Novalis, Staalstich vom Friedrich Eduard Eichens (1845), Ausschnitt

GEMEINFREI

Gedanken für den Tag

Körper und Seele

Die Geburt der Moderne im Geist der deutschen Romantik - Zum 250. Geburtstag von Novalis von Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter

"Es gibt nur EINEN Tempel in der Welt und das ist der menschliche Körper. (...) Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet."

Der Romantiker steht unter dem selbst auferlegten Zwang, dem menschlichen Tun höheren Sinn zu verleihen. Kaum einer der deutschen Frühromantiker hat sich so intensiv mit dem Körper auseinandergesetzt wie Novalis. Aufmerksam beschäftigt er sich mit diesem. Gegen die körperfeindliche Tradition des Christentums werden der Körper und die leiblichen Freuden, die er uns beschert, programmatisch ins Zentrum gerückt.

Der Körper ist, wie es im Aphorismus aus dem "Allgemeinen Brouillon" heißt, der einzige Tempel des Menschen. Damit wird das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz, von Himmel und Erde in eine völlig andere Richtung verschoben. Die Beziehung von Religion und Sexualität war stets höchst prekär. Novalis "heilige Revolution" möchte diesen Antagonismus auflösen, in dem er Körperlichkeit und Sexualität lange vor der sexuellen Revolution zu einer Quelle von Religiosität erklärt. Für ihn ist nämlich der Akt die Berührung von Seele und Körper zweier Menschen, etwa wenn er schreibt:

"Der Blick - die Rede - die Händeberührung - der Kuss - die Busenberührung - der Griff an die Geschlechtsteile - der Akt der Umarmung - dies sind die Staffeln der Leiter - auf der die Seele heruntersteigt - dieser entgegengesetzt ist eine Leiter - auf der der Körper heraufsteigt - bis zur Umarmung. Witterung - Beschnüffelung - Akt."

Das ist erstaunlich freimütig formuliert, auch wenn man in Rechnung stellen kann, dass das 18. Jahrhundert nicht so prüde gestimmt war wie das nachfolgende, das den Ekel vor dem Körperlichen bis hin zur Neurose steigern wird. Novalis Auffassung vom Körper steht den Vorstellungen der damaligen christlichen Sexualmoral seiner Zeit diametral entgegen. Es scheut sich nicht, profane Momente des Physischen mit der Aura des Religiösen zu umgeben.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Robert Schumann 1810 - 1856
Titel: Drei Romanzen für Oboe und Klavier op.94
* Nicht schnell (00:03:21)
Solist/Solistin: Ricardo Requejo
Solist/Solistin: Ingo Goritzki
Länge: 03:21 min
Label: Claves 508201

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