ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Medizin und Gesundheit
Prämenstruelles Syndrom
Jeden Monat wieder: Schmerzen und emotionale Ausnahmezustände
11. Mai 2023, 16:05
"Wie aus dem Nichts bricht es über mich herein, lässt mich nicht mehr los. Ich fühle mich verloren, hilflos. Tränen, die über mein Gesicht fließen. Alle Gedanken dieser Welt brechen über mich herein wie eine Lawine. Ich habe Angst, verrückt zu werden, gefangen zu bleiben in dieser tiefen Gedankenspirale. Was passiert mit mir?" So hält eine Betroffene ihre Empfindungen kurz vor der Regelblutung auf Papier fest. Jetzt ist es da, das PMS, das prämenstruelle Syndrom.
Viele Frauen leiden still
Beschwerden wie Angstzustände, depressive Verstimmungen, Selbstzweifel und eine ausgeprägte Sensibilität sind nur in der zweiten Zyklushälfte präsent und verschwinden typischerweise mit dem Einsetzen der Periode. Wie viele Frauen genau davon betroffen sind, ist schwer zu sagen. Manche Studien sprechen von jeder zweiten Frau, andere von jeder zehnten. Die tatsächliche Zahl dürfte aber höher sein, denn viele Betroffene schweigen darüber und leiden still, erklärt die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr.in Jael Bosman.
Starke, wiederkehrende Krämpfe abklären lassen
Viele Frauen haben vor der Menstruationsblutung auch mit körperlichen Symptomen wie Krämpfen, Kopf- und Rückenschmerzen zu kämpfen. Es ist wichtig, sehr heftige, immer wiederkehrende Regelschmerzen medizinisch abklären zu lassen. Da es sich auch um ein Myom, also einen gutartigen Tumor in der Gebärmutter oder Endometriose - eine Ansammlung von gebärmutterschleimhautähnlichem Gewebe außerhalb der Gebärmutter - handeln kann.
Die schwerste Form von PMS: PMDS
Das Ausmaß der Symptome ist sehr unterschiedlich. Während manche Frauen zwei, drei Tage vor Einsetzen der Blutung leichte Beeinträchtigungen spüren, wird für andere Frauen die komplette zweite Zyklushälfte zum emotionalen Ausnahmezustand. Die psychischen Beschwerden sind so stark ausgeprägt, dass sie gravierende Auswirkungen auf Privat- und Berufsleben haben. Beziehungen gehen in die Brüche, Jobs werden verloren und bei manchen Frauen kommt es sogar zu suizidalen Gedanken. Das ist die schwerste Form von PMS: die prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS). Davon dürften etwa zwei bis acht Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sein.
Bei hohem Leidensdruck: Hilfe holen
Für einen Großteil der Betroffenen sind die Beschwerden in den Alltag integrierbar. Viele haben Strategien gefunden, damit umzugehen. Ist der Leidensdruck aber zu groß, sollten sich die Frauen nicht scheuen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Wenn man den halben Zyklus damit beschäftigt ist, sich in Zaum zu halten, dann ist das ja das halbe Leben. Da sollte man auf jeden Fall etwas tun", betont die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.in Alexandra Whitworth. Das Problem: Viele Frauen werden mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen. Die schwerste Form, PMDS, ist als multifaktorielle Störung anerkannt und hat somit immer Krankheitswert. Das ist leider kaum bekannt.
Um auszuschließen, dass es sich um andere Ursachen handelt, ist es notwendig, ein Zyklustagebuch zu führen, in dem die psychischen Veränderungen eingetragen werden. Und es gibt Licht am Ende des Tunnels: Verhaltenstherapie, Hormontherapie oder Antidepressiva können helfen.
Neue Studienergebnisse ermöglichen gezieltere Behandlung
Eine neue Studie aus Leipzig lässt aufhorchen - es wurde herausgefunden, worauf die Symptome von PMDS zurückzuführen sind. Ein Forschungsteam rund um Neurowissenschafterin Prof.in Dr.in Julia Sacher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften hat untersucht, was im Gehirn von PMDS-Patientinnen vor dem Einsprung und kurz vor der Menstruation passiert. Das Ergebnis: Bei Betroffenen kommt es zu einer Fehlregulierung des Neurotransmitters Serotonin. Diese Ergebnisse könnten zukünftig zu einer gezielteren Therapie beitragen.
Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA.
Redaktion: Dr. Christoph Leprich
Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.
Leiden Sie unter körperlichen Symptomen kurz vor der Menstruationsblutung?
Fühlen Sie sich in der zweiten Zyklushälfte wie ein anderer Mensch?
Welche psychischen Beschwerden machen Ihnen in dieser Zeit zu schaffen?
Haben Sie sich ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe geholt?
Welche Strategien haben Sie entwickelt? Was hilft Ihnen am besten?
Service
Im Ö1-Haus:
Dr.in Jael Bosman
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe
Liechtensteinstrasse 15
A-2130 Mistelbach
Tel.: 0660 / 98 05 211
E-Mail
Homepage
Im Landesstudio Salzburg:
Dr.in Alexandra Whitworth
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Hellbrunnerstraße 11a
A-5020 Salzburg
Tel.: 0664/3342388
E-Mail
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Am Telefon:
Prof.in Dr.in Julia Sacher
Neurowissenschafterin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Stephanstraße 1a
D-04103 Leipzig
Tel.: +49 341 9940-2409
E-Mail
Homepage
Weitere Anlaufstellen und Info-Links:
Universitätsklinikum Bonn: Das Prämenstruelle Syndrom. Eine Information für Betroffene und Angehörige
Gesundheit.gv.at: Prämenstruelles Syndrom (PMS)
PMDS Selbsthilfegruppe Deutschland
PMDS-Hilfe Deutschland
TV-Beitrag BR: Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS). Wenn der Zyklus die Persönlichkeit verändert
Studie Julia Sacher zu PMDS
SWR-Wissen: Depressionen vor den Tagen: Hoffnung auf bessere Therapie
Apotheken-Umschau: PMDS. Psychische Belastung vor der Periode
Focus Online: Wenn der Zyklus die Persönlichkeit ändert: Das sind die 4 Symptome für PMDS
Gesundheitsinformation.de: Myome der Gebärmutter
Gesundheitsinformation.de: Endometriose
Buch-Tipps:
Almut Dorn, Anneliese Schwenkhagen, Anke Rohde, "PMDS als Herausforderung. Die Prämenstruelle Dysphorische Störung als schwerste Form des PMS", Kohlhammer 2022
Dani Wolf, "PMDS - Wege zu einem entspannten Zyklus", Trias 2022
Mirjam Wagner, "Mein PMS und ich. Vor den Tagen endlich wohlfühlen", Herbig 2023