
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Medizin und Gesundheit
Wenn Verdauungsprobleme das Leben fast zerstören
Reizmagen und Reizdarmsyndrom
24. März 2022, 16:05
Krämpfe, Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Übelkeit, Sodbrennen, Brechreiz, Völlegefühl und Schmerzen machen den Betroffenen das Leben zur Qual. Viele verlieren Gewicht. Das wollen die meisten von uns - aber sicher nicht auf diese Weise.
Stellen Sie sich vor
Sie haben diese furchtbaren Beschwerden. Ihr Arzt glaubt Ihnen das auch sofort. Er beginnt mit der Diagnose und findet wochenlang nichts. Etwa jede sechste Frau und jeder zwölfte Mann in Österreich leidet unter einem Reizdarm, auch Colon irritabile genannt. Wie viele von einer funktionellen Dyspepsie, also einem Reizmagen betroffen sind, ist schwer zu sagen, da die Beschwerden häufig unter der Diagnose "Gastritis" laufen. Könnten aber auch an die zehn Prozent der Bevölkerung sein. Wir sprechen also von weit über einer Million Personen! Bei einigen Menschen kommen sogar beide funktionellen gastrointestinalen Störungen (FGIS) zusammen. Denn ist ein Organ von funktionellen Beschwerden betroffen, dann ist das nicht selten bei einem weiteren auch der Fall. So gibt es neben den gastrointestinalen Störungen die funktionelle Migräne, funktionelle Kiefer- und Beckenschmerzen und die Reizblase. "Das Reizdarmsyndrom wird manchmal auch vom Chronischen Fatigue Syndrom begleitet", erklärt der Facharzt für Gastroenterologie und Hepatologie Univ.-Prof. Dr. Harald Vogelsang.
So häufig und doch sind die Mechanismen ungeklärt
Bei den funktionellen Störungen können keine organischen Ursachen für die Symptome gefunden werden. Wie es beispielsweise bei einem Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür oder einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung der Fall wäre. Daher sind Reizmagen und Reizdarm sogenannte Ausschlussdiagnosen. Im Klartext - es wird so lange untersucht, bis jede andere, mögliche Ursache ausgeschlossen werden kann.
Nicht gefährlich, aber mörderisch ätzend
Die Symptome sind nicht gefährlich, schränken aber die Lebensqualität der Betroffenen massiv ein. Typisch ist außerdem, dass die Intensität der einzelnen Beschwerden mal mehr und mal weniger ausgeprägt ist. Die Symptome können zwischendurch auch ganz verschwinden - aber sie kommen mit Sicherheit wieder. Der Leidensdruck ist groß, wenn man neben Schmerzen auch mit Durchfall bzw. Verstopfung kämpfen muss. Häufig kommt es zu sozialem Rückzug und Arbeitsunfähigkeit.
Da ist guter Rat teuer
Nachdem die Ursachen unklar sind, tut man sich auch mit der Therapie schwer. Sowohl beim Reizmagen als auch beim Reizdarm gibt es keine Standardbehandlungen. Aber es gibt Erfahrungswerte: Manchen helfen Medikamente, die die Darmflora ins Gleichgewicht bringen. Es gibt viele pflanzliche Mittel, zum Beispiel Pfefferminzöl- und kapseln, die erfolgreich eingesetzt werden.
Einigen Betroffenen konnte mit Antibiotika und Antidepressiva geholfen werden. Da Stress und psychische Belastungen sowohl bei der Entstehung als auch für den weiteren Verlauf der Erkrankungen eine große Rolle spielen, ist die Behandlung mit Hypnose eine bewährte Therapie. Etwa 70 Prozent der Menschen mit Reizdarmsyndrom sprechen gut darauf an. Unser Sendungsgast Univ.-Prof.in Dr.in Gabriele Moser, Internistin und Psychotherapeutin, leitet die Ambulanz und wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für gastroenterologische Psychosomatik an der Meduni Wien. Sie arbeitet mit dieser Behandlungsmöglichkeit seit vielen Jahren.
Mit Selbstheilungskräften zum Erfolg
In Studien wurde festgestellt, dass Betroffene Dehnungsreize im Darm anders wahrnehmen. Mit der Bauchhypnose kann man lernen, diese viszerale Hypersensitivität zu beeinflussen. Durch die Vorstellung eines normalen, gesunden und rhythmisch, also wellenförmig, arbeitenden Verdauungstrakts werden Selbstheilungskräfte aktiviert. Wichtig ist es, die erlernten Techniken zu verankern, um sie auch im Alltag immer wieder einsetzen zu können. Beispielsweise die Atmung, also das tiefe Durcharmen, spielt eine große Rolle. Zehn Sitzungen können dabei schon ausreichend sein. Es besteht auch die Möglichkeit diese Hypnosetherapie in Gruppensitzungen (Einzeltermine sind schwerer zu bekommen) in Anspruch zu nehmen. Seit der Pandemie gibt es auch Online-Angebote.
Moderation: Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA und Dr. Christoph Leprich
Redaktion: Dr. Christoph Leprich
Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.
Leiden Sie oder Ihre Verwandten an einem Reizmagen oder einem Reizdarmsyndrom?
Wie lange hat es gedauert, bis bei Ihnen die Diagnose "Reizdarm" bzw. "Reizmagen" gestellt wurde?
Mit welchen Symptomen haben Sie zu kämpfen?
Welche Therapiemöglichkeiten haben Sie bereits ausprobiert?
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Was hilft Ihnen am besten?
Service
Zu Gast im Funkhaus Wien:
Univ.-Prof.in Dr.in Gabriele Moser
Fachärztin für Innere Medizin und Psychotherapeutin, Past-Präsidentin der Öst. Ges. für Psychosomatik in der Inneren Medizin (ÖGPIM), Leiterin der Ambulanz und wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für gastroenterologische Psychosomatik, Univ.Klinik für Innere Medizin III, Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie
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Am Telefon:
Univ.-Prof. Dr. Harald Vogelsang
Facharzt für Gastroenterologie und Hepatologie
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Tel.: +43 1 290 117 1
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Weitere Anlaufstellen und Info-Links:
Spezialambulanz für gastroenterologische Psychosomatik AKH Wien
Liste der BauchhypnosetherapeutInnen
Pharmazeutische Zeitung: Reizmagen und Reizdarm: Belastende Symptome
Internisten im Netz: Reizdarm und Reizmagen - Was steckt dahinter?
Meduni Wien: Studie Reizdarmsyndrom auf Basis von mukosalen Biofilmen erstmals endoskopisch identifizierbar
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs - und Stoffwechselerkrankungen: Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom
Apotheken-Umschau: Was bei einem Reizmagensyndrom hilft
Gesundheitsinforamtion.de: Was hilft bei Reizdarm - und was nicht?
Meduni Wien: Reizdarmsyndrom: Hypnose bleibt eine der effektivsten Behandlungsoptionen
Buch-Tipps:
Gregor Hasler, "Die Darm-Hirn-Connection: Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit", Schattauer 2020
Friedrich A. Weiser, "Reizdarm - Diagnose, Therapie, Vorbeugung", Verlagshaus der Ärzte 2019
Julia Seiderer-Nack, "Was passiert im Darm? Neues Wissen für mehr Darmgesundheit",
Südwest 2014