Ausstellungsansicht von Anri Sala

APA/ANGELIKA GRABHER-HOLLENSTEIN

Radiokolleg - Positionen in der Kunst

Anri Sala, Rachel Harrison, Wolfgang Tillmans, Salvador Dalí (1).
Gestaltung: Christine Scheucher, Thomas Mießgang, Nicole Dietrich

Wie verändert Kunst unsere Sicht auf die Welt? Wie interagieren Künstler/innen mit der Welt? Was sind die künstlerischen Ausdrucksformen des 20. und 21. Jahrhunderts? Positionen in der Kunst ist eine Sammlung an Positionen, genreübergreifend und ihrer Zeit voraus.

Anri Sala - Der akkurate Klangbildner
Was geben die Leerstellen preis, die entstehen, wenn sich Bild und Ton spalten und verschieben? Der franko-albanische Videokünstler Anri Sala ist ein hochpräziser Klangbildner, der das Sehen über das Hören und das Hören über das Sehen vertieft. Er befragt die Syntax unserer Wirklichkeit und denkt dafür dialogisch, in Paaren, Differenzen und Brüchen unserer Wahrnehmung und unserer Erwartungen. Auf höchstem ästhetischen und technischen Niveau konzipiert er Filme und raumfüllende Installationen. Er erkundet musikalische Kompositionen in den architektonischen Gegebenheiten von Ausstellungsräumen und taucht tief in die Zeit- und die Musikgeschichte ein.

In der Kunstwelt wird er 1998 schlagartig bekannt mit seiner ikonischen Arbeit "Intervista" - Finding the Words": Nachdem er einen stummen 16 mm Film findet, der seine Mutter als junge Aktivistin auf einem Jugendkongress der Kommunistischen Partei unter Diktator Enver Hoxha zeigt, rekonstruiert er die verloren gegangene Tonspur mit Hilfe von Gebärdensprache. Damit "untertitelt" er die kommunistische Ideologie und Phraseologie und macht deutlich, dass historisch korrektes Erinnern nicht möglich ist und die Sprache nur in dem System Gültigkeit besitzt, in dem sie geprägt wurde. Mit dem Werk "Ravel-Ravel-unRavel" vertritt Anri Sala 2013 Frankreich auf der Biennale in Venedig: eine Doppelprojektion, die klavierspielende Hände zeigt. Zu hören ist das Klavierkonzert in D-Dur für die linke Hand, das Maurice Ravel 1929 für den Pianisten Paul Wittgenstein schrieb, dem Bruder von Ludwig, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte. Sala lässt das Konzert von zwei Pianisten spielen und projiziert diese Filmaufnahmen parallel nebeneinander. So werden Verzögerungen sichtbar, es entstehen Überlagerungen, Tonschichten, Beziehungen. Ein Paar im Parallellauf, das sich - nicht wie sonst in der Musik üblich - wechselseitig wahrnimmt, sondern erst im Werk begegnet und zwei Hälften zusammenbringt, die kein Ganzes ergeben. Das Unisono verliert sich in dauerhafter Differenz.
In seinem Film "If and Only If" (2018) deutet Anri Sala den musikalischen Dialog zwischen Mensch und Tier um: Er lässt eine Schnecke über die ganze Länge eines Bratschenbogens hinaufkriechen, während der Bratschist Gérard Caussé auf seinem historischen Instrument aus dem 16. Jahrhundert Igor Strawinskys "Elegie für Viola solo" spielt und mit der Geschwindigkeit der Schnecke synchronisiert. Statt rund fünf dauert das Stück nun über acht Minuten.

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"Day Still Night Again. Anri Sala." Katalog Kunsthaus Bregenz, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 2021
"Anri Sala. Answer me". Katalog New Museum, Phaidon Press, 2016
"Anri Sala". Katalog Serpentine Gallery, Koenig Books London, 2011
Mark Godfrey, Hans Ulrich Obrist, Liam Gillick, "Anri Sala". Phaidon Press, 2006
"Anri Sala. Im Einklang mit dem Bruch". Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks. In: Kunstforum, Bd 238, 2016 Kunstforum

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