entwickelte und effiziente Kulturtechnik".
Gast: Dr. Wolfgang Müller-Funk, Literatur- und Kulturtheoretiker, Essayist.
Moderation: Barbara Zeithammer.
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"Grausamkeit ist unmöglich. Es dürfte sie eigentlich nicht geben, dort, wo es menschlich zugehen soll", schreibt der Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk zu Beginn seines neuen Buches "Crudelitas. Zwölf Kapitel einer Diskursgeschichte der Grausamkeit", das am 17. Februar erscheint.

Nicht nur in der Geschichte, auch in der Gegenwart liefert der Mensch unentwegt Belege für die Grausamkeit, zu der er fähig ist. Gern und oft wird sie dann als die bestialische (tierische) Tat von Einzelnen charakterisiert, doch sie ist keine "versehentliche und seltene Randerscheinung", schreibt er. Im Gegenteil: anders als alle anderen Tiere ist der Mensch dazu fähig, grausam zu sein. Warum ist das so?

Auf der Suche nach Antworten hat sich Wolfgang Müller-Funk nicht der Psychologie, Psychiatrie oder Hirnforschung zugewandt, sondern sich über Jahre durch jene Diskurse gearbeitet, die Grausamkeit gegen andere Menschen legitimieren. Er seziert verschiedenste philosophische und literarische Werke von der Antike bis heute, bis das Skelett des "komplexen und komplizierten Phänomens" sichtbar wird: jene Argumente und Gedankengänge, mit denen Menschen ihre Grausamkeiten rechtfertigen und sie sogar zum Unvermeidlichen, zum Richtigen erklären.

"Grausam gegen andere vorzugehen, ist eine höchst entwickelte und effiziente Kulturtechnik", heißt es an einer Stelle der über 300 Seiten langen Studie. Ihren Ausgangspunkt nahm sie 1995: seit damals begleitet den langjährigen Professor und Universitätslektor ein Satz des umstrittenen Autors Gottfried Benn, der meinte, der liberale Mensch könne der Gewalt nicht ins Auge sehen.

Wie lässt sich der Gewalt begegnen? Wie lässt sich der Begriff und wie die (eigene) Möglichkeit, grausam zu anderen zu sein, fassen? Und warum ist sie attraktiv? Liegen ihre Wurzeln dort, wo wir die Welt als grausam deuten oder potenziell in jeder Begegnung mit dem oder der Anderen? In welcher Beziehung steht sie zu Macht, Moral und Mitgefühl und was lässt sich für eine Zukunft hoffen?

Wolfgang Müller-Funk ist zu Gast bei Barbara Zeithammer und skizziert die Grausamkeit, ihre Ethik und Ökonomie im Gespräch mit den Hörer:innen: unter 0800 22 69 79 erreichen Sie uns telefonisch kostenfrei aus ganz Österreich live während der Sendung; punkteins(at)orf.at ist die Adresse für Ihre schriftlichen Kommentare und Fragen.

Service

Buchtipps:

Wolfgang Müller-Funk: Crudelitas. Zwölf Kapitel einer Diskursgeschichte der Grausamkeit. Matthes & Seitz Berlin, 2022

Wolfgang Müller-Funk: Die Kunst des Zweifelns. Einträge zur Philosophie in ungefügen Zeiten. Sonderzahl 2021

Grausame Welt. Nachdenken über Gut und Böse. 14 Bildkarten mit über 100 Fragen zum (gemeinsamen) Nachdenken über Grausamkeit von der Philosophin Ellen Duthie, illustriert von Daniela Martagon, aus dem Spanischen von Paula Peretti, Moritz Verlag, 2019.

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Urheber/Urheberin: Peter Gabriel
Titel: Mother Of Violence
Ausführender/Ausführende: Slizzy Bob
Länge: 02:26 min
Label: G.I.B.

Urheber/Urheberin: Verena Zeiner
Titel: No Love Without Justice
Ausführender/Ausführende: Verena Zeiner
Länge: 01:09 min
Label: arooo.records

Urheber/Urheberin: Ani DiFranco
Grey
Album: Ani DiFranco - Revelling / Reckoning
Ausführender/Ausführende: Ani DiFranco /Ges.m.Begl.
Länge: 05:09 min
Label: Righteous Babe Records - RBR024-D

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