Johann Kneihs mit Interviewpartner in Brasilien

CPT HORIZONT 3000/THOMAS BAUER

Radiokolleg - Brasilien. Der Riese Lateinamerikas

200 Jahre Unabhängigkeit und das Erbe des Kolonialismus. (3)

Am 7. September 1822 erklärt sich Brasilien für unabhängig - der gesamte portugiesische Teil Lateinamerikas bleibt ungeteilt und einer der größten Staaten der Erde entsteht, der heute eine Schlüsselrolle in Fragen der Welternährung und der Klimakrise spielt. Die Vorgeschichte ist ungewöhnlich: 1807 hatte König Johann VI. von Portugal seine Residenz von Lissabon nach Rio de Janeiro verlegt; der gesamte Hofstaat war per Schiffskonvoi von Europa in die Neue Welt übersiedelt, um den Truppen Napoleons zu entgehen. Der Umzug bringt enormen Aufschwung für die Kolonie, die 1815 ein eigenes Königreich wird, durch Personalunion mit Portugal verbunden.

Die Ideen der Aufklärung, die Amerikanische und Französische Revolution werden im 18. und 19. Jahrhundert auch in Brasilien diskutiert, Nationalbewusstsein entsteht ebenso wie ein Tauziehen um die Zukunft der Kolonie: als Republik, als absolute oder konstitutionelle Monarchie? Das ist der politische Hintergrund, vor dem eine Österreicherin ins Spiel kommt: Kronprinzessin Leopoldine von Habsburg, von ihrem Vater Kaiser Franz I. und dessen Berater Metternich auch mit der Absicht nach Brasilien verheiratet, republikanische Bestrebungen in Lateinamerika hintanzuhalten. Sie wird in der bewegten Zeit um die Unabhängigkeit eine aktive Rolle spielen, ihr Leben aber tragisch verlaufen.

Als der König nach Portugal zurückkehrt, bleibt Thronfolger Pedro in Brasilien und erklärt die vollständige Unabhängigkeit des riesigen Reichs, dessen Kaiser er wird - es ist kein unblutiger Umsturz, wie von der brasilianischen Geschichtsschreibung lange dargestellt, doch anders als im zersplitterten Spanisch-Amerika bleibt die Einheit gewahrt.
Brasilien war vor zweihundert Jahren größer als damals die USA, mit seinen gewaltigen Ressourcen hätte es zu einer führenden Wirtschaftsmacht nicht nur Amerikas aufsteigen können. Doch die dafür nötigen Reformen sind ausgeblieben, die wirtschaftlichen und politischen Strukturen blieben kolonial geprägt. Erst 1888 hat Brasilien die Sklaverei abgeschafft, eine Agrarreform hat nicht stattgefunden. In manchen Bereichen der Wirtschaft herrschen bis ins 21. Jahrhundert Strukturen der Kolonialzeit, Zwangsarbeit und Arbeitsverhältnisse jenseits des Arbeitsrechts. Von weltweiter Bedeutung ist die Kolonialisierung der Natur im Landesinneren, der Verlust oder Erhalt des Regenwalds im Amazonasgebiet als entscheidender Faktor für die Klimakrise.

Service

Ursula Prutsch: Leopoldine von Habsburg. Kaiserin von Brasilien - Naturforscherin - Ikone der Unabhängigkeit. Molden Verlag 2022 (erscheint am 29. 9.)

Andreas Novy: Brasilien: Die Unordnung der Peripherie. Von der Sklavenhaltergesellschaft zur Diktatur des Geldes. Promedia Verlag 2001

Itamar Vieira Junior: Die Stimme meiner Schwester. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Barbara Mesquita. S. Fischer Verlag 2022

Ursula Prutsch & Enrique Rodrigues Moura: Brasilien. Eine Kulturgeschichte. Transcript Verlag 2014

Kurt Schmutzer: Der Liebe zur Naturgeschichte halber. Johann Natterers Reisen in Brasilien 1817-1836. Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften

Robert Wagner: Brasilianische Reisen. Hochzeitsreise der Erzherzogin Leopoldine nach Rio de Janeiro. Forscher, Künstler, Diplomaten und der erste Kaiser von Brasilien. Bibliothek der Provinz 2022

Boris Fausto: Kurze Geschichte Brasiliens. Übers. von Rita Rios und Markus Sahr. Verlag Königshausen & Neumann 2013

Eine kleine Geschichte Brasiliens. Edition Suhrkamp 2009


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