Sigmund Freuds Brille

APA/AFP/ DIETER NAGL

Medizin und Gesundheit

Psychotherapie im 21. Jahrhundert

Freuds Erbinnen und Erben

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begann man sich in der Medizin zunehmend mit Phänomenen zu beschäftigen, die man der Psyche - oder wie es früher hieß: der Seele - zuschrieb. 1899 veröffentlichte der Wiener Arzt Sigmund Freud sein Buch "Traumdeutung" und definierte erstmals innere psychische Anteile: Das Bewusste, das Vorbewusste und das Unbewusste. Später wurden auch die Begriffe Ich, Es und Über-Ich hinzugefügt. Er postulierte die Verdrängung frühkindlicher Sexualität und etablierte die Bewusstmachung verborgener Konflikte als therapeutische Methode. Begriffe, die nicht nur die Therapiewelt, sondern auch das Menschenbild des kommenden Jahrhunderts prägen sollten. Sein Name ist untrennbar mit der Psychoanalyse verbunden. Und ohne die Thesen, die Freud um die Jahrhundertwende publizierte, wäre die Psychotherapie wohl kaum denkbar.

Dennoch wäre es verkürzt, die heute praktizierten Therapieformen auf Freud zu reduzieren. Denn die Disziplin, sogar die Psychoanalyse selbst, hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Zahlreiche Schulen, Richtungen oder Methoden konnten sich mittlerweile etablieren und man begann, mit der Psychotherapieforschung eine wissenschaftliche Grundlage zu schaffen. Tatsächlich hat Österreich hier eine bedeutsame Tradition: Die drei großen Wiener Schulen der Psychotherapie - Sigmund Freuds Psychoanalyse, die Individualpsychologie Alfred Adlers und Viktor Frankls Logotherapie, aber auch die Körperarbeit nach Wilhelm Reich sind weltweit verbreitet. Zahlreiche Frauen und Männer haben sich hierzulande der Erforschung der Seelenlandschaft verschrieben. Anfang der 1990er Jahre war Österreich unter den ersten Ländern, die ein Psychotherapiegesetze auf die Beine gestellt haben.

Und seit einigen Jahren kann man hierzulande Psychotherapie an Universitäten studieren. Ebenfalls eine Pionierleistung. Denn bislang durfte man die Kunst der Psychotherapie erst dann erlernen, wenn man zuvor einem anständigen "Brotberuf" nachgegangen ist. Aus den Kernberufen Medizin, Psychologie oder Pädagogik kommend und meist im fortgeschrittenerem Alter konnte man die Ausbildung beginnen. Seit einigen Jahren ist das anders und die "jungen Wilden" beginnen, die Therapeutenszene aufzumischen. So hat die Sigmund Freud Privatuniversität in Wien die erste akademische Ausbildung von Psychotherapeuten etabliert - im Anschluss an die Matura. Dies ist mittlerweile auch an der Donau-Uni Krems oder der Bertha von Suttner Privatuniversität möglich. Auch einige private Ausbildungsvereine sind Kooperationen mit universitären Einrichtungen eingegangen. Die dreiphasige Psychotherapieausbildung ist aufwendig und umfasst mehr Ausbildungseinheiten als es die Bologna-Kriterien zur Erreichung eines Master Titels vorsehen. Nach wie vor ist es so, dass die doch beträchtlichen Kosten von den Auszubildenden selbst getragen werden müssen.

Mit der Novelle des Psychotherapiegesetzes soll den neuen Entwicklungen Rechnung getragen werden, um auch für die Bevölkerung eine gute und leistbare Versorgung zu gewährleisten. Dr. Ronny Tekal wirft einen Blick auf die Erbinnen und Erben Siegmund Freuds und die aktuellen Entwicklungen der Psychotherapie.

Service

Interviewte Personen:

Univ.- Prof. Dr. Stephan Doering
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Leiter der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien
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Univ.-Prof.in Dr.in Jutta Fiegl
Psychotherapeutin
Faktultätsleiterin Psychotherapiewissenschaft
Sigmund Freud Privatuniversität
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Mag.a Barbara Haid MSc
Psychotherapeutin
Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP)
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Dr.in Regina Hofer
Psychiaterin, Psychotherapeutin, Kabarettistin
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MMag.a Katharina Janowitz
Psychotherapeutin, systemische Familientherapie
Vizedekanin Lehre Fakultät für Psychotherapiewissenschaft
Sigmund Freud Privatuniversität
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Univ.- Ass. Mag. Maximilian Pritz
Psychoanalytiker
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em.o.Univ.- Prof. Dr. Johann August Schülein
Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung
WU Wien
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Info-Links:

Sigmund-Freud Gesellschaft
Österreichischer Berufsverband für Psychotherapie/PsychotherapeutInnen-Suche
Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
Psychotherapeutische Ambulanz des ÖAGG
Psychotherapieausbildung Bertha von Suttner Universität St. Pölten
Fakultät Psychotherapiewissenschaft Sigmund Freud Privatuniversität Wien
Department für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Donau-Uni Krems
Psychotherapiegesetz Österreich

Literatur:

Hannes Leidinger, Christian Rapp, Birgit Mosser-Schuöcker, "Freud - Adler - Frankl. Die Wiener Welt der Seelenforschung", Residenz Verlag, 2022

Philippa Perry, "Wie geht es Ihnen jetzt? Eine illustrierte Psychotherapie", Ullstein, 2021

Sacha Bachim, "Therapie to go. 100 Psychotherapie Tools für mehr Leichtigkeit im Alltag", Remote Verlag, 2022

Jürgen Kriz, "Grundkonzepte der Psychotherapie", Beltz, 2014

Spektrum der Wissenschaft, "Gehirn&Geist Dossier - Psychotherapie heute: Trends, Methoden, Guter Rat", 2022

Sendereihe

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